Working Out Loud: ein Blick hinter die Kulissen
Annette Fink
Kennen Sie das nicht auch? Buzzword dropping an vielen Orten und man fragt sich, was wirklich dahinter ist? So ging es so mir dem Begriff „Working Out Loud“ bzw. WOL, der immer häufiger meinen Weg kreuzte - in Beiträgen auf LinkedIn oder in Weiterbildungen. Das Ganze erschien mir etwas geheimnisumwoben – zumal WOL vielfach als die ultimative Methode für mehr Agilität, Innovation und Zusammenarbeit gepriesen wird. Und das mit einer euphorischen Begeisterung. Ich wollte wissen, was sich wirklich dahinter verbirgt und bekam im Herbst letzten Jahres die Gelegenheit im Rahmen der Workhacks@Kalaidos-Reihe, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen und praktische Erfahrungen zu sammeln.
Der Rahmen von WOL: zu einfach um wahr zu sein
Das Format von WOL schien denkbar einfach und machbar: sich 1x Mal die Woche treffen mit einer gleichgesinnten Gruppe (virtuell oder analog) für jeweils 1 Stunde, insgesamt 12 Wochen unter inhaltlicher Steuerung der sogenannten Circle Guides, die es für jede Woche kostenfrei herunterzuladen gibt. Diese Circle Guides liefern jeweils eine Agenda sowie gewisse Aufgaben und Übungen, die absolviert werden sollen. Soweit so gut. Unsere Gruppe gab sich in Woche 0 gegenseitig das Commitment, die 12 Wochen durchhalten zu wollen, auch wenn es mal schwierig werden sollte. Wir regelten das Formale wie Termine, Spielregeln, Moderatoren / Timekeeper-Rolle. Es konnte losgehen.
Ziel und Beziehungsliste – der Kern von WOL
In Woche 1 definierte jeder gemäss Circle Guide ein Ziel (beruflich oder privat), was man in den 12 Wochen erreichen wollte. Zentral im Prozess war die sogenannte „Beziehungsliste“, auf die man Namen von Personen schrieb, die mit dem persönlichen Ziel in Verbindung stehen. Das können Personen sein, die man schon kennt, oder noch nicht. Jede Woche hatte der Circle Guide ein Schwerpunktthema (Motto) wie beispielsweise „werde sichtbar“, „mach es zur Gewohnheit“ usw.
Lernen durch Coaching-Inputs in selbstorganisiertem Setting
Im Ablauf waren einige Übungen, die mir auch schon aus dem Coaching-Kontext bekannt waren. Einige machten sogar richtig Spass. Der „Brief an das Zukünftige Ich“ mit der Option, diesen in einer digitalisierten Zeitkapsel zu hinterlegen, war eines meiner Highlights (auch wenn ich dafür nicht WOL brauche). Oder die Übung der „50 Fakten über mich“. Dies führte zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass viele Gemeinsamkeiten unter meinen WOL-Gschpänlis bestehen, die wir auf den ersten Blick nicht erkannt hätten. Damit stellte sich schnell ein Gefühl von Verbindung und Vertrauen untereinander ein. Ein gewünschter Nebeneffekte zum Aufbrechen von Unternehmenssilos und Förderung informellen Lernens & Austauschs? Ich glaube, dass ich auch vorher schon zu den Kolleginnen einen guten Draht hatte, aber jetzt weiss ich noch genauer, an welchen Themen sie interessiert sind und kann gegebenenfalls mitdenken. Und vielleicht wurde mir noch bewusster, dass es nett ist, Wissen und Inhalte zu teilen mit Menschen, für die ein Thema Relevanz hat. Aber das war bis jetzt noch kein Rocket Science für mich.
Social-Media-Präsenz über alles?
Mir erschien der Grundtenor der Lernmethode WOL eher wie „Social Media für Anfänger“. Es geht vor allem darum, mit seinen Anliegen und Themen (digital) sichtbar zu werden. Man wird schrittchenweise animiert, andere Beiträge zu liken, Kontakt aufzunehmen, Wertschätzung und Anerkennung zu zeigen. Wer es noch nicht weiss, erfährt hier wie er eine personalisierte Kontaktanfrage auf LinkedIn erstellt und dass die Annahmequote höher ist als bei einer Standardanfrage.
Mittlerweile leide ich schon fast etwas unter Paranoia, wenn jemand einen Beitrag von mir liked oder kommentiert. Vielleicht hat diese Person auch WOL durchlaufen und muss als Aufgabe aus dem Circle Guide mit jemanden in Kontakt treten oder öffentlich Wertschätzung zeigen. (Die Aufgabe gibt es wirklich). Auch die Komfortzone wird "gestretched": Ich habe jetzt einen Twitter Account, weil der Circle Guide es so wollte.
Darüber hinaus wird die propagierte digitale Präsenz meines Erachtens zu wenig kritisch gesehen, sondern eher als Allheilmittel in Sachen Beziehungsgestaltung. In Zeiten, wo es Bücher über „Digitale Demenz“ gibt und Psychologen über die Wirkungen von zu viel "Digitalität“ auf unser Gehirn und unsere Emotionen forschen, wäre hier eine kritischere Haltung angebracht.
US-Konzept auch für Europäer geeignet?
Auch in Sache Netikette unterstützt uns John Stepper. Der Begründer von WOL informiert, dass wir doch Personen, die ähnliche Interesse haben, einander (elektronisch) vorstellen können. Dazu muss ich erst die Personen fragen, ob es ihnen recht ist – und ihnen ihren persönlichen Vorteil aufzeigen. Vieles aus den Circle Guides erscheint wie gesunder Menschenverstand.
Aufzugreifen ist an der Stelle, dass kulturelle Aspekte nicht übersehen werden dürfen. WOL wurde von einem Amerikaner entwickelt und die Circle Guides offensichtlich einfach übersetzt. Vielleicht wirken auch deshalb manche Anregungen etwas sperrig für den Mitteleuropäer.
In unserer Gruppe, gab es immer wieder Aufträge und Übungen, die uns sinnbefreit erschienen und die wir verweigert haben. Wir haben unsere Widerstände - es gab einige - ernst genommen und diskutiert. Es gab auch die Aussagen, dass man nur noch dabei ist wegen der Gruppe, nicht wegen des Inhalts. Ich könnte mir dagegen vorstellen, dass gewisse Menschen oder Berufsgruppen, deren Hauptfokus nicht Austausch und Kommunikation ist, noch mehr von dem Konzept profitieren.
Was auffällt ist, dass John an einigen Stellen seiner Circle Guides die WOL-Teilnehmenden animiert, ihn anzuschreiben oder Beiträge zu veröffentlichen wie beispielsweise “I’m in a Working Out Loud Circle! Hello @johnstepper”. Auch tauchen mittlerweile zertifizierte WOL Coaches in der Learning-Landschaft auf. Also vielleicht doch nur ein Geschäftsmodell, auch wenn die fünf Elemente von WOL sich ja grundsätzlich erst mal sozialromantisch ansprechend anhören.
Fazit
Wir alle haben die 12 Wochen durchgehalten und unser WOL-Experiment zu Ende gemacht. Das Ziel an sich ist gar nicht wichtig, erfahren wir später – es geht vor allem um den Prozess. Würde ich es nochmal machen? Ja, und ich befinde mich zurzeit in meinem zweiten WOL-Zirkel. Meine Motivation war, meine gemischten bis eher ernüchternden Erfahrungen aus dem ersten Zirkel zu überprüfen. Und ja, die Erfahrungen sind weitgehend ähnlich, das heisst vermutlich Gruppen unabhängig.
WOL ist sicherlich eine strukturierte, selbstorganisierte Gruppenmethode, die individuelles Lernen unterstützt. Aber für mich nicht der „heilige Gral“. Und man muss ja nicht immer dem folgen, der am lautesten schreit oder die meisten Anhänger hat. So bin ich bestrebt noch andere Selbstlernmethoden kennenzulernen, beispielsweise gibt es auch LernOS, LOL (Learning Out Loud) (Verlinken) etc.
Ich kann nur empfehlen, selber mal die Erfahrung zu machen. Und der Aufwand 12x 1 Stunde plus gegebenenfalls Vorbereitung – ist meines Erachtens verschmerzbar. Dafür ist man um eine Erfahrung reicher und kann wirklich mitreden. Auch die Tatsache, dass viele grosse Firmen auf die Methode setzen, um ihre Mitarbeitenden engagierter werden zu lassen, zeigt, dass vielleicht doch etwas dran ist an der Wunderwaffe WOL.
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