Job Rotation – mehr als nur Rochade
Irene Willi Kägi
Job Rotation war früher eine Massnahme der Industrie, um die Nachteile von monotonen Arbeitsabläufen zu verringern und Produktivitätsverluste zu vermeiden. Mittlerweile hat das Prinzip des temporären Stellenwechsels in vielen Unternehmensbereichen Einzug gehalten. Insbesondere in grossen Unternehmen ist Job Rotation gar zu einem integralen Bestandteil einer gezielten Personalentwicklung geworden – nicht zuletzt als Antwort auf den demographischen Wandel und als Instrument zur Erhöhung der Agilität. Welcher Mehrwert ist mit dieser Form der internen Mobilität verbunden? Und mit welchen Nachteilen müssen Arbeitgeber und ihre internen „Reisenden“ rechnen?
Job Rotation ist vor allem in Grosskonzernen weit verbreitet – sei es in Form von Trainee-Programmen für Hochschulabsolventen, welche die Funktionen mehrfach, meist auf globaler Ebene, tauschen – oder in Form von Programmen für Lehrlinge, die während ihrer Ausbildung mehrere Stationen durchlaufen. Damit sollen diese in das organisatorische Netz integriert und das Verständnis für gesamtunternehmerische Zusammenhänge geschärft werden. Ausserdem gilt es, wertvolle Erfahrungen zu gewinnen, die später unter Umständen als Führungskraft eingesetzt werden können. Job Rotation dient in diesen Fällen zur straffen Karriereplanung für junge, ambitionierte Mitarbeitende und zur Nachwuchssicherung des Unternehmens.
Mehrwert: Sicherung der Beweglichkeit und Beschäftigungsfähigkeit
In der Tat bestätigen mehrere Studien einen Mehrwert von Job Rotation. Beispielsweise zeigen erste Ergebnisse einer langfristig angelegten bereichsübergreifenden Job-Rotation-Pilotstudie eines Automobilkonzerns positive Effekte in der intrinsischen Motivation, der Leistungsfähigkeit und dem affektiven Commitment der Teilnehmenden (Teetz, 2015). Der Schluss liegt nahe: Job Rotation trägt zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit bei.
In der Praxis wird Job Rotation über Traineeprogramme hinaus zunehmend zur allgemeinen Förderung der Wissensvermittlung eingesetzt: Die Baudirektion des Kantons Zürich hat für Mitarbeitende in Fachführungsfunktionen in ihrem Programm „BD Akademie“ neben Präsenz-Ausbildungsmodulen auch Praxismodule integriert. Hier arbeiten die Teilnehmenden des Programms während einer festgelegten Zeit in einer anderen Institution/Unternehmung, aber im gleichen Fachbereich. Ziel ist hier über den „Tellerrand“ hinauszusehen und gegebenenfalls Anregungen und Optimierungsimpulse für den eigenen Bereich zu bekommen.
Bei der Post hat eine interne Befragung ergeben, dass rund acht von zehn Mitarbeitenden (79 Prozent) sich einen temporären Stellenwechsel bei der Post vorstellen können (Personalzeitung der Post 17.02. 2015). Durch die Zunahme der internen Mobilität erhofft sich die Post, dass Mitarbeitende vermehrt bereichsübergreifend denken und für ihre Kunden innovative Lösungen entwickeln. Nicht zuletzt verfolgt sie damit das Ziel, als Arbeitgeberin für bestehende aber auch für neue Mitarbeitende attraktiv zu bleiben.
Auch bei der Mobiliar Versicherung wird Job Rotation als Möglichkeit zur Entwicklung von neuen Kompetenzen gross geschrieben. Ein wichtiger Grund dafür seien die Stellenprofile, die sich im Rahmen der Digitalisierung laufend verändern und neue Anforderungen an die Mitarbeitenden stellen (Tages Anzeiger 11. September 2018). So verspricht sich der Versicherer mit Job-Rotation-Programmen neben der Horizonterweiterung die Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhöhen. Das Angebot wird jedoch noch wenig genutzt.
Nachteile: Unsicherheit, Ängste und Ressourcenaufwand
Die Vorstellung, mehrfach den Job zu wechseln, stösst nicht immer bei allen Beschäftigten auf Begeisterung. Oft stehen persönliche Motive wie Familie und Kinder im Schulalter oder ein eben erworbenes Eigenheim der geforderten Mobilität im Wege. Mit einem internen Stellenwechsel gehen zudem häufig Veränderungen einher, die mit Risiken verbunden sind und Ängste auslösen: Kann ich mein Fachwissen am neuen Ort einsetzen oder geht dieses angesichts der neunen Herausforderungen verloren? Gerate ich beispielsweise während eines Auslandaufenthaltes bei meinem angestammten Team in Vergessenheit? Wie kommt die Familie mit meiner Abwesenheit zurecht? Ist die Rückkehr an meinen „alten“ Arbeitsplatz garantiert?
Auch für den Arbeitgeber kann Job Rotation mit Nachteilen verbunden sein: Entschliessen sich Mitarbeitende für einen temporären Stellenwechsel, fehlt der Mitarbeitende am „alten“ Arbeitsort und die Kostenstelle wird dennoch belastet. An der „neuen“ Arbeitsstelle wiederum muss sich der Mitarbeitende zuerst in das ihm fremde Gebiet einarbeiten, bevor er produktiv werden kann. Ausserdem müssen Ressourcen für die Einführung zur Verfügung gestellt werden. Zu bedenken gilt es auch, dass für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten spezifische anerkannte Abschlüsse notwendig sind und Job Rotation damit nicht für jedes Berufsbild möglich ist.
Fazit: Es kommt darauf an
Grundsätzlich kommt Job Rotation für jede Hierarchiestufe und für jeden Unternehmensbereich in Frage. Unternehmen müssen selber entscheiden, ob die Vorteile von Job-Rotation die Nachteile überwiegen. Für Grosskonzerne, welche den Umsatz mehrheitlich im Ausland erwirtschaften, kann die interne Mobilität insbesondere zur Förderung interkultureller Kompetenzen und damit zur Verbesserung der (virtuellen) Zusammenarbeit beitragen. Für kleinere Unternehmen und Berufe mit hohem Spezialisierungsgrad ist Job Rotation eher weniger geeignet.
Zu überlegen gilt, welche Form von Job Rotation für den einzelnen Mitarbeitenden und den Arbeitgeber die Bestmögliche ist: sei es eine Projektarbeit, welche den Mitarbeitenden für eine Woche, einen Monat oder ein Jahr beschäftigt. Oder eignet sich eher ein Rollentausch, bei dem die Mitarbeitenden wechselseitig die Aufgaben des jeweils anderen übernehmen. Eine etwas abgespeckte Form von Job Rotation ist das Job Shadowing. Hier eignet sich der Mitarbeitende neue Kompetenzen an, indem er einem anderen Kollegen über die Schulter schaut.
Aufgrund des benötigten Aufwands und der Unsicherheit in der Umsetzung vergeben sich Arbeitgeber oft die Chance, vom Nutzen der Job Rotation zu profitieren. Wenn Sie sich als Unternehmen dafür entscheiden, klären Sie mit dem Mitarbeitenden die mit der Job Rotation verbunden Erwartungen, definieren Sie konkrete Ziele und legen Sie Dauer und Inhalte im Vorfeld schriftlich fest. Damit beseitigen Sie nicht nur Unklarheiten, sondern ermöglichen nach Ablauf der Job Rotation eine bessere Kontrolle der Ergebnisse. Für den Mitarbeitenden mag zwar der Weg das Ziel sein, für Unternehmen ist es jedoch umso besser, wenn auch die Zahlen für Job Rotation sprechen.
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Quellen und weiterführende Informationen
Chevillot, A. (2015). Die Mehrheit ist offen für einen temporären Stellenwechsel. Die Post Personalzeitung.
Mayer, R. (2018). Interner Job-Tausch: Lust auf Abwechslung? Tages-Anzeiger.
Teetz, T. (2015). Beschäftigungsfähigkeit durch Job Rotation. Erste Ergebnisse der Evaluation eines Pilotprojekts für Produktionsmitarbeiter. Wiesbaden: Springer Gabler Verlag.
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