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Kollegiale (Fall-)Beratung (Symbolbild)

Haben Sie demnächst eine beruflich schwierige Situation zu meistern? Steht ein Konfliktgespräch oder eine heikle Entscheidung an? Oder suchen Sie im Anschluss an eine Weiterbildung Unterstützung bei der Umsetzung des Gelernten in die Praxis? Peers können sehr wohl innert kurzer Zeit sehr viel zu Ihrer persönlichen Lösungsfindung und Kompetenzerweiterung beitragen. Wie das funktionieren kann, erfahren Sie in dieser vierteiligen Blogserie zum Thema "Kollegiale Beratung".

Lernen in Peer-Gruppen anhand eigener Praxisfällen, auch bekannt unter "kollegiale (Fall-)Beratung", „Peer Coaching“ oder „Intervision“, ermöglicht optimales Lernen ohne Einsatz von Lernexperten. Dabei bearbeiten „gleichrangige“ Peers, beispielsweise Führungskräfte, Projektleitende, Fachexperten oder TeilnehmerInnen einer Weiterbildung, ein arbeitsbezogenes Problem nach einer strukturierten Vorgehensweise, um zu neuen Sichtweisen und Handlungsoptionen zu gelangen.

Wie kollegiale (Fall-)Beratung funktioniert

Drei oder mehr Peers bilden einen sogenannten Learning Circle (Idealgrösse 5 - 8 Personen), der sich regelmässig trifft, um die Ressourcen innerhalb der Gruppe sozusagen als Hilfe zur Selbsthilfe zu nutzen. Grundsätzlich kann jede Frage oder Problemstellung, was die Praxis betrifft, behandelt werden – sei es im Zusammenhang mit Personen (Klienten bzw. Klientensystem, Teammitgliedern, bzw. Team, Vorgesetzten oder die eigene Rolle bzw. Funktion bei der Arbeit) oder auf der fachlich-technischen Ebene der Organisation (Methoden, Ressourcen, Abläufe etc.).

Die kollegiale (Fall-)beratung erfordert eine klare Rollenzuteilung: Es gibt jeweils eine/n Fallgeber/in, Moderator/in und ein Beratungsteam. Die Qualität der BeraterInnen besteht in der Fähigkeit des aktiven Zuhörens und freien Assozierens sowie der lösungsorientierten Rückmeldungen an die/den Fallbringer/in. Damit entsteht eine Perspektivenvielfalt sowie eine Korrektur der subjektiven Sicht- und Verhaltensweisen der Fallbringerin bzw. des Fallbringers, ohne den Eindruck von Kritik oder Vorwürfen zu hinterlassen. Die Moderatorin bzw. der Moderator leitet die Gruppe im Sinne des vereinbarten Beratungsprozesses an und sorgt auch für die Einhaltung des Zeitrahmens.

Grundstruktur der kollegialen (Fall-)Beratung

Die verschiedenen Ansätze des kollegialen Beratungsprozesses gehen auf den ungarischen Arzt Balint zurück und sind auch unter dem Namen Balint-Methode bekannt. Die hier aufgeführte Struktur wurde aus verschiedenen Ansätzen abgeleitet und weiter ausgeführt. Je nach zur Verfügung stehender Zeit empfiehlt sich eine Beratungssitzung von ca. 60 - 90 Minuten Länge.

1. Vorbereiten und Anliegen erheben (im Vorfeld der eigentlichen Beratung)

  • Jedes Gruppenmitglied bereitet eine Fragestellung beispielsweise nach dem Thomann-Schema individuell vor.
  • Die Gruppe wählt gemeinsam einen Moderator / eine Moderatorin und eine Fragestellung aus, die behandelt werden soll. Als Selektionskriterien eigen sich Aktualität, Dringlichkeit oder Zeitbedarf.

2. Darlegen und Präsentieren (5 -10‘)

  • Die/der Fallbringer/in schildert allenfalls mit Hilfe von Visualisierungen (Bild, Mind Map, Collage etc.) ihren/seinen Fall (Beteiligte, Schlüsselsituationen, persönliche Gefühle) und ihre/seine Fragestellung an die BeraterInnen. Die BeraterInnen hören zu.   

3. Verstehen (5 - 10‘)

  • Die BeraterInnen stellen Rückfragen (offene Fragen, keine Suggestivfragen) zum besseren Verständnis. Hierbei muss die Moderatorin / der Moderator beachten, dass nicht bereits eine Diskussion mit Meinungen und Interpretationen stattfindet.

4. Betrachten, Vertiefen und Hypothesen bilden (15 - 20‘)

  • Die/der Fallbringer/in kehrt der Gruppe den Rücken zu, sodass sie/er keinen Blickkontakt zu ihr hat, damit die BeraterInnen unbeeinflusst diskutieren und hypothetisieren können.
  • Die BeraterInnen schildern, wie sich der Fall aus ihrer Sicht darstellt, beispielsweise indem sie Analogien zu ihren eigenen Erfahrungen bilden, Erklärungsversuche machen, Diagnosen stellen und Vermutungen bzw. Hypothesen äussern.
  • Die/der Fallbringer/in wendet sich wieder der Gruppe zu und meldet, beispielsweise auf einer Skala von 1 - 10, inwiefern die Hypothesen aus ihrer/seiner Sicht zutreffen.

5. Lösungen und Handlungsalternativen erarbeiten (15 - 20‘)

  • Die/der Fallbringer/in wendet sich erneut von der Gruppe ab und hört zu, ohne die BeraterInnen zu unterbrechen.
  • Die Gruppe erarbeitet Lösungsvorschläge auf Basis der von der/dem Fallbringer/in bewerteten Hypothesen. Hilfreich ist der Einsatz der Brainstorming-Methode und das Sammeln der Ideen auf einem Flipchart durch die/den Moderator/in.

6. Lösungen kommentieren, bewerten und entscheiden (15 - 20‘)

  • Die/der Fallbringer/in beurteilt die von der Gruppe erarbeiteten Lösungen bezüglich Wirkung und persönlicher Umsetzungsbereitschaft beispielsweise mittels einer Skalierung von 1 - 10. (Es kann sein, dass eine Lösung zwar die beste ist, die/der Fallbringer/in sich jedoch mangels persönlicher Kompetenz nicht in der Lage fühlt, diese umzusetzen.) Anschliessend entscheidet die/der Fallbringer/in, was sie/er sich vornimmt. Es bedarf keiner Rechtfertigungen, warum sie/er manche Lösungsvorschläge aufgreift und andere nicht.
  • Die Gruppe inklusive Falbringer/in thematisieren mögliche Stolpersteine: Was kann/muss wer tun, dass die Lösung gelingt/misslingt.

7. Abschliessen und Beenden (5 - 10‘)

  • Alle äussern sich zu ihrem persönlichen Lerngewinn für die Praxis aus diesem Fallbeispiel.
  • Alle geben Rückmeldung (insbesondere an die/den Moderator/in) bezüglich der Zusammenarbeit innerhalb des Beratungsprozess.

Fazit

Die Anwendung der kollegialen (Fall-)Beratung als Lernform erhöht die Reflexionskompetenz und erweitert die Handlungsalternativen der FallbringerInnen. Das Erkennen und Akzeptieren anderer Standpunkte wirkt klärend für Konfliktsituationen oder Missverständnisse. Die soziale Unterstützung der Gruppe kann gerade bei schwierigen Alltagssituationen entlastend wirken. Allerdings braucht es eine hohe Kommunikationskompetenz der TeilnehmerInnen: Sie unterscheiden zwischen Sach- und Beziehungsebene einer Nachricht, beachten die allgemeinen Feedbackregeln und zeichnen sich aus durch eine wertschätzende, nicht wertende und konstruktive Grundeinstellung.

Vertiefen Sie sich in weiteren Methoden der kollegialen (Fall-)Beratung:

Kollegiale Beratung: Falldarstellung (Teil 2/4)
Kollegiale Beratung: Hypothesenbildung (Teil 3/4)
Kollegiale Beratung: Lösungsfindung (Teil 4/4)

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Quellen und weiterführende Informationen

Lippmann, E. (2013). Intervision – Kollegiales Coaching professionell gestalten. (3. Auflage). Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.

Schulz von Thun, F (2006). Praxisberatung in Gruppen - Erlebnisaktivierende Methoden mit 20 Fallbeispielen zum Selbsttraining für Trainerinnen und Trainer, Supervisoren und Coachs. (6. Aufl.). Weinheim und Basel: Belz Verlag.

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