nRLR: Nutzen und Versäumnisse (1/6)
Hanspeter Baumann, René Krügel
Die Einführung des neuen Rechnungslegungsrechts (nRLR) hat den Unternehmen und Organisationen hohe Kosten verursacht. Lesen Sie hier Überlegungen zu Nutzen und Versäumnissen.
Anstoss zur Revision des OR-Rechnungslegungsrechts
Das alte Rechnungslegungsrecht wurde im Kern im Jahr 1991 in Kraft gesetzt. Diverse Bestimmungen im nRLR stellen nichts anderes als nachträgliche Anpassungen des Gesetzgebers an die zwischenzeitlich erfolgte Praxisentwicklung dar (z.B. Erfolgsrechnung in Staffelform, Rechnungslegung in Fremdwährung oder in englischer Sprache). Der Gesetzgeber hat neu eine einheitliche Ordnung für alle Rechtsformen des Privatrechts geschaffen.
Es wurde klar zwischen den Anforderungen für kleine und für grosse Unternehmen unterschieden. Dies ist als Fortschritt zu betrachten.
Das neue Rechnungslegungsrecht wurde nach einem knapp zehnjährigen parlamentarischen Prozess als zweites Gesetzespaket – im Rahmen der grossen Aktienrechtsrevision – in Kraft gesetzt.
Ziel "Verstärkung der Transparenz für die Beteiligten" verfehlt?
Das wichtigste Ziel der Rechnungslegung wurde in der Botschaft wie folgt dargestellt (vgl. Seite 1623 der Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts vom 21. Dezember 2007):
„Die Gesellschafterinnen und Gesellschafter sollen durch die Buchführung und die Rechnungslegung einen verlässlichen Überblick über die Vermögens-, Finanzierungs- und Ertragslage des Unternehmens erhalten. Gestützt darauf können sie beurteilen, ob ihr Kapital gewinnbringend und sicher investiert ist. Eine zuverlässige Information über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft ist für die Gesellschafterinnen und Gesellschafter eine unabdingbare Voraussetzung für eine sachgerechte Ausübung ihrer gesetzlichen Rechte."
Ursprünglich wollte der Gesetzgeber eine Rechnungslegung nach „true and fair view“ einführen. Das heisst eine Rechnungslegung ohne stille Willkür-Reserven, welche auf einem umfassenden Gliederungs-, Bewertungs- und Offenlegungskonzept basiert und welche die "tatsächlichen" Verhältnisse darstellen soll.
Dieses Vorhaben wurde nur unvollständig in die Tat umgesetzt und so dürfen Unternehmen und Organisationen weiterhin – im Vergleich zu früher nur wenig eingeschränkt – stille Willkür-Reserven bilden, wobei für Bewertung und Offenlegung ein recht grosser Interpretationsspielraum besteht. Lediglich bezüglich Gliederung bestehen nun sehr detaillierte Vorgaben.
Dies ist Fluch und Segen zugleich.
Der Informationsgehalt der Rechnungslegung nach OR kann je nach Höhe der stillen Reserven tief sein. Dies kann man bedauern.
Allerdings stellen stille Reserven aus Sicht vieler Unternehmen einen wesentlichen Vorteil dar. Der kurzfristige Appetit von Aktionären und Steuerbehörden auf Dividenden beziehungsweise Steuereinnahmen kann in gewissen Grenzen dosiert werden. Entsprechend können stille Reserven unter Umständen mithelfen, eine längerfristige Perspektive einzunehmen oder das Unternehmen durch Krisenzeiten zu bringen.
Auf der anderen Seite können stille Reserven eine Geschäftsführung dazu verleiten, ungenügende Resultate vor den Aktionären (und bei genügend Realitätsferne auch vor sich selbst) zu verschleiern und so zum Schaden des Unternehmens notwendige Gegenmassnahmen verzögern.
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In den nächsten Blogbeiträgen befassen wir uns mit den folgenden Themen:
„nRLR: Nutzen und Versäumnisse (2/6)“: Stärkung Minderheitenschutzrechte
„nRLR: Nutzen und Versäumnisse (3/6)“: doppelte Buchhaltung – doppelter Ergebnisausweis, kurzfristig gehaltene Aktiven mit Börsenkurs, Wertberichtigung auf kurzfristig gehaltene Aktiven mit Börsenkurs
„nRLR: Nutzen und Versäumnisse (4/6)“: Angaben im Anhang über die in der Jahresrechnung angewandten Grundsätze
„nRLR: Nutzen und Versäumnisse (5/6)“: Leasingverbindlichkeiten im Anhang, true and fair view für Genossenschafter, Geldflussrechnung nur im Einzelabschluss
„nRLR: Nutzen und Versäumnisse (6/6)“: Schlussbemerkungen