Resilienz: Reise zur inneren Stärke
Irene Willi Kägi
Menschen, die Belastungen der Arbeitswelt mit einer psychischen Widerstandskraft begegnen, bezeichnet man als resilient. Diese innere Stärke steckt in jedem von uns, wurde jedoch aus unterschiedlichen Gründen verschüttet. Das sagt Dr. med. Mirriam Priess in ihrem Buch „Resilienz“, das auf der Grundlage ihrer therapeutischen Tätigkeit als Ärztin, Beraterin und Coach entstanden ist. Die Lektüre eignet sich für alle Menschen, die bereit sind, hinter die eigene Oberfläche zu schauen.
Priess hat jahrelange Erfahrungen in der Behandlung von Menschen mit Ängsten, Depressionen und Burnout an einer psychosomatischen Fachklinik gesammelt und berät heute Unternehmen für ein erfolgreiches Gesundheitsmanagement. Ebenso coacht sie Führungskräfte im Bereich Konflikt- und Stressmanagement. In ihrem Buch konzentriert sie sich darauf, wie man Resilienz, die Schlüsselkompetenz für ein gesundes und erfolgreiches Leben, verinnerlicht. Hier einige Erkenntnisse und Eindrücke dazu:
Erkenntnis 1: Am Anfang steht der Dialog – Oft geht der Dialog unbemerkt verloren.
Als Grundvoraussetzung für Resilienz nennt die Autorin Beziehungsfähigkeit. Für eine erfolgreiche Beziehung brauche es in erster Linie den Dialog. So widmet sie das erste und längste der vier Kapitel des Buches den Voraussetzungen für die Dialogfähigkeit und den Symptomen, wenn der Dialog verloren geht. Dass man sich in einem Dialog befindet, erkennt man daran, dass man sein Gegenüber versteht und man jederzeit fähig ist, dessen Gefühle und Gedanken wiederzugeben. Das ist jedoch nicht so einfach, wie es tönt und oft wird der Verlust der Dialogfähigkeit erst bemerkt, wenn eine Krisensituation entsteht. Den Verlauf des Dialogverlusts erläutert die Autorin anhand ihres eignen Dialogmodells mit den vier aufeinanderfolgenden Phasen Alarm, Widerstand, Erschöpfung und Rückzug. In jeder dieser Phasen können sich Symptome der Erschöpfung manifestieren – sei es auf der Körperebene, der gedanklichen Ebene, der emotionalen Ebene und/oder der Ebene des Verhaltens.
Erkenntnis 2: Die Schuldfrage ist tabu – Eigenverantwortung und die richtige Grundhaltung sind Trumpf.
Die Wiederherstellung der Beziehungsfähigkeit und psychischen Widerstandsfähigkeit gelingt laut der Autorin dann, wenn man aufhört, der Schuldfrage nachzugehen und sich die Frage nach der eigenen Verantwortung stellt. Das heisst, wenn man in einen inneren Dialog mit sich selbst und in einen äusseren Dialog mit der Umwelt tritt, wie etwa mit seinen Mitarbeitenden oder dem eigenen Team. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, an seinem Verhalten zu arbeiten, sondern an der eigenen Haltung, sprich der Grundhaltung des Dialogs, die von Interesse, Verstehen, Empathie, Offenheit, Augenhöhe, Respekt und Wertschätzung geprägt ist
Erkenntnis 3: Innere Realitäten und falscher Umgang mit Emotionen schwächen unsere Resilienz.
Im zweiten Kapitel erfährt der/die Leser/in, wie die Atmosphäre im Elternhaus die Dialogfähigkeit beeinflusst, während das dritte Kapitel die Mechanismen offenbart, welche unsere Resilienz schwächen. Dazu gehören innere Realitäten, die sich durch negative, unverarbeitete Beziehungserfahrungen entwickelt haben und denen wir ohnmächtig gegenüber stehen. Auch Teams, ja sogar ganze Organisation, können durch innere Realitäten geschwächt werden. Das gleiche gilt für den falschen Umgang mit Ängsten und Gefühlen. Hier verwendet die Autorin Begriffe wie der Gefühlsdenker, der Köperfühler oder der Kopflose.
Erkenntnis 4: Das Geheimnis der Resilienz liegt in der Authentizität.
Das vierte Kapitel weiht uns in das Geheimnis der inneren Stärke ein: ein bedingungsloses Ja zu seiner selbst, das Führen eines authentischen Lebens und der Mut, die damit verbundenen Konsequenzen zu tragen. Dies betrifft die sechs Lebensbereiche Beruf, Familie/Partnerschaft, Gesundheit, soziale Kontakte, Individualität und Glaube/Spiritualität. Je mehr ein Mensch in jedem dieser Bereiche mit sich im Reinen ist, umso grösser ist seine Kraftquelle der inneren Stärke – so die Autorin. Abgerundet wird das Buch mit einem 12-Punkte-Test, der als Gradmesser für die eigene Resilienz dient und je nach Resultat unterschiedliche Empfehlungen bereit hält.
Bewertung: Hohe Praxisrelevanz für Führungskräfte in einer sich stark verändernden Arbeitswelt.
Die Inhalte des Buches sind zwar nicht unbedingt neu, doch gewinnen sie in der sich rasch verändernden Arbeitswelt insbesondere für Führungskräfte an Bedeutung: Immer wieder gilt es, sich mit neuen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf sich selbst auseinanderzusetzen und gemeinsam mit seinem Team neu auszurichten. Die Kapitel sind so zusammenstellt, dass sie einer inneren Logik folgen. Unter welchen Bedingungen Resilienz entsteht und wie sie abhanden kommen kann, wird nachvollziehbar und greifbar. Auch die Hauptbotschaften überzeugen.
Der Nutzen des Buches liegt neben dem stark praxisorientierten Charakter in der sehr ansprechenden und eingängigen Weise, wie die Autorin ihr Wissen und ihre Erfahrungen vermittelt. Die aus der Beratungspraxis gegriffenen Beispiele, die vielen Anleitungen zur Selbstreflexion, Tipps und Checklisten treffen den Punkt und sind einfach und übersichtlich gestaltet. Die Autorin schreibt in einer klaren, prägnanten und stimulierenden Sprache, redet ihre Leser/innen direkt in der Sie-Form an und hebt ihre wichtigsten Aussagen visuell hervor.
Fazit
Dieses Gesamtpaket macht das Buch zu einer leicht verständlichen und abwechslungsreichen Lektüre. Es packt einem die Lust, das Thema unverzüglich anzugehen und zu bearbeiten. Fast vergisst man vor lauter Anregung und Leichtigkeit den Ernst des Themas – die Bilanzierung der eigenen Resilienz. Für jene, die bereits an einem grossen Kraftverlust leiden, dürfte das Buch zwar zur Einsicht führen, dass sie ihre Haltung dem Leben, dem Menschen und sich selbst gegenüber verändern müssen. Doch könnte hier die Reise zur Resilienz durchaus zur scheinbar unüberwindbaren Bergtour werden und das Buch ersetzt in diesem Fall keinen Coach oder Therapeuten. Deshalb lautet meine Empfehlung: Lesen Sie das Buch im Sinne der Prävention und machen Sie sich sobald wie möglich auf, den Weg zu sich selbst zu finden. So werden Sie mit Ihrer neu gewonnen inneren Stärke auch die grossen Stürme der Arbeitswelt unbeschadet überstehen.
Buchtipp: Priess, M. (2017). Resilienz. Das Geheimnis innerer Stärke. München: Südwest Verlag,
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