Erste Erfahrungen mit Livestream-Unterricht
Irene Willi Kägi
Seit letzter Woche findet der Unterricht an der Kalaidos Fachhochschule per Livestreaming und Online Sessions statt. Präsenzunterricht ist laut der Anordnung des Bundes zum Schutz von Studierenden, Dozierenden und Mitarbeitenden bis zum 19. April 2020 verboten. Wir haben mit Ugo Merkli, Studiengangsleiter und Kompetenzcenterleiter am Institut für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre der Kalaidos Fachhochschule gesprochen: wie Dozierende mit den Tücken der Technik zurechtkommen, wann die Kommunikation im virtuellen Klassenzimmer gelingt und was Aus- und Weiterbildungsinstitutionen tun können, damit die neuen Unterrichtsformen bestmöglich zum Einsatz kommen.
Herr Merkli, die Umstellung auf den Online-Unterricht kam praktisch von heute auf morgen. Viele Dozierende müssen jetzt ins kalte Wasser springen. Auf welche Aspekte müssen Dozierende besonders achten?
Ich hatte letzte Woche zweimal die Gelegenheit, Webex im Einsatz zu prüfen. Letzten Freitag hatten wir ein Tagesseminar vor Ort in Oerlikon und am Samstag konnte ich eine ganztägige Webex-Session von zuhause aus durchführen. Beide Male einen CAS-Kurs im strategischen Management mit ca. 20 Teilnehmenden.
Vor Ort im Klassenzimmer sind die Herausforderungen grösser als bei einer reinen Online Session vor dem Bildschirm. Zwar haben Dozierende dann (fast) ihr übliches Spielfeld und können mit den Möglichkeiten von Whiteboard, mehr oder weniger gestenreichem Vortrag und dem Einspielen von Slides etc. spielen und den Tag abwechslungsreich gestalten. Ich würde sagen, ein geübter Profi kann fast so gut agieren wie vor Publikum, weil dieses sich auch einschalten kann, Fragen stellt, Chat einsetzen kann etc. Aber eben: Es braucht Übung, weil man sich nicht nur auf die Rolle als Dozierende/r konzentrieren kann, sondern auch die technischen Mittel professionell beherrschen muss. Das fängt bei der Beleuchtung an und zieht sich weiter über die zu beherrschende Geräuschkulisse (z. B. Mikrofon-Einsatz) bis hin zum richtigen Standort vor der Kamera – damit man auch wirklich optimal (aus Sicht der Studierenden) im Bild ist. Das klingt jetzt vielleicht gar nicht so schwierig – in der Praxis ist es aber eine rechte Herausforderung.
Sind Dozierende den neuen Herausforderungen gewachsen und wie können wir als Fachhochschule Dozierende bestmöglich unterstützen?
Da wir zahlende Kundinnen und Kunden haben, müssen wir hier nicht nur schneller, sondern auch rasch wirklich gut sein. Denn auch in der Krise, oder in dieser noch mehr, sind sich die Studierenden bewusst, dass sie für unsere Leistungen bezahlen. Ein paar Minuten Unterbruch oder schlechte Audio- oder Video-Qualität werden zwar zu Beginn toleriert, aber die Geduld der Studierenden hält sich – verständlicherweise – in Grenzen. Unser Equipment ist den Ansprüchen gewachsen. Wichtig ist, die Erfahrungen zu dokumentieren und rasch zu einer Reihe von Good Practices zu gelangen.
Am Freitag haben wir es vor allem deshalb gut geschafft, weil der Referent mit dem Thema Krisenmanagement das genau richtige Thema hatte, aber auch, weil er ausgesprochen zuvorkommend auf die Anliegen der Studierenden eingegangen ist. Es gab auch eine Serie kleinerer Pannen: So gelang es uns zuerst nicht, die Studierenden aktiv zuzuschalten – nach einer technischen Pause dann schon; das Mikrofon konnte teilweise nicht geräuschfrei eingesetzt werden; die Lichtverhältnisse am Whiteboard waren suboptimal; der Einsatz von Videos erwies sich nicht als problemlos (kein Ton); die Chatfunktion für den Austausch unter den Studierenden musste angepasst werden (zu Beginn keine Auswahlmöglichkeit): das "muten" wurde nicht konsequent gemacht (Personen unfreiwillig gemutet, die was sagen wollten, Personen mit offenem Mikrofon und störendem Hintergrundsound ...). Der Referent, der sich gern bewegt, stand zudem teilweise ausserhalb des Kamera-Blickfelds und der Einsatz der Foliensammlungen und anderer Hilfsmittel war anspruchsvoll, weil es schwieriger wir, auf alles gleichzeitig Acht zu geben. Insgesamt hätte ich uns für diese Performance eine 4-5 gegeben.
Wie haben die Studierenden auf die neue Unterrichtssituation reagiert?
Die Studierenden waren auf Grund der Techniksession einen Tag vor dem Livestream gut vorbereitet und im Allgemeinen sehr diszipliniert. Das ist nötig, wenn 20 oder mehr Studierende gleichzeitig interagieren. Zudem hatten wir das Glück, dass die Unterstützung auf der technischen Seite ausgezeichnet funktionierte.
Wie ist die Kommunikation mit den Studierenden im virtuellen Klassenzimmer gelaufen?
Am Samstag habe ich die Klasse direkt über eine Webex-Session von zuhause aus durch den Tag geführt. Wir hatten zehn anspruchsvolle Präsentationen von zehn Studierenden im Halbstundentakt, mit Diskussion, mit Hintergrundchat bis hin zur Verabschiedung, weil es ja auch gleichzeitig der letzte Tag des Semesters war. Kurz und gut: Es lief fast perfekt. Ich bereitete mit allen Präsentationen eine Backup-Filesammlung auf Webex vor (die wir dann gar nicht brauchten); faktisch präsentierten neun von zehn Studierenden über Screensharing, mit oder ohne Video. Im Chat konnten wir bewerten, offen und heimlich, so dass ich meine zehn Bewertungen im Laufe des Tags direkt an die Studierenden senden konnte. Diese wiederum sendeten ihre Kommentare direkt an die Referenten und an mich.
Die Qualität der Internetverbindung war von mir aus gesehen absolut okay und keinerlei Hindernis (vorher testen ist zweckmässig). Es machte – ich übertreibe nicht – wirklich Spass. Interaktion funktionierte bestens, "muten" und Cam-Einsatz bleiben zentral und daran muss man sich zuerst gewöhnen. Technisch hatte ich nur einen kleinen Aussetzer, als ich die Ergebnisse des Tages auf dem Whiteboard zusammenfassend beschrieb. Wenn man nicht vorher aufs Whiteboard klickt, kann es sein, dass man als Schreiber das Ergebnis sieht, die Studierenden sehen aber nur das leere Whiteboard, eben bis sich eine/r beschwert und man durch Klick die Übertragung auslöst.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Nähe zu den Studierenden aufgrund der rein virtuellen Interaktion verloren geht?
Es ist nicht so, dass über online keine Emotionen fliessen. Ganz im Gegenteil. Da die meisten von zuhause aus dabei waren, kamen schon mal Kinder mit ins Bild, die ihre studierenden Elternteile bei dieser Erfahrung begleiteten. Beispiel eines Vaters an seinen kleinen Sohn:
"Schau, das ist meine Studienkollegin, sie hat uns in der letzten Veranstaltung ein kleines Geschenk mitgebracht, das ich Dir gegeben habe, erinnerst Du Dich?"
"Ja, klar, hoi …, danke vielmals für das Geschenk."
"Bitte, freut mich, Dich zu sehen und dass es Dir gefallen hat." ...
Welches sind zum jetzigen Zeitpunkt Ihre Erkenntnisse oder Empfehlungen zur Optimierung des Online-Unterrichts?
Kurz und gut: Direkte Webex-Sessions online mit vielen Teilnehmenden und aktiver Beteiligung sind sehr gut möglich und lassen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen. Klar gibt es auch hier einige technische Voraussetzungen. Bei uns hat sich am Samstag der technische Support am Anfang zugeschaltet (und ein zweiter Techniker rief mich kurz an, um zu checken, ob alles in Ordnung war). Mit deren Erfahrung war sofort klar, wenn etwas nicht funktionierte, sei das bei den Studierenden mit dem Equipment, sei es bei den Einstellungen von Webex. Es hilft sicher, im Chat die Supportnummer anzugeben und/oder diese auf dem Whiteboard mitzuführen. Dann können dort auch gleich Kommentare der Studierenden abgegeben werden, wenn etwas nicht funktioniert.
Fazit: Was wir machen funktioniert und wird unser Repertoire nicht nur während der Krise erweitern. So erhält online Schub. Webex hat meiner Einschätzung nach den Vorteil, zuverlässig zu funktionieren, auch wenn es administrativ teilweise etwas kompliziert ist bzw. am Anfang so scheint. Ich würde mich auf jeden Fall momentan nicht gross auf Diskussionen einlassen, was nun weshalb das beste Tool ist. Im Hintergrund lassen sich zeitgemässe Tools ausprobieren und Erfahrungen austauschen, aber im Moment ist das so okay. Und der Rest, wie gesagt, ist wie immer: Üben, üben, üben. Zusammen mit guter Vorbereitung und zuvorkommendem Eingehen auf die Anliegen der Studierenden und einer Prise Humor klappt es.
Herr Merkli, herzlichen Dank für das Interview.
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