Michaela Christian Gartmann, HR-Leiterin PwC Schweiz Michaela Christian Gartmann, HR-Leiterin PwC Schweiz
(Bild: PwC & Kalaidos FH)

Was braucht es, um die Gleichstellung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Beruf zu erreichen? Wir suchen nach Antworten, Tipps, Empfehlungen und Best Practices. Dazu haben wir mit Michaela Christian Gartmann, HR-Leiterin PwC Schweiz, gesprochen. In diesem letzten Teil unserer dreiteiligen Blogbeitragsserie wird Gartmanns Expertise zu Personal-, Diversity- und Inklusionsthemen der Situation von zwei betroffenen Arbeitnehmenden gegenübergestellt (vgl. Interviews mit Anne Gersdorff, Teil I und Paul Bucher, Teil II).

1. Hat eine körperlich behinderte Person wie Anne auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen wie alle anderen, Arbeit zu finden, Karriere zu machen und die Stelle zu wechseln?

Aktuell ist dies auf dem Schweizer Arbeitsmarkt leider noch nicht der Fall. Oftmals herrschen Vorurteile. Oder es fehlt eine gewisse Bereitschaft, sich mit der individuellen Situation auseinanderzusetzen sowie die Herausforderungen im Arbeitsalltag zu besprechen und zu prüfen, wie diese gelöst werden könnten. Genau aus diesen Gründen sind die Arbeit und das Engagement von Personen wie Anne so wertvoll. Sie machen auf die Problematiken aufmerksam und zeigen konkret auf, was mit einer Behinderung alles möglich ist. Das hilft, integrative Denkweisen zu verankern und zu fördern, vor allem aber auch, Stigmata abzubauen. Das aktive Zuhören gilt auch für uns – wir nehmen bei PwC ernst, was Anne und andere Personen mit Beeinträchtigungen zu sagen haben. Wir wollen ein inklusiver Arbeitsplatz sein, zum einen, um selbst aktiv zu einer positiven Veränderung in unserer Gesellschaft beizutragen, zum anderen, weil diversere Teams nachweisbar bessere Lösungen entwickeln.

2. Wie sieht bei PwC die berufliche Gleichberechtigung von Arbeitnehmenden aus wie Paul, der an einer chronischen Erkrankung leidet?

Unser Ziel ist es, allen Mitarbeitenden die gleichen Chancen zu bieten. Da Erkrankungen und Beeinträchtigungen in vielfältiger Form auftreten können, ist es elementar, dies individuell mit dem Mitarbeitenden abzuklären und Möglichkeiten zur Unterstützung seitens des Arbeitgebers zu prüfen. Je nachdem ist beispielsweise eine vorübergehende Anpassung bei den Verantwortlichkeiten, ein interner Stellenwechsel oder die Nutzung von flexiblen Arbeitsmodellen sinnvoll. Mit unserem Jahresarbeitszeitmodell, dem “Hybrid Flexible Model”, bei dem unsere Mitarbeitenden ihren Arbeitsort mit ihrem Team, Vorgesetzten und Kunden abstimmen, können wir flexible Lösungen bieten. Wir sind uns bewusst, dass gerade auch die Kommunikation und Massnahmen zur vermehrten Sensibilisierung von Mitarbeitenden mit einer Erkrankung oder Beeinträchtigung essenziell sind. Aus diesem Grund hat PwC letztes Jahr erstmalig einen globalen Disability Leader ernannt. Zudem haben wir mit Kolleg:innen von PwC Europa eine Arbeitsgruppe gegründet, mit dem Auftrag, weitere Möglichkeiten einer gelungenen Inklusion von Menschen mit Behinderung zu prüfen, wie etwa einen barrierefreien Zugang zu all unseren Büroräumlichkeiten.

3. Pauls Erkrankung ist von aussen nicht sichtbar. Er hält diese vor seinem Arbeitgeber geheim. Würde Transparenz dazu beitragen, Vorurteile gegenüber Arbeitnehmenden mit Behinderungen abzubauen?

Ich verstehe Pauls Bedenken und Ängste. Es muss ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden. Wenn Unternehmen proaktiv ihr Engagement für Menschen mit Benachteiligungen und chronischen Erkrankungen nach aussen tragen, kann dies Betroffene in einem offenen Umgang mit ihrer Krankheit bestärken. Kommunizieren Menschen ihre Behinderungen oder chronischen Erkrankungen offen und transparent, hilft dies wiederum, allfällige Vorurteile oder Stigmata bei Arbeitskolleg:innen und Vorgesetzten abzubauen. All dies ist jedoch nur dann überhaupt möglich, wenn Unternehmen nicht nur gegen aussen stark auftreten, sondern nach innen aktiv einen geschützten Raum kreieren, innerhalb dessen sich Mitarbeitende sicher fühlen, wenn sie ihre Bedürfnisse äussern. Dieses Ziel wird möglich durch das Schaffen einer Unternehmenskultur mit “psychological safety”. Daher ist die kulturelle Veränderung hin zu mehr und mehr Transparenz und damit auch gelungener Akzeptanz und Integration innerhalb unserer Firma ein wichtiger Bestandteil unserer HR-Strategie. Es geht darum, ein offenes und inklusives Arbeitsumfeld in die Firmenkultur zu integrieren, innerhalb dessen jede:r Angestellte:r bei PwC sein authentisches “Selbst” zeigen, leben und zur Arbeit bringen kann. Eine Person mit – zum Beispiel - Pauls Voraussetzungen sowie Einschränkungen soll sich bei uns eingeladen fühlen, ihre Situation zu besprechen. Das fördert das gegenseitige Verständnis, schafft Raum (psychische) Belastungen zum Thema machen zu können, und ermöglicht es allen Beteiligten unter den gegebenen Voraussetzungen die bestmöglichen Umgangsweisen und Unterstützungen seitens des Arbeitgebers zu finden.

4. Anne vermisst es, dass Menschen proaktiv auf sie zu gehen und danach fragen, was sie braucht, um ihre Arbeit bestmöglich wahrzunehmen. Was halten Sie von einem Verhaltenskodex oder Empfehlungen für Mitarbeitende zum Umgang mit Menschen mit Behinderungen?

Oftmals haben Arbeitskolleg:innen Hemmungen, Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen direkt anzusprechen. Sie zweifeln vielfach, ob sie sich “richtig” verhalten oder Personen gar zu nahe treten. Deshalb geht es in erster Linie darum, eine Awareness zu schaffen. Einen Verhaltenskodex für den Umgang mit Menschen mit Behinderung, der bereits im Rekrutierungsprozess zum Tragen kommt, kann meines Erachtens helfen, Berührungsängste abzubauen und integrative Denkweisen zu fördern. Um eine offene und inklusive Arbeitswelt zu schaffen, ist ein kontinuierlicher Prozess mit klaren Commitments erforderlich. Kommunikation ist für mich der wichtigste Schlüssel – dies gilt einerseits für uns als Firma, um innerhalb des Unternehmens Klarheit zu schaffen, aufzuklären und ein Verständnis für ein inklusives Miteinander zu schaffen. Andererseits aber vor allem auch für die betroffenen Personen selbst. Damit eine inklusive Arbeitswelt Realität werden kann, müssen wir als Gesellschaft und als Firma lernen, wie wir betroffenen Personen aktiv zuhören können und müssen bereit sein, Barrieren abzubauen.

5. Hat PwC Schweiz besondere Leitlinien zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen?

Wir nutzen einerseits einen internen Verhaltenskodex (PwC’s Code of Conduct), andererseits haben wir für unsere Dienstleister ebenfalls einen Verhaltenskodex mit ähnlichem Inhalt (Third Party Code of Conduct) erstellt. So möchten wir sicherstellen, dass alle Bewerber:innen und Angestellten sowohl bei PwC direkt als auch bei Drittanbietern die gleichen Anstellungsbedingungen haben. Zudem sind wir seit Kurzem Teil von The Valuable 500, der weltweit grössten Initiative von CEOs, die sich für die Inklusion von Menschen mit Benachteiligungen einsetzt. In diesem Zusammenhang sollen insbesondere Führungskräfte weltweit für diese Thematik sensibilisiert werden. Damit möchten wir eine integrative Kultur bei PwC noch stärker verankern.

6. Was tut PwC Schweiz konkret, um Mitarbeitende mit Behinderungen vor Diskriminierung und ungleicher Behandlung zu schützen?

Das Thema Gleichstellung und Inklusion von Personen unabhängig von Geschlecht, Religion, Ethnie, sexueller Orientierung oder physischen und psychischen Einschränkungen wird von mir persönlich und von PwC als Arbeitgeber mit höchster Wichtigkeit und einer Null-Toleranz-Grenze behandelt. Sollten Mitarbeitende sich diskriminiert fühlen, können sie sich jederzeit anonym oder unter Angabe ihrer Daten an unser Ethikbüro wenden. Die Verfahren werden streng vertraulich behandelt und, wo nötig, Massnahmen ergriffen. Präventiv führt das Ethikbüro Workshops und Schulungen durch um ein Bewusstsein für einen respektvollen und inklusiven Umgang mit Arbeitskolleg:innen und Kund:innen zu fördern. Zudem veröffentlicht es regelmässig Artikel zu diesen Themen auf unserer Website sowie in unserem Intranet.

7. Wie unterstützt PwC Schweiz Mitarbeitende mit besonderen Bedürfnissen, sei es einer körperlichen Behinderung oder einer chronischen Erkrankung, in ihrem Arbeitsalltag?

Wir achten im gesamten Bewerbungsverfahren auf Chancengleichheit für alle Bewerber:innen, welche die professionellen Voraussetzungen des Stelleninserates erfüllen. Jede Person mit Beeinträchtigung kann und soll sich frei fühlen, zu jedem Zeitpunkt ihre besondere Situation und ihre Bedürfnisse zu kommunizieren – ist dazu aber natürlich im Bewerbungsprozess zu keiner Zeit verpflichtet. Mit unserem Facility Management werden benötigte Anpassungen bei der Arbeitsinfrastruktur umgesetzt. In der Schweiz unterstützt auch der Bund bei Bedarf Unternehmen, um Personen mit speziellen Bedürfnissen die Integration am Arbeitsplatz zu vereinfachen, wie etwa spezielle Computerprogramme, mit denen die Arbeit am Computer für Menschen mit beeinträchtigter Sehkraft erleichtert wird. Wir haben uns weiterführend dazu verpflichtet, kontinuierlich Barrieren für Menschen mit Beeinträchtigung zu beseitigen und eine lokale Strategie für die verbesserte und gelebte Inklusion auf der Grundlage europäischer/globaler Leitlinien zu erarbeiten.

8. Wie werden Führungskräfte und Mitarbeitende geschult, damit Betroffene als Mehrwert und nicht als "Last" empfunden werden?

Es ist fundamental, unseren Mitarbeitenden zu einem inklusiven Mindset zu verhelfen, um ein integratives Verhalten am Arbeitsplatz zu ermöglichen und gemeinsam eine inklusive Kultur zu leben. Dazu gehört auch ein direkter Austausch zwischen betroffenen und nicht betroffenen Menschen, sowie die Entwicklung von ‘human skills’ wie beispielsweise Zuhören oder Empathie. PwC nimmt an diversen Programmen teil, um dies zu ermöglichen. Beispielsweise bilden wir gemeinsam mit dem Berufslehrverbund Zürich und der Stiftung Rossfeld in Bern Lernende mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen aus. Wir konnten hier sogar bereits schon zwei Personen nach ihrer Ausbildung bei uns einstellen – ein schöner Erfolg! Und mit unserem Austauschprogramm “Changing Lines” können unsere Führungskräfte eine Woche in Einrichtungen für Menschen mit Benachteiligungen oder Psychiatrien arbeiten. Daneben bieten wir bereits zahlreiche Freiwilligenaktivitäten mit teils langjährigen Partnern wie Insieme an. Das firmeninterne Programm aus dem Bereich "Diversity & Inclusion" ist stark in unserer Strategie verankert und bietet für Mitarbeitenden sowie Führungskräften Schulungen und Trainings rund um die Förderung einer integrativen Denkweise, dem Abbau von Stigmata, dem (Früh-)Erkennen von psychischer Belastung und dem Umgang mit individuellen Lebensrealitäten unserer Mitarbeitenden.

Liebe Frau Gartmann, herzlichen Dank für das Interview.

Autor/in
Irene-Willi

Irene Willi Kägi

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Autor/in
Anne-Kathrin Bolender

Anne-Kathrin Bolender

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MAS FH in Human Resource Management (HRM)

Master of Advanced Studies (MAS)

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