Was bedeutet mobil-flexible Führung? (2/2)
Helena Schamberger Fischer
In mobil-flexibel arbeitenden Teams und Unternehmen müssen Führungspersonen den Blick über die betrieblichen Räumlichkeiten hinaus richten: Neben wechselnden Arbeits- und Standorten der Mitarbeitenden und speziellen Rahmenbedingungen wirken sich soziotechnische Netzwerke (Schüpbach, 2018) und weitere zahlreiche externe Einflussfaktoren auf die geführten Personen und damit auf die Führungsperson aus. Lassen Sie mich anhand eines realistischen Szenarios eines mobil-flexiblen Unternehmens einige führungsrelevante Aspekte durchdenken.
Stellen Sie sich vor, Sie sind CEO eines schweizerischen Unternehmens, welches im In- und Ausland wohnhafte oder zeitweise im Ausland tätige Personen beschäftigt. Nun möchten Sie Arbeitszeitmodelle gestalten, die mobiles, ortsunabhängiges Arbeiten erleichtern und Ihre mobil-flexiblen Teams möglichst effektiv und effizient führen. Dafür müssen im Vorfeld unter anderen folgende Aspekte berücksichtigt werden:
Technische Faktoren / Schnittstellen / Budget
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Führung. Dazu gehören insbesondere das vorhandene Budget und die technischen Voraussetzungen, respektive Erfordernisse. Aber auch die Mitarbeitenden-, Kunden- und Lieferanten-Kompetenzen beeinflussen die Führung. Denn diese bestimmen die Nutzung und den Einsatz der Technik. Alle diese Faktoren und Schnittstellen steuern unsere firmeninternen Prozesse und geben somit der Unternehmens- und Teamführung eine Richtung vor.
Rechtliches
Auch in der mobil-flexiblen Arbeitsform bildet das Arbeitsrecht die Grundlage der Zusammenarbeit. Dies heisst, dass sich Führungsverantwortliche ihrer Führsorgepflicht (OR 328 Abs. 1) gegenüber ihren Mitarbeitenden stets bewusst sein müssen. Dies bedeutet unter anderem, dass Vorgesetzte auf die Persönlichkeit und die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden Rücksicht nehmen müssen. Ausserdem hat der Arbeitgeber gemäss Gesetz ungerechtfertigte Eingriffe in das Leben der Mitarbeitenden, in deren physische und psychische Integrität, Freiheit, Ehre und Privatsphäre zu unterlassen.
Der Arbeitgeber ist basierend auf OR 327 Abs. 1 verpflichtet, den Arbeitnehmenden die für ihre Tätigkeit erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Weiter werden in OR 329 Abs. 1 die maximale tägliche Arbeitszeit (12.5 Stunden), wöchentliche Höchstarbeitszeit, Tages-, Abend-, Nacht- und Sonntagsarbeit, wie auch die Pausen und freie Tage (mind. 1 pro Woche) festgehalten.
Heikel wird es dann, wenn Mitarbeitende im Home-Office viel mehr Arbeitsstunden leisten, als dies das Gesetz erlaubt. (Dies tun sie vor allem, weil sie sich in der Beweispflicht fühlen, wie diverse Studien zeigen.) Oder wenn für das Einrichten eines dem Gesundheitsschutz entsprechenden Arbeitsplatzes der Eintritt in die Privaträume des Mitarbeitenden notwendig ist. Auch das entspricht einer gesetzlichen Grenzüberschreitung. Mobil-flexible Arbeit kommt also einer Gratwanderung gleich und fordert mobil-flexibel arbeitende Mitarbeitende und Vorgesetzte gleichermassen heraus. Denn das geltende Arbeitsrecht geht nach wie vor von einem klassischen Arbeitsmodell mit festen Arbeitszeiten und fix zugeteilten Arbeitsplätzen in den Unternehmensräumlichkeiten aus.
Gesundheit
Im mobil-flexiblen Arbeiten ist im Hinblick auf die Qualität der Arbeit der Rückzug in einen ruhigen Bereich notwendig. Erst dadurch werden ungestörtes und konzentriertes Arbeiten und eine klare Abgrenzung vom Privatleben und dem beruflichen Kontext möglich. Zudem: Die Trennung von Privatleben und Beruf hilft bei der Integration ausreichender Erholungs- bzw. Regenerierungszeiten und entspricht daher einer gesundheitsfördernden Massnahme. Unter diesem Aspekt weitergedacht, braucht es auch einen speziell für die berufliche Tätigkeit definierten und ergonomisch eingerichteten Arbeitsplatz. Doch nicht jeder Mitarbeitende hat die Möglichkeit oder ist gewillt, in seinen Privaträumen einen solchen einrichten zu lassen. Wie ist dann die Fürsorgepflicht (Gesundheitsschutz) des Arbeitgebers wahrzunehmen?
Psychologie
Der psychologische Aspekt des mobil-flexiblen Arbeitens ist nicht zu unterschätzen. Gesetzt den Fall, es dürfen nicht alle Mitarbeitenden im Home-Office arbeiten. Oder wenn aus Sicherheitsgründen (z.B. sensible Daten über die Landesgrenzen hinweg) nur ein eingeschränkter Zugriff auf den Server gewährt werden kann. Welche Wirkung hat dies auf die betroffenen Mitarbeitenden? Welche gruppendynamischen Prozesse sind aufgrund dieser Ungleichstellung zu befürchten? Wie wirkt sich generell die Zusammenarbeit in ortsunabhängigen Teams auf die Teambildung aus?
Kommunikation
Durch die räumliche Trennung in mobil-flexibler Arbeitsform gewinnt die Kommunikation zunehmend an Bedeutung. Diese muss von den Führungspersonen auf den unterschiedlichsten Kanälen kultiviert und vorgelebt werden, denn gute Kommunikation braucht Klarheit, Verbindlichkeit und Transparenz. Der ausschliessliche Austausch in schriftlicher Form birgt diesbezüglich ein zu hohes Risiko für Missverständnisse.
Regelwerke
Damit der Austausch mit Personen, welche zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Standorten arbeiten auch problemlos stattfinden kann, werden neue Regelwerke als Führungsinstrument notwendig. Darin thematisiert sein sollten unter anderem die Erreichbarkeit, Präsenztage in Unternehmen, Umgang untereinander, Prozesse, Techniknutzung, Schnittstellen und gesetzliche Rahmenbedingungen.
Personalentwicklung
Es reicht nicht aus, Mitarbeitenden ausschliesslich der technischen Voraussetzungen zur Verfügung zu stellen. Wenn vergessen wird, die Mitarbeitenden in der Nutzung der technischen Möglichkeiten zu befähigen, werden diese unzulänglich oder gar nicht genutzt.
Es ist offensichtlich. Mit der Führung mobil-flexibler Teams wachsen die Anforderungen an die Führungskräfte überproportional. Daher ist die Verteilung der anfallenden Verantwortungen unabdingbar. Lesen sie dazu meinen Blogbeitrag "Was bedeutet mobil-flexible Führung? (1/2)".
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Quellen und weiterführende Informationen
Forschungsgruppe Gestaltung flexibler Arbeit. (2018). Führung. CAS Digitalisierung der Arbeitswelt. Folie 96. Olten: Fachhochschule Nordwestschweiz.
Maigatter, A., Weichbrodt, J. & Welge, K. (2017). Whitepaper: Führungsherausforderungen mobil-flexibler Zusammenarbeit.
Schamberger Fischer, H. Digitalisierung: Kompetenzenmix und 45/50+
Schüpbach H. (25. 01 2018). Soziotechnische Gestaltung des Digitalen Wandels aus der Sicht der Arbeitspsychologie. Soziotechnisches Systemkonzept. Olten: Fachhochschule Nordwestschweiz.
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