Mitarbeitende 50plus - mit Retentionsmassnahmen gegen den Fachkräftemangel der Pflege [Masterarbeit]
Helena Schamberger Fischer
Der wachsende Pflegefachkräftemangel wird seit geraumer Zeit genauso diskutiert, wie die Tatsache, dass die Berufsausstiegsquote in der Pflege sehr hoch ist. Vor diesem Hintergrund wird ein professionelles Retentionsmanagement immer wichtiger. Im Rahmen meiner Masterarbeit ging ich der Frage nach, welche Retentionsmassnahmen für die Zielgruppe Pflegefachkräfte 50plus in den Deutschschweizer Spitalbetrieben angewendet werden.
Hintergrund
Anhand des Literaturstudiums wurde deutlich, dass es sich bei den 50plussern, nach der Gruppe der Frauen, um die zweitgrösste Mitarbeitenden-Gruppe mit Potenzial zur Schliessung der Lücken in Berufen mit Fachkräftemangel handelt. Im Gesundheitswesen arbeiten vorwiegend Frauen. Deshalb ist in dieser Mitarbeitenden-Gruppe kein nennenswertes zusätzliches Potenzial vorhanden. Das Bundesamt für Statistik (BFS) erwartet einen Anstieg des Erwerbstätigenanteils in der Alterskategorie 50plus von einem Viertel auf einen Drittel.
Überraschenderweise werden, gemäss BFS in den Pflegeberufen nur unwesentlich mehr Mitarbeitende 50plus beschäftigt als dies in anderen Berufssparten der Fall ist (2008). Die Ausschöpfungsziffer der im Pflegeberuf arbeitenden 50plusser ergibt zudem, dass diese zu 44.1% in einem Anstellungsverhältnis <50% tätig sind. Dies obwohl das Gesundheitswesen schon seit vielen Jahren mit den Herausforderungen des Fachkräftemangels konfrontiert ist. Von der Wissenschaft wurde schon seit längerem auf die Stärken dieser Mitarbeitenden-Gruppe hingewiesen. Denn die heutigen 50plusser sind putzmunter, dynamisch und kompetent, was den weit verbreiteten stereotypen Vorurteilen wiederspricht. Weckmüller weist sogar darauf hin, dass allfällig vorhandene Alterungsprozesse der Mitarbeitenden, von den Unternehmen aktiv vorangetrieben werden, weil die vorhandenen Personalinstrumente vorrangig den jüngeren Mitarbeitenden zugutekommen.
Übersehen wird des Weiteren oft, dass der Bildungsstand dieser Alterskategorie kontinuierlich ansteigt. Somit entspricht diese Mitarbeitenden-Gruppe einem wichtigen Baustein zur kostengünstigen, schnellen und pragmatischen Lösung des Pflege-Fachkräftemangels. Dies umso mehr, weil sich die Rahmenbedingungen grundlegend geändert und die Rekrutierung von Pflegefachkräften im Ausland erschwert haben. Denn einerseits begrenzt die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative das Rekrutierungs-Potenzial von ausländischen Pflegefachkräften. Andererseits wurde die Schweiz durch die OECD zum Suchen nach nationalen Problemlösungen aufgefordert. Dies weil der Abzug der Pflegefachkräfte aus wirtschaftlich schwächeren Ländern einen Dominoeffekt und eine Verlagerung des Pflegefachkräftemangels in diese Länder verursacht.
Grundsätzlich weisen die OECD und weitere Studien darauf hin, dass der Erhalt der Pflegefachkräfte in Beruf und Unternehmen als zentrale Handlungsfelder zu betrachten sind. Für die Recherchen zu dieser Arbeit wurden sowohl die aktuellsten Pflegestudien, die Daten des BFS sowie diverse Literatur zu den spezifischen Themen des Retentionsmanagement, der Mitarbeitenden-Gruppe 50plus, wie auch die Daten der WHO, OdASanté und weitere herangezogen.
Ergebnisse
Anhand meiner quantitativen empirischen Studie in den Deutschschweizer Spitalunternehmen und der vorliegenden Literatur ist festzuhalten, dass eine grosse Diskrepanz zwischen der sehr hoch eingeschätzten Unternehmens- und Berufsverbundenheit der Pflegefachkräfte 50plus von 86,4% und der generellen Berufsverweildauer von nur 12.5 Berufsjahren in der Pflege besteht. Gleichzeitig geht ein hoher Anteil an Pflegefachkräften in die vorzeitige Vollrente. Diese Gegenüberstellung hinterlässt den Eindruck, dass Pflegefachkräfte im Beruf und Unternehmen bleiben würden, falls die Arbeitsbedingungen besser auf deren Bedürfnisse und Belastungsgrenzen angepasst würden.
Die Nachfrage nach den gezielt auf die Mitarbeitenden-Gruppe 50plus angewendeten Personalbindungsmassnahmen hat ergeben, dass bei 84.9% der Deutschschweizer Spitalunternehmen sehr wertvolle Personalbindungsmassnahmen eingesetzt werden. Allerdings entfallen diese zu beinahe 100% in die Kategorie Anerkennung wie zum Beispiel Jubiläumsgeschenke und zusätzliche Ferienwochen. Diese wirken punktuell und sind zu wenig auf die Personalbindung bis zum regulären Rentenalter und die spezifischen Bedürfnisse und Charakteristika nach Selbstorganisation, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung der Pflegefachkräfte 50plus ausgerichtet. Der damit erzielte Personalbindungserfolg wurde mit ausschliesslich 16.7% bewertet, was den Bedarf an zielgruppengerechten Personalbindungsmassnahmen unterstreicht.
Weiter wird in diversen Studien auf die geringe Einkommenssituation in der Pflege, die hohe gesundheitliche Belastung und die zunehmende Verantwortung hingewiesen. Es stellt sich die Frage, ob diese Faktoren in einem direkten Zusammenhang zur hohen Quote der Vollverrentung stehen. Generell ist aus den diversen herangezogenen Studien und weiterer Literatur zur Arbeitssituation der Pflegemitarbeitenden 50plus festzuhalten, dass diese Personal-Gruppe sowohl beruflich, wie auch schulisch ambitioniert ist. Sie birgt somit ein grosses berufliches Entwicklungs- und Ausschöpfungs-Potenzial. Denn 50plusser wollen sich noch einmal beweisen und neu definieren.
Zudem kennt diese Mitarbeitenden-Gruppe sowohl die alten wie auch die neuen Pflegeumstände und –Werte, was einem sehr grossen Wertschöpfungs-Potenzial für die Unternehmen entspricht. Gerade durch die zahlreichen Veränderungen in den Pflegeberufen musste sich diese Mitarbeitenden-Gruppe in den vergangenen Jahren laufend weiterbilden. Somit sind allfällige Wissenslücken mit einem geringen Aufwand zu schliessen. Weckmüller weist daraufhin, dass Mitarbeitende 50plus gefördert und auf die typischen Charakteristika eingegangen werden soll. Dies ist für den Personalbindungserfolg der Mitarbeitenden 50plus so entscheidend, weil diese die verbleibende Zeit sinnvoll und gezielt nutzen wollen. Daher steht die Sinnfrage auch im beruflichen oder Aus- und Weiterbildungskontext verstärkt im Fokus dieser Mitarbeitenden-Gruppe. Durch den Einsatz zielgruppengerechter Förderungsmassnahmen wie auch Karriere- und Entwicklungschancen bleibt die Motivation erhalten. Auf diese Weise kann dem Wissensverlust und der Resignation entgegengewirkt werden. Dies bindet Personal an die Unternehmen und den Beruf. Zudem entsprechen das Kennen und Eingehen auf die individuellen Charakteristika der 50plusser einem Wettbewerbsvorteil. Die Unternehmen können von den Mitarbeitenden 50plus einen grossen Nutzen generieren, denn Mitarbeitende sind Kapital auf Füssen. So muss sich das HRM künftig auf den Arbeitnehmenden-Markt ausrichten.
Relevanz und Empfehlungen für die HR-Praxis in Pflegeinstitutionen
Ein Paradigmenwechsel sowohl im HRM als auch im Management ist erforderlich, denn demografische Alterung bedeutet auch eine älter werdende Belegschaft. Die Tatsache, dass es sich bei den 50plussern um die einzige anwachsende Mitarbeitenden-Gruppe handelt, zeigt die Dringlichkeit für ein Umdenken auf. Die spezifische Ausrichtung auf die Bedürfnisse, Motive und Charakteristika der Mitarbeitenden 50plus, wie auch der zielgruppengerechten Ansprache und Kommunikation sind dabei genauso wichtig und sinnvoll für die erfolgreiche Personalbindung, wie neue flexible Arbeitszeitmodelle oder die Förderung durch Aus-, Weiterbildungen und Karrierechancen.
Gezielt untersucht werden sollte das Zusammenspiel von Lohnstruktur, zunehmender Verantwortung und gesundheitlicher Belastung, IV- und vorzeitiger Altersrente. Nicht auszuschliessen ist, dass Pflegefachkräfte 50plus bis zum Totalausfall über ihre Belastungsgrenze arbeiten, weil der Einkommensverlust eine Reduktion der Stellenprozente nicht zulässt. Dies wiederum könnte einen grossen Einfluss auf die hohe Rate der frühzeitigen Verrentungen (IV und vorzeitige 100% Altersrente), respektive den vorzeitigen Verlust von Pflegefachkräften haben. Daher sollte überlegt werden, ob die Anpassung der Arbeitszeitmodelle, gekoppelt mit dem Angebot eines erweiterten individuellen BVG-Rentenplans, Fonds, Teilzeit-Frühpensionierung o.ä., mit Sicherung des Einkommens/Lebensstandards möglich ist. Ebenfalls zu überlegen ist, ob durch die Einführung von Benefits/Anreizen für einen Anstellungsvertrag >50%, mit dem Ziel der Sicherung des Einkommens/Lebensstandards im und nach dem Arbeitsprozess, die Pflegefachkräfte 50plus in einem Arbeitspensum >50% bis zum regulären Rentenalter im Arbeitsprozess gehalten werden können, was wiederum dem Pflegefachkräftemangel entgegenwirkt. In jedem Fall empfiehlt es sich, auf Retentionsmassnahmen zu fokussieren, welche den Erhalt der Mitarbeitenden 50plus mit ihrem grossen Erfahrungswissen bis zum regulären Rentenalter ermöglichen.
Der Beitrag gründet auf der Masterarbeit von Helena Schamberger Fischer im MAS FH in Personal- und Organisationsentwicklung am Institut für Leadership und HR an der Kalaidos Fachhochschule.
Quellen und weiterführende Informationen
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World Health Organisation, WHO. (2011). OECD Bericht über Gesundheitssysteme - Schweiz. Bewertung und Empfehlungen
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