Frau mit Stift vor Flipchart Frau mit Stift vor Flipchart
Vorbereitung auf die kollegiale (Fall-)Beratung: Darstellen des Praxisfalls auf einem Flipchart (Symbolbild)

Stellen Sie sich vor, Sie sind Teilnehmer/in eines Führungskräfteseminars und möchten in einer Gruppenarbeit Handlungsoptionen zu Ihrer aktuellen Führungsherausforderung entwickeln. Ihre Gruppenmitglieder hören nicht richtig zu, fallen einander ins Wort, „überanalysieren“ Ihr Anliegen und am Schluss resultieren ein paar magere Lösungsansätze. Mit der richtigen Wahl der Lernmethode geht es auch anders: Peer Coaching bzw. kollegiale (Fall-)Beratung zeichnet sich aus durch eine strukturierte und zielführende Vorgehensweise zur Lösungsfindung in einer Gruppe von Peers. Wie Sie Ihr konkretes Anliegen vorbereiten, darlegen und präsentieren, macht dabei schon die halbe Miete aus: Mit Hilfe des Thomann-Schemas schaffen Sie schnell einen guten Überblick zu Ihrem Praxisfall und eine geeignete Grundlage zur weiteren Bearbeitung in Ihrer Peer Gruppe.

Die Falldarstellung: Wie das Thomann-Schema funktioniert

Das Thomann-Schema (vgl. Schulz von Thun, 2006) fokussiert anhand von Visualisierungen und kurzen, prägnanten Formulierungen sowohl den systemischen Kontext eines Anliegens (Organisation, Abteilung, Team) als auch die innere Befindlichkeit der Fallbringerin / des Fallbringers in bestimmten „Schlüsselsituationen“. Dargestellt wird es als „Haus“ mit vier Zimmern und einem Dach. Der eigene Praxisfall wird am besten auf einem Flipchart zur Präsentation aufbereitet:

Thomann-Schema

Thomann-Schema zur intensiven Vorbereitung des Anliegens, Schulz von Thun, 2006 (Bild)

Zimmer rechts oben: prägnante Formulierung des Anliegens

Ins rechte obere Zimmer schreibt die/der Fallbringer/in sein Anliegen in Form einer Frage („Wie kann/soll ich … ?“). Die Reduktion auf einen Satz trägt zur Klarheit und Aussagekraft des Anliegens bei.

Beispiel: Ines ist nach dem Weggang Ihres Chefs zur Teamchefin ernannt worden. Zu ihren ersten Führungshandlungen gehört es, drastische Sparmassnahmen umzusetzen, welche die Arbeitsbedingungen für ihr Team deutlich verschlechtern. Obwohl keine böse Absichten im Spiel sind, werfen ihr die Teammitglieder vor, persönlich verantwortlich für die negativen Veränderungen zu sein. Die bis anhin beliebte Kollegin wird somit innert kurzer Zeit zur unpopulären Chefin. Nun weiss Ines nicht, wie sie sich künftig ihrem Team gegenüber verhalten soll. Ihr Anliegen für die kollegiale Fallberatung formuliert sie so: „Wie soll ich mich angesichts der Vorwürfe meinen Mitarbeitenden gegenüber verhalten?“

Zimmer links oben: systemischer Kontext

In dieses Zimmer zeichnet die/der Fallbringer/in, inwiefern die involvierten Personen hierarchisch, funktional oder historisch miteinander verbunden sind. Auch die eigene Funktion und Rolle sollen hier ersichtlich werden.

Beispiel: Ines verdeutlicht mittels eines einfachen Organigramms die hierarchische Verknüpfung zu ihren Teammitgliedern und ihrem Vorgesetzten.

Zimmer unten links: konkrete Schlüsselsituation

Hier skizziert die/der Fallbringer/in eine Schlüsselsituation, in welcher das Problem oder Anliegen sich im Praxisalltag gezeigt hat und wahrscheinlich auch in Zukunft immer wieder bemerkbar machen wird. An dieser Stelle können beispielsweise Menschen mit Sprechblasen bzw. konkreten Äusserungen gezeichnet werden.

Beispiel: Im Zuge der Sparmassnahmen sind die Büroräumlichkeiten von Ines‘ Team neu so aufgeteilt, dass nur noch für 80 Prozent ihrer Mitarbeitenden ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Als Schüsselsituation hält Ines bildlich fest, wie sich zwei Mitarbeitende um einen Arbeitsplatz streiten.

Zimmer unten rechts: innere Situation

Das Zimmer unten rechts ist reserviert für die innere Situation, das heisst die Befindlichkeit der Fallbringerin / des Fallbringers. Oft haben Probleme und Konflikte eine lähmende Wirkung. Grund dafür sind die eigenen, häufig sich widersprechenden „inneren Stimmen“ (Schulz von Thun, 2006), sprich die Gedanken und Gefühle sowie inneren Konflikte. Die innere Situation wird beispielsweise durch die Visualisierung der eigenen Person mit einem dicken Bauch und Sprechblasen bzw. konkreten Äusserungen dargestellt.

Beispiel: Ines zeichnet sich selbst mit drei Sprechblasen:

  • „Ich ärgere mich über den Befehl von oben." (Sparmassnahmen umsetzen)
  • „Ich habe ein schlechtes Gewissen, meine Mitarbeitenden ungerecht zu behandeln.“
  • „Ich habe Angst, mich unbeliebt zu machen.“

Das Dach: treffende Überschrift

Das Dach bildet sozusagen die „Headline“ des zu behandelnden Falls, die treffende Überschrift, die ein Journalist dieser “Geschichte“ geben würde. Diese Überschrift sollte den Kern des Anliegens treffen und eine Zugkraft haben, die zur Fallarbeit animiert.

Beispiel: Ines schreibt: „Sparmassnahmen im Büro: Wie verhalte ich mich als Führungskraft?“

Ist das Thomann-Schema komplett, wird es den Peers in den nachfolgenden Fallberatungssequenzen präsentiert und gemeinsam weiter bearbeitetet.

Fazit

Das Thomann-Schema bietet eine geeignete Strukturierungshilfe zur Falldarstellung, weil es die FallbringerInnen zur Komplexitätsreduktion, Konkretisierung und Visualisierung des Anliegens zwingt. Dies führt zum raschen und besseren Verständnis des Falls sowohl seitens der FallbringerInnen  als auch seitens der BeraterInnen. Gerade Personen, die stark im abstrakten Denken sind, sehen sich mit diesem Instrument herausgefordert, ihr Anliegen auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Ebenso dürfte die Auseinandersetzung mit der eigenen Innenwelt bzw. Differenzierung der eigenen Gefühle und inneren Konflikte für manche nicht ganz einfach sein. Diese dient jedoch als wesentlicher Schritt zur Selbstreflexion und notwendiger Beitrag zur Lösungsfindung.

Lesen Sie auch weitere Teile dieser Blogserie:

Kollegiale Fallberatung: Lernen von Peers (Teil 1/4)
Kollegiale Beratung. Hypothesenbildung (Teil 3/4)
Kollegiale Beratung: Lösungsfindung (Teil 4/4)

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Quellen und weiterführende Informationen

Brinkmann, R. (2002). Intervision – Ein Trainingsbuch der kollegialen Beratung für die betriebliche Praxis. Heidelberg: Sauer-Verlag.

Lippmann, E. (2013). Intervision – Kollegiales Coaching professionell gestalten. (3. Auflage). Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.

Schulz von Thun, F. (2006). Praxisberatung in Gruppen – Erlebnisaktivierende Methoden mit 20 Fallbeispielen zum Selbsttraining für Trainerinnen und Trainer, Supervisoren und Coachs. (6. Aufl.). Weinheim und Basel: Belz Verlag.

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