Risikomanagement mit Herz oder Verstand?
Anne-Kathrin Bolender
Kürzlich bin ich auf einer Veranstaltung mit einem anderen Projektmanager ins Gespräch gekommen. Nach ein paar Minuten haben wir festgestellt, dass unsere Sichtweisen, wie Risikomanagement erfolgreich ins Projektmanagement integriert wird, unterschiedlich sind. Mein Ansatz: Risikomanagement wird als lästig empfunden und ungern von Teammitgliedern umgesetzt. Als Teil des Projektmanagements sollte es jedoch aktiv bearbeitet werden. Die Kunst liegt darin, den Teammitgliedern nicht vor Augen zu führen, dass sie an risikosenkenden Massnahmen arbeiten, sondern sie zu motivieren, am Projekterfolg mitzuwirken. Sein Ansatz hingegen zielt stark auf die Vernunft ab: Wenn den Teammitgliedern erklärt wird, wie wichtig Risikomanagement ist, dann werden sie es freiwillig machen. Diese Überzeugungsarbeit ist zu leisten und danach wird Risikomanagement automatisch ein Teil des Projektmanagements. Welcher Ansatz wohl der richtige ist?
Warum Teammitglieder lieber planen, als Risiken zu managen
Das Projektmanagement kümmert sich in der Regel um die gedankliche Vorwegnahme künftigen Handelns, wenn alles gut läuft – das Risikomanagement um die gedankliche Vorwegnahme künftigen Handelns, wenn etwas schief geht. Als Projektmanager sollte man beiden Betrachtungsweisen die gleiche Aufmerksamkeit schenken, denn Murphy’s Law besagt: „Alles, was schief gehen kann, geht schief.“ Das trifft auch immer in Projekten zu. Deshalb soll man nicht nur die Projektplanung anschauen (denn da geht nichts schief), sondern auch die Risiken. Wenn die Teammitglieder selbst entscheiden können, wie sie ihre Ressourcen einsetzen, dann wird die Mehrheit lieber an Aufgaben des Projektplans arbeiten, als an den Massnahmenplänen des Risikomanagements. Die Frage ist: Warum ist das so?
In Verkaufsschulungen und Trainings zum Gesprächseinstieg in schwierige Situationen wird vermittelt, dass man mit einer geschlossenen Frage beginnen muss, die das Gegenüber sicher mit „ja“ beantworten wird. Dies wirkt sich positiv auf das Denken aus. Auch neigen wir dazu, eine Situation oder uns selbst positiver einzuschätzen, als es tatsächlich der Realität entspricht (z.B. wollen wir noch schnell etwas erledigen, bevor wir Feierabend machen …und es doch um einiges länger dauert als gedacht). Denn wer möchte sich schon freiwillig mit negativen Gedanken auseinandersetzen?
Wenn Teammitglieder wenig Zeit haben, dann werden sie lieber zugewiesene Aufgaben aus der Projektplanung abarbeiten, weil diese wichtig für das Vorankommen im Projekt und somit für den Projekterfolg sind, als Risiken zu bearbeiten, die vielleicht gar nicht eintreten und somit den Projekterfolg auch nicht verhindern. Die eine Aufgabe ist zwingend für das Projekt erforderlich, die andere Aufgabe nicht unbedingt, wenn das Risiko nicht eintritt. Beantworten Sie die Frage selbst, woran die Teammitglieder lieber arbeiten. Die Teammitglieder sind am Ende nicht diejenigen, die berichten/eskalieren müssen, wenn etwas im Projekt schief geht. Diese unliebsame Aufgabe liegt bei Ihnen, liebe Projektmanager.
Vorteil guter Laufschuhe im Risikomanagement
Meine persönliche Erfahrung als Risk Facilitator und Projektmanager hat gezeigt, dass Teams gut darin sind, Risiken zu sammeln und diese zu bewerten. Mit dem Abarbeiten der Massnahmenpläne hingegen tun sie sich schwer. Damit stimme ich meinem Gesprächspartner bis zu diesem Punkt zu: Mit sachlichen Argumenten ist es möglich, das Projektteam zu überzeugen, an Meetings zum Risikomanagement teilzunehmen und diese zwei Schritte werden noch gut bewältigt. Danach wird es jedoch für den Projektmanager schwierig, die Motivation an der Teilnahme zu Risikomeetings aufrecht zu erhalten, denn „jetzt sind doch alle Risiken bekannt“, „es passiert eh nichts mit den Massnahmenplänen“ und „zum Schluss treten die Risiken sowieso ein“.
Tatsächlich treten Risiken ein, wenn nicht Massnahmen geplant und gezielt umgesetzt werden. Die Frage ist, wie bekomme ich als Projektmanager es hin, dass das Risikomanagement weiterhin aktiver Teil des Projekts ist? Meine Antwort: Indem Sie es schaffen, die Massnahmen als Aufgaben des Projektplans positiv zu formulieren. Suchen Sie das Gespräch mit den Teammitgliedern, die das Wissen und Können haben, Massnahmen zu definieren und abzuarbeiten. Fragen Sie um Rat, was bei einem bestimmten Problem getan werden kann und ob er/sie Sie dabei unterstützt. Dokumentieren Sie die entstandenen Massnahmenpläne und beginnen Sie bei den Key Risks (also den Risiken mit einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder einem hohen Schadenpotenzial), die Massnahmenpläne als Aufgaben in den Projektplan zu integrieren. Die Kunst liegt also darin, die Massnahme zum Teil des Projekterfolgs zu machen und aufzuzeigen, dass sie sinnvoll ist – dabei müssen Sie nicht immer betonen, dass die Aufgabe dem Risikomanagement entspringt.
Es kostet am Anfang etwas Zeit (sowie Ausdauer und Geduld), die Teammitglieder einzeln aufzusuchen oder anderweitig zu kontaktieren. Doch in den meisten Fällen gibt es auch noch andere Punkte zu besprechen. Doch selbst wenn nicht, die Zeit ist sinnvoll investiert. Sie zeigen den Teammitgliedern, dass Sie sich nicht nur um das Projekt bemühen, sondern auch um die Menschen, die daran arbeiten. Also: Ziehen Sie sich bequeme Laufschuhe an und los geht’s!
Wie Risikomanagement Spass machen und zum Projekterfolg beitragen kann
Mit der Zeit werden die Teammitglieder auf die Projektleitung zugehen und wie selbstverständlich nicht nur über ihre Aufgaben, sondern auch über die Massnahmen berichten. Dabei ist es wichtig, die Fortschritte zu dokumentieren und aufzuzeigen. Doch dazu bedarf es keines extra Risikomeetings, sondern das Risikomanagement sollte Teil des Teammeetings werden. Dabei muss das Risikomanagement kein fester Tagesordnungspunkt sein, sondern kann auch unter dem Punkt „Sonstiges“ in regelmässigen Abständen besprochen werden. Sobald die ersten Massnahmen in der Umsetzung sind und die Risikobewertungen aktualisiert werden können, lohnt es sich, die Risikodokumentation zu öffnen und gemeinsam zu überprüfen. Die Teammitglieder werden zum Teil erstaunt feststellen, dass sie bestimmte Massnahmen bearbeitet haben und die Eintrittswahrscheinlichkeiten und/oder Schadensausmasse der Risiken sinken. Und das, obwohl sie gefühlstechnisch gar nicht an den Risiken gearbeitet, sondern durch ihre Aufgaben zum Projekterfolg beigetragen haben.
Mit diesen Erfolgserlebnissen schaffen Sie positive Emotionen, die Teammitglieder arbeiten gern an der sinnvollen Aufgabe aus dem Plan und müssen sich nicht mit den lästigen Gedanken des Risikomanagements auseinandersetzen. Welcher Ansatz, denken Sie, überzeugt mehr: der Verstand oder das Herz? Probieren Sie es aus!
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"Shit happens. So auch in Projekten"
"Die geschätzte Zahl im Projektmanagement"
Quellen und weitere Informationen
DeMarco, T. & Lister, T. (2003). Bärentango : mit Risikomanagement Projekte zum Erfolg führen. München;. Hanser Verlag.
Strohmeier, G. (2007). Ganzheitliches Risikomanagement in Industriebetrieben : Grundlagen, Gestaltungsmodell und praktische Anwendung. Wiesbaden : Deutscher Universitäts-Verlag.
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