Quiet Quitting: im Job nicht mehr die Extrameile gehen
Irene Willi Kägi
"Quiet Quitting" – was steckt hinter dem Begriff, der sich in den Medien inflationär zu verbreiten scheint? Was bewegt insbesondere junge Menschen dazu, "still zu kündigen" und nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen? Nehmen Sie die Arbeit nicht mehr ernst genug? Und wie sollten Unternehmen darauf reagieren? Dieser Beitrag geht dem aktuellen Phänomen auf den Grund.
Quiet Quitting – innere Kündigung oder Social Media Hype?
"Quiet Quitting" wird wörtlich mit "stilles Kündigen" übersetzt. Oft wird dafür auch der ähnliche Begriff "innere Kündigung" verwendet: In Gedanken hat man schon gekündigt, ist aber physisch noch da. Die Führungslehre bezeichnet die innere Kündigung auch als "innere Emigration" bzw. den "bewussten oder unbewussten Rückzug von demotivierten Mitarbeitenden in der Arbeitsorganisation" (Wunderer, 2011). Innerlich Gekündigte leisten nur noch das, wozu der formale Arbeitsvertrag sie verpflichtet. Besonderes Engagement oder Eigeninitiative fehlen. Die Gründe dafür sind zahlreich – sei es, weil die erbrachten Leistungen nicht anerkannt werden, die Vergütung nicht angemessen ist, die Arbeitsbedingungen nicht zumutbar sind oder Probleme mit der Familie bestehen.
Demgegenüber legen insbesondere die Befürworter von Quiet Quitting den Begriff etwas anders aus, nämlich als eine bewusste Entscheidung für einen achtsameren Umgang mit sich selbst. Seit Zaid Khan, ein 24-jähriger Software-Ingenieur und Musiker in New York, seine Interpretation von Quiet Quitting in seinem Video auf TikTok veröffentlicht hat, scheinen insbesondere jüngere Menschen von dem Phänomen angetan. Denn Khans Video ging viral und der Hashtag #QuietQuitting hat inzwischen mehr als 140 Millionen Aufrufe auf TikTok erreicht.
In seinem Video bringt Khan zum Ausdruck, dass die Arbeit nicht das Leben sei und der persönliche Wert nicht nach der eigenen Produktivität festgelegt werde. Deshalb solle man sich von der Idee verabschieden, bei der Arbeit mehr als die geforderte Leistung zu erbringen und nicht mehr der Mentalität der "Hustle-Kultur" unterliegen. Quiet Quitting bedeutet nach Khan also nicht, dass man den Gedanken hegt, irgendwann zu kündigen, sondern dass man seinen Job weiterhin ausübt, aber gleichzeitig auf eine bessere Work-Life-Balance achtet. Weder Demotivation noch Frustration sind Antreiber für Quiet Quitting, sondern das eigene Wohlbefinden. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es, Prioritäten zu setzen und Grenzen zu ziehen, damit keine Überlastungen entstehen.
Quiet Quitting – ein Ausdruck des postpandemischen Zeitgeists?
Die Auswirkungen der Pandemie gehören durchaus zu den möglichen Gründen, warum das Phänomen Quiet Quitting auf fruchtbaren Boden fällt. Diverse Studien weisen nämlich darauf hin, dass COVID-19 Stress, Burnout und sinkendes Engagement unter den Arbeitnehmenden gefördert hat.
Beispielsweise zeigt der Global Risks Report 2021 des World Economic Forum, dass sich die psychische Gesundheit seit Beginn der Pandemie weltweit verschlechtert hat und 80 Prozent der jungen Menschen damit anfällig für Depressionen, Ängste und Enttäuschungen geworden sind.
Der Gallup-Bericht "State of the Global Workplace" aus dem Jahr 2022 offenbart, dass die Werte für Engagement und Wohlbefinden nicht mehr wie im Jahrzehnt vor der Pandemie weltweit kontinuierlich ansteigen, sondern aktuell stagnieren. Ausserdem hat der Stresspegel den bisherigen Höchststand erreicht – sei es wegen der Arbeit oder weil sich privater Stress auf die Arbeit überträgt. Konkret sind nur 21 Prozent der Arbeitnehmenden bei der Arbeit engagiert und nur 33 Prozent fühlen sich insgesamt wohl. Unter diesen geben die meisten an, dass sie ihre Arbeit nicht als sinnvoll empfinden, dass ihr Leben nicht gut läuft oder dass sie keine Hoffnung für ihre Zukunft haben.
Fakt ist: Während der Pandemie hat die Fernarbeit viele, die normalerweise im Büro arbeiten, von ihrem Arbeitsumfeld und sozialen Kontakten örtlich getrennt. Doch hat sie auch gezeigt, dass es andere Arbeitsformen gibt, die es ermöglichen, zwischendurch eine Auszeit zu nehmen, um private Dinge zu erledigen, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, einem Hobby nachzugehen oder sich sonst wie zu regenerieren. Viele haben realisiert, dass es sinnvoll sein kann, sich nicht ausschliesslich über den Job zu identifizieren. Dadurch lassen sich mehr Zeit und Energie für andere Tätigkeiten und Aufgaben gewinnen, die einen ebenso erfüllen.
Wie sinnvoll ist Quiet Quitting wirklich?
Ist Quiet Quitting also die Lösung für eine gute Work-Life-Balance? Für Arbeitnehmende, denen das spezielle "Arbeits- bzw. Lebensmodell" mehr Zufriedenheit und weniger Belastung bringt, bestimmt. Doch riskieren sie, dass ihre Arbeit mit der Zeit weniger anregend wird, keine berufliche Entwicklung stattfindet und der Lohn stagniert. Für viele ist Quiet Quitting deshalb nicht oder nur kurzfristig zu empfehlen. Mittelfristig kann dies für Arbeitnehmende stimmen, die neben ihrer Festanstellung beispielsweise als Teilselbständige, in der Familien- bzw. Freiwilligenarbeit oder im Leistungssport Wertschätzung und Erfüllung finden. Dazu braucht es aber meistens ein gutes finanzielles Polster. Machbar ist Quiet Quitting sowieso nur in Jobs, die grosse Flexibilität und Freiräume bieten.
Wie Arbeitgeber Quiet Quitting vermeiden können bzw. damit umgehen sollen
Für Arbeitgeber sieht die Realität von Quiet Quitting in der Regel nicht gerade rosig aus. Wenn die Loyalität und Leistungsbereitschaft sinken, erhöht sich das Risiko, dass auch die Produktivität sinkt. Deshalb sollten Unternehmen, die von ihren Mitarbeitenden ihren bestmöglichen Einsatz erwarten, sich darauf konzentrieren, dass ein solches Phänomen möglichst keinen Nährboden findet. Das heisst:
- Personalabteilungen und Vorgesetzte entwickeln bereits in den Bewerbungsgesprächen ein Gefühl dafür, was die Stellensuchenden motiviert und was sie dazu bringt zu kündigen.
- Arbeitgeber schaffen eine Kultur, in der Arbeitnehmende sich zugehörig fühlen und ermutigt werden, sich bei der Arbeit zu engagieren, ohne dass ihr ganzes Leben sich um ihren Job dreht und ihr Selbstwert davon abhängt.
- Zur Organisationskultur gehören flexible Arbeitszeiten, Lern- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie Belohnungen für Leistungen, die Mehrwert bringen – nicht nur in Form von Lohnerhöhungen sondern auch in Form von persönlicher Wertschätzung.
- Ein "psychologisch sicheres" Arbeitsumfeld fördert das Wohlbefinden der Arbeitnehmenden, das heisst, es sind keine Repressalien zu befürchten, wenn sie um Hilfe bitten.
- Führungskräfte schaffen ein Verantwortungsgefühl für die individuelle Leistung, die Zusammenarbeit im Team und den Kundennutzen – am besten indem sie Verbindlichkeit vorleben und einfordern.
- Mitarbeitende sehen, wie ihre Arbeit zum grösseren Ziel des Unternehmens beiträgt. Bei Entscheidungen darüber, wo die Teammitglieder arbeiten – vor Ort, per Fernzugriff oder in einem hybriden Setting – werden diese Faktoren berücksichtigt.
- Vorgesetzte stellen vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden her, indem sie Präsenz und Wertschätzung zeigen, regelmässige Mitarbeitendengespräche führen – nicht nur über die Leistung, sondern auch über die Befindlichkeit – sowie Coaching und Unterstützung anbieten.
- Führungskräfte beugen Burnout vor, indem sie ihre Mitarbeitenden ermutigen, tagsüber Pausen zu machen, Überzeiten zu kompensieren und bezahlten Urlaub zu nehmen. Ebenso gehen sie mit gutem Beispiel voran und beantworten während der Freizeit, an Wochenenden oder im Urlaub keine E-Mails.
Sollten dennoch Anzeichen von Quiet Quitting oder innerer Kündigung wie fehlende Einsatzbereitschaft oder Eigeninitiative, häufige Fehlzeiten, mangelnde Kooperation oder kein Interesse an Weiterbildung bestehen, sind Führungskräfte angehalten, in einem persönlichen Gespräch das beobachtete Verhalten genau zu beschreiben, die möglichen Gründe dafür zu eruieren und passende Massnahmen zu treffen – sei es die Belastungssituation der/des Mitarbeitenden zu optimieren oder klar zu definieren, welches Verhalten von der/dem Mitarbeitenden künftig verlangt wird. Vielleicht führt das Gespräch aber auch dazu, dass beide Seiten erkennen, dass eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses am meisten Sinn macht.
Fazit
Quiet Quitting ist ein Begriff, der seit kurzem auf TikTok viral geht und in den Medien eine Diskussion über die Beziehung zur Arbeit befeuert. Auch die Folgen der Pandemie tragen das Ihre zu dieser Diskussion bei. Quiet Quitting steht für weniger Engagement bei der Arbeit und für mehr Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst zu Gunsten einer besseren Work-Life-Balance. Wer das "Quiet-Quitting-Prinzip" in die Tat umsetzen möchte, sollte allerdings die damit verbundenen Nachteile und Risiken nicht übersehen. Es könnte sich trotzdem lohnen, öfters die Extrameile zu gehen!
Quellen und weiterführende Informationen
Breitling, A. (2022). Wie neu ist „Quiet Quitting“ wirklich? Capital.
Gallup (2022). State of the Global Workplace: 2022 Report.
Harter, J. (2022). Is Quiet Quitting Real? Gallup.
Kedves, A. (2022). Arbeiten bis zum Umfallen? Nein danke. Tages-Anzeiger.
Personalwissen. (2022). Innere Kündigung: Definition, Merkmale und Prävention.
Telford, T. (2022). ‘Quiet quitting’ isn’t really about quitting. Here are the signs. Washington Post.
World Economic Forum. (2022). What is quiet quitting?
World Economic Forum. (2021). The Global Risks Report 2021.
Wunderer, R. (2011). Führung und Zusammenarbeit (9. Neu bearbeitete Auflage). Köln: Luchterhand.
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Dauer 4 Semester
Variiert je CAS, i.d.R. 15 Schultage je CAS; Fernstudium individuell gestaltbar
MAS FH in Human Resource Management (HRM)
Master of Advanced Studies (MAS)