Mit "Radical Collaboration" zur besseren Selbstkenntnis (2/3)
Annette Fink
Im Umgang mit Herausforderungen in globalen, unternehmerischen oder persönlichen Kontexten scheint eine konstruktive Kultur der Zusammenarbeit dringend notwendig. In dem ersten Teil dieser Reihe zu Radial Collaboration® haben wir das Konzept der drei Kulturzonen (rot, pink und grün) vorgestellt. Dort haben wir aufgezeigt, welchen Einfluss die jeweiligen Zonen auf das Verhalten eine Gruppe haben. Radical Collaboration strebt eine Kultur der offenen, vertrauensvollen Zusammenarbeit an (grüne Zone).
Was sind die fünf Prinzipien?
Radical Collaboration stützt sich bei der Kulturgestaltung einer grünen Zone auf fünf Prinzipien. Diese Prinzipien sollen Menschen unterstützen, Kommunikation und Kultur nachhaltig konstruktiv zu gestalten und zu einer respektvollen und vertrauensvollen Zusammenarbeit führen.
- Kooperationsbereitschaft: Der Fokus liegt auf beidseitigem Erfolg und gemeinsamen Vorteilen, also dem Ziel, Win-Win-Situationen zu erschaffen (anstatt nur den Vorteil / Gewinn für sich selbst, die eigene Abteilung, das eigene Land, etc. im Blick zu haben).
- Aufrichtigkeit / Offenheit: In einem Klima der Ehrlichkeit und Offenheit spüren Menschen psychologische Sicherheit sowie ein Umfeld, wo sie Probleme direkt ansprechen können (anstatt sich zurückzunehmen oder «gute Miene zum bösen Spiel» zu machen, vgl. pinke Zone).
- Eigenverantwortung: Jede:r übernimmt Verantwortung für die eigene Haltung und das eigene Handeln (anstatt andere zu verurteilen und Schuldzuweisungen auszusprechen). Dieser Aspekt ist eng verknüpft mit dem nächsten Prinzip.
- Bewusstsein für sich selbst und andere: Menschen sind sich klar darüber, welche Muster, Prägungen sowie blinde Flecken sie selbst und andere innehaben (anstatt aus dem Unbewusstsein zu handeln und das eigene Selbstverständnis als Massstab aller Dinge zu setzen).
- Interessenbasierte Problemlösung und Verhandlung: Menschen wenden Lösungsmethoden an, um sich gegenseitig zu unterstützen und eine kooperative Atmosphäre zu schaffen (anstatt nur die eigenen Ziele im Blick zu haben oder gewinnen zu wollen).
Diese Faktoren mögen nicht nach einer Raketenwissenschaft klingen. Allerdings scheint die Umsetzung dessen, was offensichtlich ist, nicht immer einfach, wenn wir in die Praxis schauen. Wenn es gut läuft, ist es sicherlich leichter, in der grünen Zone zu sein. Es wird schwieriger, hier zu bleiben, wenn sich (bewusst oder unbewusste) Konflikte anbahnen und wir auf teilweise unbewusste, automatisierte Verhaltensweisen zurückgreifen. Gleichzeitig sind Konflikte und unterschiedliche Sichtweisen jeden Tag Realität.
Wie lassen sich die Prinzipien in die Praxis übersetzen?
Wie lassen sich die Prinzipien nun «lernen» oder konkret erfahrbar machen? Ein zentraler Faktor dabei ist, die Auseinandersetzung mit sich selber und der eignen Haltung.
Im Folgenden stellen wir ein paar Nuggets aus dem Programm vor, die sich innerhalb des «Save Brave Spaces» des Trainings erfahren lassen können:
- Auseinandersetzung mit der eigenen Konflikthistorie: Welche Konflikte habe ich in der Vergangenheit erlebt? Gibt es Muster? (Mit wem / wann erlebe ich am häufigsten zwischenmenschlich schwierige Situationen?) Was ist meine «Lieblingsstrategie» im Umgang mit schwierigen Beziehungskonstellationen?
- Sichtbarmachen des eigenen Kollaborationsverhaltens: Zu mehr Selbsterkenntnis gelangen durch die Reflexion der eigenen Erfahrung in einer Kollaborationsübung. Wie verhalte ich mich bei der Erfüllung einer Teamaufgabe und im Umgang mit Kooperationspartner:innen? (Geht es mir darum, für mich das beste Ergebnis um jeden Preis zu erzielen oder darum, gemeinsame für alle Beteiligten gute Lösungen zu erarbeiten?) Die konkrete Erfahrung machen, dass es sich immer lohnt, im Dialog zu sein und zu bleiben («always go to the trade show»).
- Erfahrungen von echtem Zuhören & Offenbaren machen: Genauer hinhören: Bin ich immer ehrlich – auch zu mir selber? Es kann eine sehr berührende Erfahrung sein, wirklich gehört zu werden und sich verletzlich zu zeigen. Oder auch Empathie für andere zu empfinden und die Rolle eines achtsamen und aufmerksamen Zuhörerenden einzunehmen. Denn wie oft hören wir einander eigentlich gar nicht richtig zu?
- Erproben von interessenbasierten Verhandlungen: Wenn eigene Interessen in Verhandlungen transparent gemacht werden, kann dies zu einer optimalen Lösung für alle Beteiligten und damit zu einer positiven Erfahrung führen. (Ein erhellendes Bild dazu: Wenn zwei Personen eine Orange wollen, es aber nur eine gibt: Ist die wirklich beste Lösung, sie zu teilen? Vielleicht nicht, wenn eine Person nur den Saft will, die andere nur die Schale). Oft hilft es, aus gewohnten Denkmustern auszubrechen («think outside the box»), damit der Kuchen (die Orange) grösser werden kann.
- Bewusst werden über die eigenen Bedürfnisse, Ängste & Reaktionsmuster: Was sind meine Bedürfnisse und wie verhalte ich mich, wenn diese nicht erfüllt sind? Ein Test zu persönlichen Präferenzen punkto Kollaboration hilft, Transparenz zur eigenen Haltung zu schaffen. Gleichzeitig wird beleuchtet, wie flexibel die Person ist, wenn die Präferenz nicht erfüllt ist. Damit lassen sich die eigenen Tendenzen und Fallstricke im Umgang mit anderen erkennen.
- Erforschung von Charakterzügen von prägenden Bezugspersonen: Welche Haltungen, Verhaltensweisen, kulturelle und familiäre Prägungen wurden ggfs. (unbewusst) gelernt oder übernommen, die heute beim Aufbau konstruktiver zwischenmenschlicher Beziehungen hinderlich sind? Ein genaues Hinschauen kann hier im wahrsten Sinne «Augen öffnend» sein. Habe ich evtl. Strategien von anderen im Umfang mit anderen oder Konflikten übernommen?
Schluss
James Tamm fast die Essenz des Ansatzes zusammen: «You can’t compete externally if you can’t first collaborate internally.» Damit ist Radical Collaboration ein Ansatz der «Inneren Arbeit» oder Persönlichkeitsentwicklung. Es geht hauptsächlich darum, sich den eigenen Haltungen sowie inneren Spannungen bewusst zu sein. Dazu gehört auch, die eigenen Abwehrmechanismen v.a. in Konfliktsituationen zu kennen und damit umgehen zu lernen. Also wie gehe ich mit mir um, wenn ich in der roten Zone bin? Oder wie reagiere ich, wenn andere um mich in destruktiven Verhaltensweisen sind? Was für einen konkreten Beitrag kann ich leisten oder ersten Schritt tun für ein kollaboratives Miteinander? Somit legt der Ansatz einen klaren Fokus auf die Selbstverantwortung. Denn eine (persönliche, organisationale, gesellschaftliche) Transformation fängt immer bei uns selber an!
Auf diesen Beitrag zu den fünf Prinzipien von Radical Collaboration folgt ein dritter Beitrag zur konkreten Einführung des Ansatzes in Unternehmen. Hierzu werden wir ein Interview mit drei Beratern führen, die uns an ihren konkreten Erfahrungen in ihrer Arbeit mit Radical Collaboration teilhaben lassen.
Quellen und weiterführende Informationen
Euforia (o.D.). Radical Collaboration.
Gallup Inc. (2021). Engagement Index Deutschland 2021.
Human Element (o.D.). Radical Collaboration – Erfolgreiche Zusammenarbeit. Arbeitshandbuch.
RC Group LLC. (o.d). Three different ways.
Tamm, J. (2015). Cultivating Collaboration: Don't Be So Defensive! [Video]. TED Conferences.
Thamm, J.; Luyet, R. (2019). Radical collaboration – Five skills to overcome defensiveness and build successful relationships. (2nd edition). Harper Business: New York.
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