Die "geschätzte" Zahl im Projektmanagement
Anne-Kathrin Bolender
Kennen Sie das auch? Die nächste Budgetrunde steht an und Ihr/e Vorgesetzte/r soll abends die ersten Zahlen für die Planungsrunde abgeben. Mittags kommt er/sie hektisch auf Sie zu und fragt Sie, wie viel Geld für das Projekt im nächsten Jahr ausgegeben werden soll. Nur eine grobe Zahl, das reicht vollkommen… Doch ist es wirklich richtig, nur eine Zahl abzugeben? In unserem Blogbeitrag „Schnellschuss Projektstart“ haben wir bereits darüber gesprochen, wie wichtig die Planungsphase eines Projekts ist. Heute wollen wir uns näher ansehen, was Sie abgeben sollten, wenn nur eine einzige Zahl abgefragt wird.
Der Umgang mit Chancen und Risiken bei „idealisierten“ Projektplänen
Projektmanager lassen sich häufig dazu verleiten, detaillierte Projektpläne zu erstellen. Dies ist viel Arbeit, insbesondere, wenn die einzelnen Aufgaben bezüglich Dauer, Ressourcen und Kosten abgestimmt werden müssen. Prinzipiell ist das Vorgehen auch richtig und wichtig – doch was passiert mit den Chancen und Risiken? Werden diese auch eingeplant? Oder soll darauf verzichtet werden? Da es immer mehr als eine Chance und ein Risiko gibt, braucht es den Termin- und Ablaufplan Variante 1, 2, 3, n mit den zugehörigen Budget-Varianten 1, 2, 3, n. So wird es sehr komplex, alle Kombinationen durchzuspielen und als Projektplan abzubilden. Heisst das also, doch nur einen detaillierten „idealisierten“ Plan verfolgen? Mit diesem Plan wäre es möglich, eine einzige Zahl abzugeben, doch ist auch diese Zahl nicht realistisch.
Der Einbezug von Schätzungen in die Projektplanung
Stattdessen sollte der Projektleitende und das Management den Tatsachen ins Auge blicken. Eine Projektplanung ist wichtig, doch kann sie nicht die absolute Antwort auf alle Fragen liefern. Es kommt immer wieder zu Abweichungen, unvorhergesehenen Ereignissen und Problemen, die bei vorherigen Projekten nicht aufgetreten sind. Eine Planung nimmt gedanklich vorweg, wie etwas im besten Fall ablaufen soll. Wenn Sie einen Zug, ein Schiff oder ein Flugzeug bauen, dann wollen Sie jedoch eine bestmögliche Schätzung haben, die auch Chancen und Risiken berücksichtigt. Eine Schätzung eröffnet Möglichkeiten, denen sich das Management nicht verwehren sollte. Das Schätzvorhaben muss in Projekten professionell aufgegleist werden und je umfangreicher das Projekt ist, desto länger dauert auch die Schätzung.
„Top-down“ Schätzen
Wie ist nun das beste Vorgehen bei Schätzungen in Projekten? Mit einer „Top-down“-Schätzung kann eine erste Annahme getroffen werden, wie lang ein Projekt dauert, was es kostet usw. Hierbei werden andere, bereits abgeschlossene und gut dokumentierte Projekte zu Rate gezogen. Es geht dabei nicht darum, schnell eine Zahl zu gewinnen, sondern auf Basis der Daten zu vergleichen und abzuschätzen: Wann bleibt der Aufwand im geplanten Rahmen? Wann kann schneller gearbeitet werden – weil die Technologie schon ausgereift ist? Und welche Aspekte des Projekts gestalten sich als umfangreicher – wenn etwas neu entwickelt werden muss? Diese Annahmen sind zu dokumentieren und ermöglichen durch Einbezug der Experten, vorhandener Daten usw. bereits in einer frühen Stufe, eine erste Abschätzung zu treffen.Es ist jedoch wichtig, bei der Beurteilung der Schätzung nicht nur die vorhandenen Daten, sondern immer auch den Zeitpunkt zu berücksichtigen. Je unsicherer die Datenlage und das Wissen über das Projekt, desto grösser die Abweichung.
Auch eine Schätzung ist nie ein absoluter Wert. Sie sollte immer aus mindestens zwei Zahlen bestehen und damit eine Spanne „von – bis“ angeben, welche die Unsicherheiten abdeckt und erklärt. Im Verlauf des Projekts wird nicht nur die Projektplanung aktualisiert, sondern auch die Schätzung. Je weiter das Projekt voranschreitet, desto mehr ist bekannt, der „Cone of Uncertainty“ verringert sich. Hierbei handelt es sich um eine Spanne, die sich um den idealen Planungswert herum bewegt. Diese Spanne und der „idealisierte“ Planungswert nähern sich immer weiter an. Das heisst nicht, dass sich der „idealisierte“ Planungswert als richtig erweist. Nein, auch dieser verändert sich und wird beständig aktualisiert. Am Ende des Projekts gibt es keine Unsicherheiten mehr und die geschätzte Zahl fällt mit dem Plan- und dem erreichten Ist-Wert zusammen.
„Bottom-up“ Schätzen
Natürlich kann eine Schätzung auch „bottom-up“ erfolgen, indem die einzelnen Arbeitspakete geschätzt und die Schätzungen immer weiter zusammengefasst werden. Meist wird mit einer Top-down-Schätzung begonnen und später auf die Bottom-up-Variante gewechselt. Dieses Vorgehen eignet sich, wenn Sie schon mehr Details zu Ihrem Projekt haben und eine detaillierte Projektplanung in Angriff nehmen. Bei einer professionellen Schätzung muss nicht immer die gleiche Schätzmethode angenommen werden, sondern es können auch unterschiedliche Methoden miteinander kombiniert werden. Bei standardisierten Aufgaben ist es beispielsweise einfach, Vergleiche zu machen, wohingegen bei neuen Aspekten eher Expertenwissen zum Schätzen gefragt ist. Es ist jedoch immer wichtig, genau abzustimmen und zu dokumentieren, was wie geschätzt wird, damit die Schätzungen aktualisiert und aus fehlerhaften Ansätzen gelernt werden kann.
Die „geschätzte“ Zahl
Nach diesem Einblick in die verschiedenen Vorgehensweisen von Schätzungen bleibt also noch die Frage zu beantworten, was ist die „geschätzte“ Zahl, die Ihre Vorgesetzten am meisten (wert-)schätzen? Unabhängig davon, ob das Management mit dem professionellen Schätzen vertraut ist, sollten Sie immer eine Spanne angeben. Zu Recht werden Sie darauf aufmerksam gemacht, dass eine Spanne nur schwer in Kalkulationsprogrammen Eingang finden kann. Soll also der Durchschnitt genommen werden? Die „goldene Mitte“? Keine gute Idee. Wir Menschen neigen dazu, Zeit und Kosten zu unterschätzen. Sie kennen es von sich selbst, wenn Sie nur noch etwas „schnell fertig machen“ wollen. Machen Sie sich die Mühe und bedienen Sie sich z.B. einer Monte-Carlo-Analyse. Diese erlaubt es Ihnen, nicht nur die Daten aus der Projektplanung zu übernehmen, sondern auch noch Chancen und Risiken einzuplanen. Wie beim Roulette werden die unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten durchgegangen und statistisch berechnet. Wenn das Management also nur eine Zahl möchte, dann verwenden Sie die geschätzte Zahl, die mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit zutrifft. Welche das ist, verrät Ihnen Ihre Monte-Carlo-Analyse. Und vergessen Sie nicht, Ihre Annahmen mitzuliefern, die sagen, wie Sie zu der Schätzung gekommen sind.
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"Shit happens. So auch in Projekten"
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Quellen und weiterführende Informationen
Rolls-Royce plc (2016). The 10 +/-2 Factors For Estimate Success: ICEAA Training Symposium – October 2016.
Pfetzing, K. & Rohde, A. (2011). Ganzheitliches Projektmanagement (4. Aufl.). Zürich: Versus-Wettenberg.
Wuttke, T. & Gartner, P. (2014). Das PMP-Examen: die gezielte Prüfungsvorbereitung (7. Aufl.). Heidelberg: mitp.
Kuster, Jürg et. al. (2011). Handbuch Projektmanagement (3. erw. Aufl.). Berlin: Springer.
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