Wie Führung sich verändert
Irene Willi Kägi
Wir leben in einer Zeit stetiger Veränderung und Beschleunigung: Die Spielregeln des Marktes werden neu definiert, Geschäftsmodelle überarbeitet und Prozesse umgestaltet. Ein wesentlicher Treiber dafür ist die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft. Wie können Führungskräfte mit der Geschwindigkeit der Veränderungen mithalten und ihren Führungsauftrag professionell erfüllen? Darüber hat Irene Willi, Content Managerin am Institut für Leadership und HR, mit Jürg Haefliger gesprochen. Häfliger ist Studiengangsleiter CAS FH in Leadership und Management und CAS FH in Leadership Advanced an der Kalaidos Fachhochschule.
Warum sprechen alle vom „Zeitalter des beschleunigten Wandels“? Veränderungen hat es doch schon immer gegeben.
Veränderungen hat es natürlich schon immer gegeben. Die industrielle Revolution löste eine Massenproduktion aus, teilte die Arbeit in einzelne Schritte auf und die Menschen hatten sich nach den Arbeitszeiten der Maschinen zu richten. Die Erfindung des Computers und des Internets ermöglichte effizienteres Arbeiten ungebunden von Ort oder Zeit und machte damit die Menschen etwas unabhängiger.
Das „Zeitalter des beschleunigten Wandels“ hat wohl deshalb seinen Namen verdient, weil wir in immer kürzeren Zyklen mit technologischen Entwicklungen und einem veränderten Umfeld konfrontiert sind. Während zwischen der Erfindung der Dampfmaschine und der Erfindung der Elektrizität mehr als 160 Jahre liegen, dauerte es nur 15 Jahre von der Lancierung des weltweit ersten Personal Computers im Jahre 1976 bis die erste Website im Jahre 1991 online ging und danach nur noch fünf Jahre bis zur Lancierung des ersten Smartphones.
Welche Veränderungen beeinflussen die Führung am meisten?
Zentraler Treiber der Veränderungen ist diversen Untersuchungen zufolge die Digitalisierung. Diese stellt etablierte Geschäftsmodelle in Frage und durchdringt ganze Unternehmen. Sie ermöglicht nicht nur das Entstehen völlig neuer Produkte und Dienstleistungen sondern macht auch Strategieanpassungen nötig. Ausserdem beeinflusst sie die Geschäftsprozesse und damit die interne Zusammenarbeit sowie den Umgang mit Kunden und Partnern. Erfahrungsgemäss hinkt die Kulturanpassung den strategischen und strukturellen Veränderungen jeweils hinterher. Somit ist es im Change Management besonders wichtig, den Blick auf die bewusste Gestaltung von Beziehungen zu Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen bzw. die konkrete Führungsarbeit zu richten.
Ein weiterer Treiber für den Wandel in der Arbeitswelt ist der Eintritt der jungen Generation und die Zunahme der älteren Beschäftigten, sprich der Generation 45/50+. Hier stellt sich beispielsweise die Frage der Zusammenarbeit und wie wir mit diesem Unterschied an Wissen und Erfahrungen umgehen, beispielsweise im Umgang mit neuen Technologien. Ausserdem ist bei vielen – auch mittelständischen – Unternehmen ein Globalisierungstrend zu beobachten, der zwar Markterweiterungen ermöglicht, aber ebenso Herausforderungen wie beispielsweise die interkulturelle Zusammenarbeit mit sich bringt.
Was bedeuten diese Veränderungen für den Führungsalltag?
Einerseits braucht es neue Führungskonzepte in Form von Agile Leadership, um sich den vielfältigen Veränderungen möglichst gut anzupassen und darüber hinaus von diesen zu profitieren. Ich denke dabei auch an neuartige Organisationsstrukturen, weg von Hierarchien hin zu Netzwerkstrukturen, wie beispielsweise Holocracy, welche darauf zielen, die Verantwortung dorthin zu delegieren, wo die Kompetenzen vorhanden sind und damit die Entscheidungsprozesse und Arbeitsabläufe vereinfachen. Diese Veränderungen können auch die Mitarbeiter-Motivation positiv beeinflussen.
Andererseits darf man jedoch nicht vergessen, dass aus der Optik der Mitarbeitenden der Begriff Agilität nicht nur positiv besetzt ist. Was früher gegolten hat, gilt heute nicht mehr und morgen sieht die Welt vielleicht schon wieder ganz anders aus. Dies kann Verunsicherung auslösen und das Bedürfnis nach Sicherheit und Orientierung hervorrufen. Um damit umgehen zu können, benötigen Führungskräfte eine hohe Sozialkompetenz, insbesondere empathische Fähigkeiten, Authentizität und einen reifen Umgang mit verschiedenen Werthaltungen.
Ferner können dank der Digitalisierung flexible Arbeitsformen wie Home Office, Job Sharing oder projektbezogenes Arbeiten zwar das Bedürfnis vieler Mitarbeitender nach eigenen Lebens- und Arbeitsmodellen befriedigen. Doch sind hier Führungskräfte wie Mitarbeitende gefordert, mit der „Führung auf Distanz“ umgehen zu können.
Kurz gesagt, die Aufgabe der Führungskraft besteht darin, das veränderte Umfeld und die Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden so zu gestalten, dass sich deren Potenzial als Individuen entfaltet und sie damit zu Teams mit einer optimalen Performance heranwachsen können. Dazu braucht es Führungskräfteentwicklung, dass heisst, Führungskräfte müssen ihren Führungswerkzeugkasten immer wieder neu anpassen bzw. ausstatten, indem sie beispielsweise von ihren eigenen Führungskräften gecoacht werden, von Mentoren und Peers lernen oder Weiterbildungen in den Bereichen Management und Leadership besuchen.
Wie wirken sich die veränderten Anforderungen an die Führung auf die Rolle der Führungskraft aus?
Da Informationen und Wissen durch das Internet allgemein zugänglich geworden sind und in den sozialen Netzwerken geteilt werden können, sind mancherorts Mitarbeitende besser informiert als ihre Vorgesetzte. So spielt die Organisationszugehörigkeit oder Abhängigkeit der Mitarbeitenden von der Führungsperson oft eine untergeordnete Rolle. Führen über Position verliert immer mehr an Bedeutung und geschieht vielmehr über eine Grundhaltung, die geprägt ist von Werten wie Vertrauen, Offenheit und Partizipation.
Um den unterschiedlichsten Herausforderungen in der Führung gerecht zu werden, braucht es in der Führung einen flexiblen Rollenansatz: Beispielsweise stellt die Führungskraft in der Rolle des Dienstleisters und Vernetzers sicher, dass das kollektive Wissens in einer konstruktiven, motivierenden und hierarchiefreien Form mit möglichst vielen Personen geteilt werden kann, dies mittels Präsenzworkshops oder virtuellen Kanälen. Zudem widmet sie sich dem Aufbau und der Pflege von Kontakten innerhalb und ausserhalb des Unternehmens. In der Rolle des Coach fördert die Führungskraft das Potenzial der Mitarbeitenden und trägt damit zu deren Selbststeuerung und Leistungsfähigkeit bei. Bei strategischen Entscheidungen gilt es, die Rolle des (Big) Data Interpreters, Komplexitätsmanagers und Change Managers zu erfüllen: Die Führungskraft muss – gemeinsam mit ihrem Team - Datenströme interpretieren und daraus Chancen erkennen und nutzen können.
Eine Botschaft möchte ich Führungskräften zum Schluss mitgeben: Nehmen Sie sich regelmässig Zeit für Selbstreflexion bzw. persönliche Weiterentwicklung und unterschätzen Sie die Basics der Führung nicht! Deshalb kann ein regelmässiges Update sehr zielführend sein.