Projektmanagement: Immer nur agil?
Anne-Kathrin Bolender
Agiles Projektmanagement ergibt bei Google 550'000 Einträge, hybrides Projektmanagement immerhin noch 156'000 und klassisches Projektmanagement nur 134'000. Heisst das, klassisches Projektmanagement hat ausgedient?
Über die Vorteile des agilen Projektmanagements ist bereits viel publiziert worden, denn es ermöglicht, schnell und flexibel auf Änderungswünsche des Kunden zu reagieren. Das klassische Projektmanagement scheint (zu Recht?) weniger Seiten im Internet zu füllen, denn es gilt als träge und teuer - insbesondere bei Änderungswünschen des Kunden.
Annäherung über das magische Dreieck an das geeignete Vorgehensmodell
Das magische Dreieck beschreibt die konkurrierenden Anforderungen an das Projektmanagement und umfasst die Kriterien Leistung, Aufwand und Zeit. Wird eines dieser Kriterien festgelegt, können nur noch an den anderen zwei Veränderungen vorgenommen werden. Wird als Leistung vom Kunden ein Dreirad gefordert, dann ist also nicht die Frage, ob das Rad drei Räder haben sollte. Vielmehr wird geschätzt, in welchem Zeitraum das Dreirad zur Verfügung gestellt werden kann und was die damit verbundenen Kosten sind. Mit anderen Worten: Nimmt der Kunde das Angebot über ein Dreirad für 2'500 Franken mit Lieferung in zwei Monaten an, ist die Leistung festgeschrieben. Damit handelt es sich hier um klassisches Projektmanagement. Änderungen sind nur schwer bzw. zu hohen Kosten möglich und verschieben den zeitlichen Ablauf. Sollte beispielsweise im Verlauf ein E-Motor gefordert werden, dann verändert sich mit der neu definierten Leistung das Projektziel. Der Motor kostet 3'000 Franken extra und weitere Ressourcen müssen für das Design und den zu verstärkenden Rahmen aufgebracht werden. Die Dauer von zwei Monaten verlängert sich, ausser der Kunde zahlt für Nachtschichten.
Anders verhält es sich, wenn der Kunde mitteilt, dass er ein ökologisches Fortbewegungsmittel möchte, das 5‘000 Franken kosten darf und in zwei Monaten zur Verfügung stehen soll. Hierdurch ergeben sich grössere Freiheitsgrade: Aufwand und Zeit sind zwar festgelegt, aber die Leistung ist variabel. Hier liegt der agile Ansatz vor. Während der Beschaffung der Räder, des Fahrradsattels und -korbs, des Lenkrads und des Materials für den Fahrradrahmen steht der Kunde bezüglich des Designs weiterhin mit dem Hersteller im Austausch. Bis kurz vor dem Biegen des Rahmens kann der Kunde seine Meinung noch ändern und eine Designanpassung zugunsten des Gewichts fordern, indem er auf ein Zweirad wechselt. Sollte ausreichend Zeit bis zum Ablauf der zwei Monate sein und der Kostenrahmen von 5‘000 Franken nicht überschritten werden, dann ist der Wechsel auf ein Zweirad möglich. Würden verfügbare Zeit oder Kosten überschritten werden, könnte der Kunde beispielsweise auf die Gangschaltung verzichten und das Rad führe trotzdem – auch wenn sich dadurch die Leistung ändert.
Agilität ist nicht immer realisierbar
Agilität wird verstärkt gefordert, auch im Projektmanagement. Allerdings ist dies nicht immer realisierbar, auch nicht, wenn es sich das Top-Management wünscht. Vielmehr ist die Frage: Ist es überhaupt möglich, den Kundenauftrag in kleinere Leistungspakete aufzuteilen, die dem Kunden einen Nutzen bringen? Aus einem Zweirad kann immer noch ein Einrad werden – vorausgesetzt der Kunde ist geschickt und hat keine Probleme mit dem Gleichgewichtssinn. Doch eine Räum- oder Drehmaschine ohne eine Achse oder ein Wasserkraftwerk ohne eine Turbine – damit ist der Kundenauftrag verfehlt, da weder Maschine noch Wasserkraftwerk einen Nutzen haben.
Wird die Projektleitung aufgefordert, das Projekt agil durchzuführen, ist zu prüfen, ob dies möglich ist. Gerade bei komplexen Projekten im Maschinenbau oder Bauwesen ist Agilität (noch?) nicht möglich, wenn Beschaffungszeiten lang, viele verschiedene Unternehmen involviert und die Leistung durch Rahmenbedingungen reglementiert ist. Das heisst jedoch nicht, dass gar keine agilen Methoden zum Einsatz kommen können. Innerhalb eines Projekts können in bestimmten Bereichen oder Teilprojekten trotzdem agile Vorgehensmodelle oder daraus entwickelte Visualisierungsmethoden oder Instrumente Anwendung finden. Jedoch sollte klar definiert sein, was der Sinn ihres Einsatzes ist, damit Agilität nicht zum Selbstzweck wird. Hierzu braucht es eine Projektleitung mit Expertise – sowohl im herkömmlichen, als auch agilen und hybriden Projektmanagement – sowie kompetente Mitarbeitende, die sich mit Prozessen und Instrumenten auskennen.
Agilität im Projektmanagement kann also möglich sein – aber eben manchmal nur im Kleinen. Werden Projekte weiterhin klassisch abgewickelt, heisst es nicht, dass die Projektleitung versagt hat oder sich gegen agile Entwicklungen sperrt. Im Gegenteil, dahinter kann ein bewusster Entscheid für die passende Vorgehensweise stehen.
Quellen und weiterführende Informationen
Preussig, J. (2018). Agiles Projektmanagement (2. Aufl.). Freiburg: Haufe-Lexware.
Scrum Alliance eBooks and Reports
Kuster, J. et al. (2018). Handbuch Projektmanagement: Agil – Klassisch – Hybrid (4. Aufl.). Berlin: Springer Gabler Verlag.
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