Entschleinigen und mit sich selbst in Kontakt kommen Entschleinigen und mit sich selbst in Kontakt kommen
Entschleunigen und mit sich selbst in Kontakt kommen (Symbolbild)

"Jeder dritte Schüler hat Burnout-Symptome" (SonntagsZeitung 18.8.2018) – auch das noch: Jetzt kommt unsere übertriebene Leistungsorientierung sogar im Kinderzimmer an. Was soll man machen? Wir wollen schliesslich das Beste für unseren Nachwuchs, nur realisieren wir dabei nicht, dass wir unseren eigenen Druck auf die Kinder übertragen – sei es, weil wir meinen, gesellschaftlichen Normen entsprechen zu müssen oder die von Wirtschaft und Politik gestellten Erwartungen an die Schule erfüllen zu haben. Was können wir gegen diese Hetze und dieses Getriebensein tun? - Bei sich selbst anfangen! 

Es stimmt schon, ich mache alles mit der Haltung eines Leistungssportlers: immer an die Grenzen gehen, bereit "die Extrameile zu gehen", den Konkurrenzkampf aufzunehmen. Und dabei werde ich unterstützt durch die entsprechenden Werbeslogans grosser Sportbrands: "When the going gets tough, the tough get going", "Nothing is impossible", "Beating the competition is relatively easy", “Just do it”... Internationale Grossfirmen sprechen von der “Challenge of a corporate athlete”. Ich merke, dass ich eigentlich immer mit einer unsichtbaren Startnummer unterwegs bin: immer leistungs- und wettkampfbereit.

Wie geht es mir eigentlich?

Selbstredend, dass ich mich passend dazu nicht mit Fastfood, süss und fettig, ernähre, sondern mit Avocado und Chia-Samen. Ebenso runde ich meinen Optimierungstag mit Yoga, Entspannungsübungen oder Meditation ab. Ich mache alles und das richtig gut – um fit zu sein für den täglichen Wettkampf. Und doch stimmt irgendetwas nicht so richtig, es fehlt etwas, doch was? Ich bin irgendwie nicht ganz im Gleichgewicht, zwar nicht depressiv, einfach etwas übermüdet und leicht gereizt. Vielleicht lohnt es sich, einmal kurz durchzuatmen und bei sich nachzuspüren: Wie geht es mir eigentlich? Macht mir das alles noch Spass? Und bei diesem Tempo?

Tue ich das Richtige?

"Managers do things right – Leaders do the right things." Sie kennen diesen Spruch oder können sich leicht darunter vorstellen, was gemeint ist. Viel zu oft überlegen wir nicht lange, sondern erfüllen die vor uns liegenden Aufgaben. Vielleicht führen wir eine To-Do-List, sicher eine Agenda mit Terminen – wir strukturieren unsere Arbeitswoche, den Arbeitstag und es erfüllt uns mit Zufriedenheit, die einzelnen Tasks abzuhaken.

Führe ich ein Leben mit Sinn?

Das Leben könnte, sollte, dürfte allerdings mehr sein, als das Abarbeiten von Aufgaben. Ja, jetzt kommt die Sinnfrage. Sinn kommt ja von sinnan, mittelhochdeutsch für "einer Richtung nachgehen, einen Weg gehen". Das Leben soll für einen sinnvoll sein, der Weg, das Wohin und Wozu soll stimmig sein. Diese Stimmigkeit wird in der Gesundheitsförderung unter dem Begriff der "Kohärenz" zusammengefasst: "Sinnhaftigkeit" (Meaningfulness) ist die Wichtigste von drei Komponenten, die einen gesund erhalten. Nebst den anderen beiden "Verstehbarkeit" (Comprehensibility) und "Machbarkeit" (Manageability): Ich muss Dinge, die passieren, einordnen können und ich muss immer wieder die Gewissheit haben: Ja, ich kann mein Leben bewältigen. Wir kennen die Kraft des "Yes, I can!".

Wie kann ich meinen Alltag entschleunigen?

Doch wie können wir etwas mehr Sinn in den Alltag bringen? – Indem wir unseren Alltag merklich entschleunigen und besser in Kontakt mit uns selbst kommen. Daraus verknüpfen wir unser Tun gleichzeitig mit mehr Sinn. Wir spüren so viel besser, ob wir auf unserem Weg sind oder merken viel rascher, wenn wir von ihm abgekommen sind. Das geht zum Beispiel so:

Mit gutem Selbst-Kontakt in den Tag starten

2-Minuten-Achtsamkeit

Nach dem Aufwachen die Aufmerksamkeit während zwei Minuten gegen innen lenken und nachspüren: Wo war ich gerade? Vielleicht bleiben Sie noch an einer Traumsequenz hängen und lassen Sie sich ins Bewusstsein treten. Diese könnte Ihnen vielleicht sogar noch einen Hinweis geben für den Tag.

5-Minuten-Gymnastik

Danach noch nicht zum Handy greifen, sondern etwas Verbindung zum Körper schaffen: recken, strecken, fünf Minuten Gymnastik aus dem Körper heraus machen. Das heisst, nicht unbedingt ein Programm abspulen – das ist auch ok– aber lieber aus einer Stützstellung, z.B. dem «Hund» aus dem Yoga oder dem «Vierfüssler» aus der Physio beginnen, sich nach Gefühl zu bewegen, mit dem Ziel, sich weit zu machen, beweglicher. Sie können sich auch mit Faszienrollen etwas geschmeidig machen.

2-Minuten-Meditation

Setzen Sie sich in den Schneidersitz, vielleicht am besten auf ein Sitzkissen oder auch auf einen Stuhl auf die Sitzkante, so dass Sie Ihren Rumpf ohne Anstrengung aufrecht halten können. Legen Sie die Hände auf die Oberschenkel, konzentrieren Sie sich auf den Atem und versuchen Sie einfach in dieser Körperwahrnehmung zu bleiben. Denken Sie nicht nach. Trotzdem werden Gedanken kommen – richten Sie einfach Ihre Aufmerksamkeit sofort wieder auf den Atem.

Mit gutem Rhythmus durch den Tag gehen

EIN tiefer Atemzug

Bei jedem Übergang, das heisst, wenn Sie Ihren Telefonanruf beenden, wenn Sie Ihre Mails gecheckt haben, wenn Sie den Meetingraum betreten, wenn Sie die Präsentation starten, dann machen Sie EINEN bewussten Atemzug. Das verbindet Sie sofort mit dem Körper ins Hier und Jetzt, beruhigt Sie, macht Sie klarer und Sie sind bereiter für das, was kommt. Also gut, nicht bei jedem Übergang. Aber ruhig x-mal am Tag. Probieren Sie es – so einfach es tönt, es wird grosse Wirkung entfalten.

2 x 15 Minuten Denkpause

Nach jeder grösseren Aufgabe, sicher aber je einmal am Vormittag und am Nachmittag machen Sie eine Denkpause. Privatsurfen, News checken, all das gilt nicht. Weg vom Bildschirm, am besten auch wieder unter freiem Himmel, eigentlich wie eine Rauchpause, einfach ohne Zigarette. Eben abschalten. Oder natürlich mit Kollegen plaudern, aber nicht über die Arbeit.

30-Minuten-Bewegung

Heisst Fortbewegung auf eigenen Beinen, so dass Ihr Herz-Kreislaufsystem etwas in Gang kommt. Es muss nicht Schwitzen bedeuten mit Jogging oder Biken, Spazieren reicht auch. Aber bitte nicht einfach 10’000 Schritte gemäss Ihrer Fit-Watch abspulen. Es wäre besser für den Effekt, wenn Sie die Schritte am Stück machen, noch besser draussen an der frischen Luft und noch besser, wenn Sie sich auf die Bewegung, Ihr Innenleben und die Sinneseindrücke aus der Natur konzentrieren. Weil Sie dann automatisch "zu sich kommen", sich Dinge ordnen, relativieren, Sie Ideen erhalten und eben besser merken, was Sie heute eigentlich machen und wie Sie so drauf sind. Das kann selbstredend auch in den Arbeitsweg integriert werden. Oder über Mittag. Krafttraining oder Sport sind auch gut.

Den Tag schön abrunden

Musse geniessen

Musse geniessen können ist eine Kunst die Workaholic-Menschen nämlich kaum können. Es muss ja immer etwas laufen und das auch in der Freizeit: reinziehen, abspannen. Wir machen das jetzt anders, wir lassen etwas Zeit verstreichen, ohne sie sofort wieder aufzufüllen, beispielsweise an der Busstation, im Zug, im Auto oder dann zuhause. Einfach mal sein oder etwas Schönes schauen oder Feines essen oder in den Wald gehen. Auf der Parkbank Vögel füttern, eine Blume anschauen, eine Wolke, eine Welle, so etwas.

Beziehungen pflegen

Schade, wenn man ausgerechnet bei seinen Liebsten gereizt und genervt ist, weil man seine ganze Kraft schon im Büro gelassen hat. Aber wir hatten ja schon einen guten Start, einen rhythmischen Tag und etwas Musse. Vielleicht haben wir so sogar noch ein offenes Ohr für die, die zuhause auf einen warten. Und sonst abwarten, bis die Kleinen im Bett sind und mit dem Partner / der Partnerin oder Freunden Kontakt aufnehmen. Auf jeden Fall besser als Netflix und Co., weil eben Dialog möglich wird.

Positives Tagebuch

Der Römer sagte "Nulla dies sine linea", was soviel heisst, wie jeden Tag etwas notieren. Aus der Depressionstherapie wird beispielsweise mit grosser Wirkung empfohlen, den eigenen Tag kurz zu reflektieren und dabei kleine positive Erlebnisse zu notieren. Dadurch trainiert man sich darauf, seine Aufmerksamkeit auf das, was gut läuft, zu richten und dadurch passieren einem automatisch immer mehr positive Dinge. Es ist einfach wie die Geschichte mit dem "halbvollen Glas" – es hilft einem stimmungsmässig mehr, den Fokus auf das schon Gelungene zu richten, als sich über das Fehlende aufzuregen oder sich als Opfer zu sehen.

Sie sehen, es sind die kleinen Dinge, die grossen Effekt bringen. Lieber jeden Tag ein paar Minuten – nicht umsonst heisst es "Alltag" – für "alle Tage". Es braucht Aktion UND Reflektion, Beschleunigen UND Entschleunigen, Kopfarbeit UND solche mit dem Körper. Wir brauchen Beziehung zu anderen UND zu uns selbst, so dass wir merken, wohin wir wollen und wozu wir etwas machen. Dann wird niemand in ein Burnout oder Boreout geraten. Und auch unsere Kinder nicht.

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Quelle und weiterführende Informationen

Tan, C., (2012). Search Inside Yourself. München: Arkana Verlag.

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