Frauenporträt hinter Einsern und Nullen Frauenporträt hinter Einsern und Nullen
Den Frauen fehlt es oft an Selbstvertrauen, sich digitale Kompetenzen anzueignen. (Symbolbild)

Mit dem zunehmenden Fortschritt und Einsatz digitaler Technologien in der Arbeitswelt verändern sich Berufsbilder und Kompetenzanforderungen laufend. Allerdings hindern soziokulturelle Normen Frauen daran, digitale Kompetenzen zu entwickeln. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Fachhochschule Neustadt (2023). Ein digitaler «Gender Gap» ist für Arbeitnehmerinnen eine gefährliche Entwicklung. Digitale Kompetenzen entscheiden nämlich immer mehr über Beschäftigungsfähigkeit und Karrierechancen. Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie sind hier zusammengefasst.

Welche Barrieren erschweren den Frauen den Zugang zu digitalen Kompetenzen?

Bei der Aneignung von digitalen Kompetenzen stehen gemäss der genannten Studie folgende Barrieren den Frauen im Weg. Damit erscheinen Berufsbilder mit digital geprägten Kompetenzprofilen für Frauen weniger attraktiv.

  • Traditionelle Rollenbilder und Male Bias: Digitale Kompetenzen werden Männern eher zugetraut bzw. das technische Verständnis wird den Frauen abgesprochen: Zu dieser «Male Bias» gehört auch, dass Frauen glauben, ihre digitalen Kompetenzen eher beweisen zu müssen als Männer. Ausserdem fehlt es an weiblichen Vorbildern (Role Models) im technischen und digitalen Bereich.
  • Mangel an Grundlagenwissen und Selbstvertrauen: Arbeitnehmerinnen verfügen oft nicht über das notwendige Grundlagenwissen hinsichtlich der digitalen und technologischen Entwicklungen in ihrem beruflichen Umfeld. Dahingehende Fragen werden von ihren männlichen Kollegen zum Teil nicht ernst genommen oder mit Gegenfragen beantwortet. Zudem fehlt es den Frauen an Selbstvertrauen, sich die digitalen Kompetenzen anzueignen.
  • Mangelnde Unterstützung und Ressourcen seitens Arbeitgebende: Arbeitgebende sind nicht bereit, Frauen Aus- und Weiterbildungsangebote im Bereich der digitalen Kompetenzen zur Verfügung zu stellen oder sie dabei finanziell zu unterstützen. Arbeitnehmerinnen dürfen entsprechende Bildungsangebote nicht im Rahmen ihrer Arbeitszeit wahrnehmen. Ausserdem verfügen viele Unternehmen weder über die technische Ausrüstung (Hardware) oder Tools noch über Softwarelizenzen, Zugang zu Programmen oder finanzielle Ressourcen.
  • «Hochschwellige» Aus- und Weiterbildungsangebote und mangelnde Vereinbarkeit mit Lebenssituation: Frauen schrecken vor Bildungsangeboten zurück, die im Kurstitel oder in der Kursbeschreibung unvertraute Begriffe aufführen. Kursteilnehmerinnen bekunden oft Mühe, Vortragenden zu folgen, die ihnen unbekannte, digitale Fachbegriffe verwenden. Auch entsprechen Bildungsangebote häufig nicht einem Teilzeitarbeitsmodell und ein weit entfernter Kursort oder eine lange Kursdauer (z.B. eine dreitägige Fortbildung am Stück) machen es schwierig, gleichzeitig anderen Verpflichtungen (Kinderbetreuung, etc.) nachzukommen.

Welche fachlichen Kernkompetenzen werden für die Ausübung künftiger Berufsprofile benötigt?

Berufsprofile werden immer mehr von digitalen Technologien geprägt und durch neue Kompetenzfelder erweitert. Wie die Studie ausführt, gelten als besonders relevante Kompetenzen die Gestaltung digitaler Prozesse, die Erfassung, Systematisierung, Analyse und Nutzung von Daten sowie die Gestaltung und Anwendung digitaler Tools bis hin zur künstlichen Intelligenz.

Folgende Berufsprofile sind entweder relativ jung am Arbeitsmarkt oder werden unter anderen für die Zukunft vorausgesagt. Die weibliche Form ist hier bewusst gewählt, um allfällige Barrieren gegenüber digitalen Fachbegriffen abzubauen.

  • Die Data- oder Business-Analystin führt komplexe Analysen und Modellierungen durch und automatisiert Standardprozesse der Datenverwendung.
  • Die Business Intelligence Coderin gestaltet Anwendungen (z.B. im Bereich Business Intelligence / Business Analytics). Sie versteht den Kontext und die fachlichen Anforderungen und kann diese technisch umsetzen.
  • Die Digital Process Managerin / Digital Solutions-Managerin definiert die Anforderungen an Prozesse und/oder Lösungen und agiert an der Schnittstelle zwischen der Fach- und IT-Abteilung oder externen Dienstleister:innen im Bereich IT.
  • Die Digital Hub Managerin koordiniert diverse Stakeholder und Mitarbeitende in der digitalen Zusammenarbeit.
  • Die Blockchain-Spezialistin steuert die Umsetzung von Blockchain-Projekten und kann Fachabteilungen dahingehend beraten.
  • Die KI-Spezialistin steuert die Anwendung künstlicher Intelligenz im Unternehmen unter kritischer Evaluierung der Vor- und Nachteile des jeweiligen Technologieeinsatzes.
  • Die Digital/Virtual Health Keeperin ist Psychologin für digitale bzw. für virtuelle Welten. Sie prüft, wie sich digitale und/oder virtuelle Umgebungen auswirken und hat das Wohlbefinden der beteiligten Stakeholder im Fokus.
  • Die Digital Content Editorin gestaltet die Kommunikation digitaler Inhalte.

Wie steht es um das digitale Kompetenzniveau der Frauen?

Im Umgang mit Daten und Informationen sowie in der digitalen Kommunikation und Zusammenarbeit schätzen sich Frauen laut der Studie am besten ein. Grundlagenwissen und Zugang zu digitalen Kompetenzen sowie Sicherheit folgen an nächster Stelle. In der Kreation digitaler Inhalte sowie im Lösen von Problemen und Weiterlernen bewerten sie sich am schlechtesten. In den zwei letzteren Kompetenzbereichen wird also ein Entwicklungspotential der Arbeitnehmerinnen vermutet. Hinzu kommt, dass Frauen meinen, dass Arbeitgebende ein niedrigeres digitales Kompetenzniveau von ihnen erwarten, als sie tatsächlich aufweisen. Dieses Ergebnis überrascht und das Studienautorenteam regt diesbezüglich zur weiteren wissenschaftlichen Untersuchung an.

Wie sind die Weiterbildungsangebote zu gestalten, damit Frauen maximal davon profitieren können?

Die Autorinnen und der Autor der Studie empfehlen, Massnahmen zur gezielten Förderung digitaler Kompetenzen von Frauen gesellschaftlich zu verankern und schon im Kindesalter zugänglich zu machen. Damit sollen nicht nur Barrieren und Ängste vor der Technologie abgebaut, sondern auch ein neues Rollenbild von Frauen aufgebaut werden. Dazu gehöre es, auch Fortbildungen anzubieten, die insbesondere auf Frauen ausgerichtet sind und von Frauen durchgeführt werden. Da Frauen ihr eigenes digitales Kompetenzniveau schlecht einschätzen können, wird vorgeschlagen, dieses vor einem Kursbesuch mittels eines standardisierten Messinstruments zu ermitteln. Weitere Empfehlungen der Studie lauten:

  • Rahmenbedingungen: Um den Besuch von Fortbildungen mit etwaigen Kinderbetreuungspflichten besser vereinbaren zu können, sollten die Kurse idealerweise am Vormittag oder Nachmittag während den Schulzeiten stattfinden oder in den Abendstunden, wenn die Kinder im Bett sind oder durch den oder die Partner:in betreut werden. Auch sind orts- und zeitunabhängige Angebote wichtig, z.B. in Form von Online-Kursen, die man zu frei wählbaren Zeiten mittels Selbststudiums absolvieren kann.
  • Inhalte: Die Inhalte des Fortbildungsangebots sind praxisorientiert zu gestalten, beispielsweise durch das Aufgreifen von Anwendungsbeispielen aus dem Arbeitsalltag. Auch erweist es sich als didaktisch hilfreich, Kommunikations- bzw. Interaktionsmöglichkeiten, z.B. in Form von Lernplattformen, zu schaffen, damit sich Frauen untereinander austauschen und gegenseitig unterstützen können. Ein regelmässiges Update der Kursinhalte ist unerlässlich, um das Wissen aktuell zu halten.
  • Kursleitung: Zu den wichtigen Aufgaben der Kursleitung zählt es, eine positive Atmosphäre herzustellen und Frauen zum Stellen von Fragen – auch zu Grundlagenwissen – zu ermutigen. Geduld, Verständnis und Empathie sowie eine einfache, verständliche Sprache helfen, auf das jeweilige Kompetenzniveau der Teilnehmerinnen einzugehen.

Was sagen andere Studien dazu?

Aktuelle Studien zum Thema «Digital Gender Gap» sind rar. Eine weitere Studie aus dem deutschen Sprachraum bestätigt, dass die Frauen bei der Digitalisierung im Beruf benachteiligt sind (WSI, 2023). Zwar würden Männer und Frauen heute ähnlich häufig am Computer arbeiten (89 Prozent Männer gegenüber 87 Prozent Frauen). Doch seien deutliche Unterschiede zu erkennen bei der fortgeschrittenen Anwendung von Standardsoftware (50 Prozent Männer gegenüber 34 Prozent Frauen) und der Verwendung von spezieller Software (36 Prozent Männer gegenüber 25 Prozent Frauen). Dies betrifft das Schreiben von Makros oder anderen Skripten wie CAD-Programme, Programme für Desktop-Publishing oder für statistische Analysen. Drastisch sieht der Unterschied bei der Nutzung von Programmiersprachen aus (10 Prozent Männer gegenüber 2 Prozent Frauen). Der "Digital Gap" ist laut dieser Studie bei Frauen in Teilzeitstellen besonders gross. Punkto Berufschancen in einem digitalisierten Arbeitsmarkt sehen sich nur ein guter Drittel der Frauen auf vernetzte digitale Technologien optimal vorbereitet, bei Männern sind es fast die Hälfte.

Damit Arbeitnehmerinnen mit ausserberuflichen Verpflichtungen nicht in Arbeitsstellen verharren, wo wenige oder keine beruflichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten bestehen, brauche es - so das Fazit der Studie - eine staatliche Förderung des Zugangs zu Weiterbildungen für Frauen sowie ein Wandel der betrieblichen und damit gesellschaftlichen Arbeitszeitkultur. Die 4-Tage- bzw. 32-Stunden-Woche könne hierfür richtungsweisend sein.

Fazit

Digitale Kompetenzen tragen entscheidend zur Beschäftigungs- und Karrierefähigkeit von Arbeitnehmenden bei. Beim Erwerb von digitalen Technologien scheinen besonders den Frauen Barrieren im Weg zu stehen und geschlechterspezifische Stereotype eine grosse Rolle zu spielen. Somit droht mit der digitalen Transformation der Arbeitswelt ein «Digital Gender Gap» zu entstehen. Damit Frauen den Anforderungen der neu entstehenden Berufsbilder gewachsen sind, ist eine genderinklusive digitale Kompetenzentwicklung in Form von «Upskilling» und «Reskilling» genauso wichtig wie das Hinterfragen von traditionellen Rollenbildern in der Arbeitswelt und der Gesellschaft. Die Rasanz der digitalen Entwicklungen bringt aber auch persönliche Herausforderungen hervor. Frauen wie Männer müssen sich selbst einschätzen und managen können, um in einem zunehmend digitalisierten Arbeitsumfeld erfolgreich zu sein.

Autor/in
Irene-Willi

Irene Willi Kägi

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