Leadership Trendforum – virtuell, inspirierend und agil
Irene Willi Kägi
Welche Führungsmodelle funktionieren in einer von VUCA, Corona und der digitalen Transformation geprägten Arbeitswelt? Und wo kann die Führung heute ansetzen, um im New Normal anzukommen? Diesen Fragen ging die Kalaidos Fachhochschule am kürzlich durchgeführten Leadership Trendforum nach. In einer Avatar-basierten 3-D-Umgebung gewährten die beiden Keynote Speaker, Sabine Bellefeuille Burri (VR-Präsidentin der BURRI public elements AG) und Urs Wullschleger (Inhaber und Geschäftsführer der Wilhelm Schmidlin AG), Einblick in die Führungspraxis ihrer Unternehmen. Durch die digitale Fachkonferenz führten Elena Pintarelli, Leiterin des Instituts für Leadership an der Kalaidos FH sowie Matthias Puschert, Bildungs- und Produktmanager Leadership der Swissmem Academy.
Virtual Reality Warm-up
Das Fenster zur virtuellen Welt von Swissmen Spaces (entwickelt von TriCat) öffnet sich und die Gäste betreten in der Gestalt eines Avatars die Empfangshalle des Trainingscenters. Dort werden sie von den Moderatorinnen und Moderatoren im blauen, aufeinander abgestimmten Avatar-Business-Look bereits erwartet. Nach einer persönlichen Begrüssung werden die Neuankömmlinge im Nu in den Garten oder auf eine der beiden Terrassen teleportiert. Hier folgt ein Crashkurs, der in die Arbeitsweise im virtuellen Raum einführt: Wie bewege ich mich? Wie trete ich an jemanden heran? Wie melde ich mich? Wie setze ich mich hin? Auch Gestik, Mimik und das Wiedergeben von Emotionen ist möglich: Als Avatar kann man lächeln, traurig, wütend oder überrascht sein. Ähnlich wie in der realen Welt stellt sich bald ein Gefühl für Distanz und Nähe ein. Beispielsweise wenn man bei der gemütlichen Feuerstelle im Garten sich auf einen Smalltalk einlässt. Zwar betrachtet man die Welt wie im echten Leben aus der Ego-Perspektive. Den eigenen Avatar sieht man in der Regel nicht. Doch lässt sich dieser bei Bedarf auch für die eigenen Augen sichtbar machen.
Garten und Eingang der virtuellen Swissmem Academy (Screenshot: Kalaidos FH)
Knapp 30 Minuten nach dem Eintauchen in die virtuelle Welt sind alle bereit für die beiden Keynotes im Auditorium mit den darauffolgenden Breakout Sessions und Diskussionsrunden.
Wilhelm Schmidlin AG: Menschen im Mittelpunkt der Unternehmenskultur und laufende Verbesserung von Prozessen
Wilhelm Schmidlin AG produziert als einzige Firma in der Schweiz Badprodukte wie Duschwannen und Lavabos aus glasiertem Titanstahl auf Mass. Als Urs Wullschleger und sein Bruder Beat vor rund 13 Jahren in dritter Generation die Geschäftsleitung übernahmen, standen sie bald vor der Herausforderung: Wie können wir noch schneller und individueller auf die Kundenbedürfnisse reagieren? Sie entschieden sich, in die Menschen statt in die Technologie zu investieren.
Die Etablierung von KAIZEN als Unternehmensphilosophie und Anwendung von Tools des Lean Managements im Jahr 2011 hat sich als richtiger Weg erwiesen. Dabei ging es und geht es heute noch um den konsequenten Einbezug aller Mitarbeitenden in die laufende Optimierung der Prozesse. Das heisst, möglichst viele Verschwendungen zu minimieren, seien dies Überbestände, unnötige Prozessschritten, Fehler, unklare Kommunikation oder Wartezeiten.
Kaizen als Unternehmenskultur (Grafik: SchmidLEAN)
In der Praxis heisst das: 20 Prozent der Arbeitszeit werden in ein Umsetzungswesen (statt "nur" ein Vorschlagswesen) und in die Weiterbildung der Belegschaft gemäss der Skills-Matrix investiert. So steht alle zwei Wochen die Arbeit inklusive Administration und Verwaltung still, während kleine Workshop-Gruppen, Verbesserungsideen zur Reduktion der Durchlaufzeit am entsprechenden Arbeitsplatz umsetzen. Prozesse werden umgestellt, Anlagen umgebaut und die Optimierungen anschliessend der ganzen Belegschaft präsentiert. Ebenso gibt es zweimal im Jahr Fehlerkultur-Workshops, die dem Grundprinzip folgen: "Geschieht ein Fehler, ist immer der Prozess schuld, nie der Mitarbeitende." Diese Investition scheint sich auch nach vier Jahren konsequenter Umsetzung sehr zu lohnen.
BURRI public elements AG: Möglichst viel Know-how und verschiedene Perspektiven einbinden
BURRI public elements AG ist führende Anbieterin von Lösungen für öffentliche Räume. Sabine Bellefeuille-Burri und ihr Bruder Martin Burri leiten das Familienunternehmen seit 20 Jahren. Vor drei Jahren stellten sie sich die Aufgabe, wie sie das Know-how der Belegschaft noch besser nutzen und von möglichst vielen Perspektiven profitieren können. Sie bauten die Organisation um und führen diese heute agil. Dabei lehnen sie sich an die Natur des Menschen an als organisches, offenes System: Dieses ist selbstautonom und komplex. Es lässt sich weder nach dem Ursache-Wirkung-Prinzip steuern oder regeln. Noch ist es vorhersehbar oder kontrollierbar.
Die Organismus-Struktur (Grafik: BURRI public elements AG)
Die Implementierung einer selbstlernenden und unternehmerisch geführten "Organischen Organisation" bedeutete für die Geschwister, Hierarchen abzubauen sowie Rollen und Autoritäten zu etablieren: "Wenn Mitarbeitende wissen, wer sie sind, was sie können, was sie wollen und wohin das Unternehmen will, kriegen sie die Erlaubnis, ihre Autorität auszuüben." Rollen, die vorher in der Schattenorganisation durch die Hierarchie verbaut waren, wurden sichtbar gemacht und ergänzt. Dazu gehörten: Inhaberrolle, Verwaltungsratsrolle, Geschäftsleitung und Leiter. Die Graue Eminenz Controlling und Finanzen wurde abgeschafft und durch ein Finanzinformationszentrum ersetzt, welches analog einer "Wetterstation" die im Umfeld verfügbaren Daten sammelt und Prognosen stellt.
Erfolgreiches Change-Management braucht gemeinsame Werte und eine funktionierende Kommunikationskultur
Auf die Frage nach der Wirkung solch tiefgreifender Veränderungen scheiden gemäss Burri Menschen, die keine Selbstverantwortung übernehmen wollen, meist von selbst aus. Klar, Job Rotation ist nicht immer beliebt und so musste auch Wullschleger sich von einigen Mitarbeitenden trennen, weil sie nicht mehrere Rollen ausüben wollten. Bewährt hat es sich, Ängste anzusprechen und mit Menschen zwischen den Zeilen zu reden. Insbesondere soll man sich viel Zeit für die Alpha-Tiere nehmen, da sie je nachdem positiv oder negativ über das Unternehmen sprechen. Und jene, die am meisten ausrufen, sind nicht als Oppositionelle, sondern als Mutige zu betrachten. Mit ihrem Verhalten testen sie, ob der Change in eine richtige Richtung geht. Als zwingend erachten die Keynote Speaker, in die Entwicklung von gemeinsamen Werten und den Aufbau einer Kommunikations-, Fehler- und Verantwortungskultur zu investieren.
Rollenflexibilität setzt Rollenverständnis voraus
Bei der Stellenbesetzung schätzen sich die Mitarbeitenden laut Wullschleger in der Regel selbst sehr gut ein. Nur selten kommt es zu Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdbild. Wer beispielsweise mehr Lohn möchte, kriegt die Skills-Matrix und muss aufzeigen, was er oder sie kann und wohin er/sie sich entwickeln will. Auch Burri berichtet von Mitarbeitenden, die am Anfang hochhinaus wollten und möglichst gute Rollen ergatterten. Diese realisierten aber sehr schnell, welche Verantwortung dahintersteckt und gaben zum Teil die Rollen wieder ab. Dann gab es Mitarbeitende, die aufgrund von familiären oder ausserfamiliären Verpflichtungen Aufgaben temporär abbauen wollten und dann wieder neue Rollen suchen mussten.
Bonus versus Wertschätzung
Bei beiden Unternehmen ist das Modell der Rollenflexibilität mit einem hohen Anteil an Teilzeitmitarbeitenden verbunden. Aus Unternehmersicht ein Gewinn: 100 Prozent Wissen bei bspw. 70 Prozent Lohn. Der Versuch, etwas an die Mitarbeitenden "zurückzugeben" und einen fairen Bonus zu entwickeln, führte bei Wilhelm Schmidlin AG zu Missgunst unter den Mitarbeitenden - auch wenn diese im Besitz des Verteilschlüssels waren und die Rangliste selbst erstellen durften. Für Wullschleger der Beweis, dass man statt Bonus Wertschätzung geben soll. Wichtig bleibt, dass der Lohn stimmt.
Das Leadership Trendforum: ein Ort der Inspiration und des Lernens
Man kann vielleicht von Glück sprechen, dass das Leadership Trendforum pandemiebedingt in den virtuellen Raum verlegt wurde. Denn so konnten die Teilnehmenden auf spielerische Art und Weise erleben, wie Lernen, soziales Interagieren und Netzwerken mit Hilfe von Avataren funktioniert. Hingegen gibt es auch nach intensiven Diskussionen keine einzig richtige Antwort auf die Eingangsfrage, welche Organisationsform oder Kultur für eine zukunftsfähige Organisation vonnöten ist. Zwar steht bei beiden Praxisbeispielen der Mensch im Zentrum des Agierens. Doch handelt es sich jeweils um individuelle und massgeschneiderte Führungskonzepte mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Und das ist auch gut so. Denn die Praktikabilität und Implikationen für den eigenen Führungsalltag gilt es jeweils für das eigene Unternehmen und die betroffenen Menschen zu prüfen.
Um doch noch ein "Rezept" zum Schluss mitzugeben: Stellen Sie sich vor, was die Zukunft bringen mag, wenn Sie als Führungskraft bereit sind, regelmässig zu reflektieren, lebenslang zu lernen sowie Ihre eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen mit Ihrem Umfeld zu teilen.
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CAS FH in Leadership und Management
Certificate of Advanced Studies (CAS)
CAS FH in Leadership Advanced Compact
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