Haben Chefs ein verklärtes Selbstbild?
Marion Fürbeth
Blicken obere Chefs durch eine rosarote Brille oder haben sie den besseren Durchblick? Im zweiten Deep Dive in die Ergebnisse des Leadership Barometers 2019 gehen wir den Wahrnehmungsdifferenzen zwischen dem oberen Kader und den Mitarbeitenden auf den Grund. Chefs stufen die aktuelle Fitness bei 20 der 27 Indikatoren besser ein als die Mitarbeitenden (siehe Grafik). Gefragt wurde, wie ausgeprägt der jeweilige Indikator (Kompetenzen und Werte) in der Organisation/Führung heute ist. Der grösste Gap zwischen den Befragtengruppen tut sich bei Transparenz und Digital Fluency auf.
Nicht gelebte Werte werden zur Farce
Die Führung im oberen Kader stufen ihre Organisation in Bezug auf Transparenz, Entscheidungsfähigkeit sowie Fairness&Inklusion als einiges fitter ein als die Mitarbeitenden – alles Kompetenzen und Werte, welche durch das obere Kader vorgelebt werden müssen. Denn: Wie transparent kommuniziert wird, welche Entscheidungskompetenzen erteilt werden oder wie fair und inklusiv ein Arbeitsumfeld gestaltet wird, liegt in der Hand der Führung. Mitarbeitende können diese Komponenten kaum beeinflussen. Die Wahrnehmung der Mitarbeitenden ist deshalb in diesen Dimensionen weitaus bedeutender als die Einschätzung durch die Chefetage.
Auch wenn es nicht ganz überraschend ist, dass Führungskräfte aus ihrer Position heraus unter anderem Transparenz, Entscheidungsfähigkeit sowie Fairness&Inklusion höher bewerten, liefert die Studie hier wichtige Hinweise. Wahrnehmungsdifferenzen wirken sich direkt oder indirekt auf die Unternehmenskultur aus. Wenn die Führung beispielsweise Grundsätze zu Fairness&Inklusion formuliert und die Mitarbeitenden diese aber nicht als gelebt empfinden, werden alle Bemühungen diesbezüglich zur Farce. Mitarbeitende, welche sich nicht fair behandelt oder ausgeschlossen fühlen, sind womöglich nicht ganz so engagiert oder produktiv. Im schlechtesten Fall sabotieren sie die Organisation, um eine Gerechtigkeit aus ihrer Perspektive wieder herzustellen.
Es lohnt sich in der Führungsarbeit, Wahrnehmungsdifferenzen ernst zu nehmen und ihnen auf den Grund zu gehen. Sich zu hinterfragen, ob das, was getan wird, genug ist, bzw. die gewünschte Wirkung hat. Dies kann durch eine interne Befragung geschehen oder aber durch die Nähe zu den Mitarbeitenden. Wichtig ist, dass gezielt nachgefragt und geklärt wird. Je ausgeprägter die Vertrauenskultur im Unternehmen, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeitenden ihre Wahrnehmungen ehrlich kommunizieren. Darauf kann die Führung bauen und Optimierungen fokussiert angehen.
Leadership Barometer 2019 – Future Readiness; Fragestellung (Aktuelle Situation): Wie ausgeprägt ist der jeweilige Indikator in Ihrer Organisation/Führung heute? (Skala: 1-10); Gap-Analyse als Differenz von Antworten vom oberen Kader vs Mitarbeitende.27 Indikatoren; Gesamtstichprobe: 1’325 Befragte. (Grafik)
Unterschätzen Chefs die Digital Skills der Mitarbeitenden?
Umgekehrt stufen die Mitarbeitenden wenn es um Digital Fluency oder Reflexionsfähigkeit geht, die Organisation als merklich fitter ein als ihre obersten Chefs. Trauen die Chefs den Mitarbeitenden bezüglich Digital Skills zu wenig zu? Oder haben sie einen besseren Durchblick, weil sie in der Regel strategische Digitalisierungsprojekte vorantreiben und dadurch Defizite anders wahrnehmen? Eine weitere These könnte sein, dass in den oberen Kaderstufen weniger IT-affine Generationen am Steuer sind, welche den eigenen Kompetenzen-Gap auf die Organisation projizieren. Sollten die Mitarbeitenden in dieser Dimension mehr können und wollen, als ihnen von oben zugetraut wird – dann kann sich dies vielseitig – auch im negativen Sinne – auswirken: Kompetenzen werden nicht genügend genutzt. Oder Mitarbeitende werden zu wenig zielführend im Rahmen der digitalen Transformation eingebunden.
Wenn darüber hinaus die Führung der Organisation und somit auch den Mitarbeitenden weniger Reflexionsfähigkeit zugesteht, kann sich dies auf die Mündigkeit einer Unternehmung auswirken. Wichtige Meinungen oder Stimmen werden vielleicht überhört, weil die Führung diese als zu wenig reflektiert eingeschätzt werden. Das kann zu Frustration und Motivationsverlust bei den Mitarbeitenden führen.
Es lohnt sich, Wahrnehmungsdifferenzen zu überprüfen
Der Leadership Barometer 2019 bietet einige Hinweise zu potentiellen Wahrnehmungs- oder Einschätzungsdifferenzen zwischen Führung und Mitarbeitenden. Selbstredend spiegelt die Studie nicht jeden Unternehmenskontext wieder. Sie kann jedoch Führungskräfte dazu anregen, sich Gedanken zu machen, in welchen Dimensionen Mitarbeitende nicht dasselbe Bild von der Unternehmung haben könnten – und diesen Gap versuchen zu ergründen. Je näher Mitarbeitende und Führung in ihrer Einschätzung liegen, desto kleiner die Gefahr, dass sich ungute Spannungsfelder negativ auf die Unternehmenskultur auswirken. Es liegt in der Aufgabe der Führung, hier tragende Brücken zu bauen.
Die Studie „Leadership Barometer 2019“ wurde von der Kalaidos Fachhochschule in Kooperation mit der Schweizer Kader Organisation (SKO) und der Swissmem Academy durchgeführt. Die vollständige Auswertung finden Sie hier: „Leadership Barometer 2019“
Quellen und weiterführende Informationen
Blogbeitrag zum ersten Deep Dive in die Ergebnisse des Leadership Barometers 2019: Keine Agilität ohne Vertrauen
Blogbeitrag zur Gesamtauswertung: Leadership Barometer 2019: Bereit für die Zukunft?
Blogbeitrag zur Zwischenauswertung: Leadership Barometer 2019 – Alle auf Kurs?
Schüller, A. (2014). Das Touch Point Unternehmen – Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt. Offenbach: Gabal.
Sprenger, R. (2002). Vertrauen führt – Worauf es im Unternehmen wirklich ankommt. Frankfurt/Main: Campus.
Lesen Sie auch die Blogbeiträge zur Studie "Leadership the Swiss Way" (2018)
Leadership the Swiss Way (1/5)
Leadership the Swiss Way (2/5)
Leadership the Swiss Way (3/5)
Leadership the Swiss Way (4/5)
Leadership the Swiss Way (5/5)
###
Möchten Sie Ihr Führungsverständnis reflektieren und Veränderungsprozesse in Ihrem Unternehmen bewusst gestalten? Im CAS FH in Leadership Advanced erlernen Sie sowohl Ihre eigene Wirkung bewusst zu steuern als auch mit komplexen Führungssituationen und fluiden Organisationsformen umzugehen.