Katja Girbig über den Sinn von Werten Katja Girbig über den Sinn von Werten
Katja Girbig über den Sinn von Werten (Bild: Kalaidos FH)

Erfolgreiches Sinn- und Wertemanagement war das Thema des Workhacks@Kalaidos vom 22. Mai 2019 im Impact Hub in Zürich. Wir haben mit Katja Girbig, Referentin der Veranstaltung und Dozentin an der Kalaidos Fachhochschule, über die Sinnhaftigkeit und Umsetzung gemeinsamer Werte in Organisationen und Teams gesprochen.

Frau Girbig, wann kommen Menschen mit ihren Werten in Berührung?

Ständig. Werte tönen im Arbeitsleben permanent durch. Menschen legen ihre Anker nicht an der Betriebspforte an oder ab. Besonders spürbar werden sie in ausgeprägt positiv oder negativ erlebten Situationen. So rückt beispielsweise bei einem eskalierenden Konflikt die Verletzung von Werten wie Respekt, Solidarität oder Ehrlichkeit schmerzlich ins Bewusstsein. Umgekehrt können in positiven Spitzenmomenten Werte wie Achtung und Wachstum spürbar werden.

Was genau sind Werte und warum machen Werte Sinn?

Werte sind gelebte Leitsterne. Auf ihnen bauen unsere Glaubenssätze auf. Sie deklinieren unsere Einstellung, Handeln und Kommunikation. Man könnte sie auch als psychologischen Fingerabdruck einer Person verstehen. Je besser wir unsere Werte kennen, desto selbstbewusster können wir handeln und sprechen.

Werte sind Sinnmöglichkeiten. Wer motivierte Mitarbeitende möchte, tut gut daran, eine Kultur aufzubauen, in der Menschen sie selbst sein können. Als Ausgangs- und Endpunkt der Organisationskultur dienen Werte sowohl der Orientierung bestehender, als auch der Anziehung von Mitarbeitenden. Die richtigen Personen sollen an Bord kommen und dem Unternehmen loyal verbunden bleiben. Googles Lebenselixier ist technische Innovation. Fachleute, die sich gern abseits ausgetrampelter Pfade bewegen, werden dies zu schätzen wissen. Eine veränderungsaphobe Person hätte in dieser Firma wahrscheinlich nicht so viel Spass.

Welche Werte sind in Unternehmen wichtig?

Es gibt einen enormen Strauss an Werten. Allein im deutschen Sprachraum sind es einige Hundert. Josef Wieland hat das Werteviereck mit den Kategorien Leistung, Kommunikation, Kooperation und Moral als praktische Strukturierungshilfe vorgeschlagen. Im Idealzustand sind die Wertekategorien im Unternehmensalltag ausbalanciert.

Praktisch sieht es häufig so aus, dass die Leistungswerte überproportional betont werden. Denken wir an Effizienz, Qualität und Expertise. Das sind Werte, über die gern und offen in Austausch gegangen wird und die in ihrer Realisierung auch gemessen werden. Werte der Kommunikations- und Kooperationskategorien sind heikler. Achtung, Fairness, Teamgeist werden oft nicht fokussiert oder sogar vernachlässigt. Und dann gibt es die Stiefkinder, die moralischen Werte. Denken wir an Integrität und Aufrichtigkeit, die im Tagesgeschäft tabuisiert werden. Umso eklatanter wird ihr Mangel in Krisensituationen.

Woran erkenne ich als Führungskraft, dass es an geteilten Werten fehlt?

In erster Linie sollte die Führungskraft für sich Klarheit schaffen. Fragen, die hier helfen können, sind erstens: „Kenne ich die Unternehmenswerte?“, zweitens: „Wie gross ist die Schnittfläche zwischen meinen und den organisatorischen Werten?“ „Wo gibt es Spannungsfelder, wo passt es?“ und drittens: „Reicht die Überlappung, um glaubwürdig zu führen?“ und falls nicht: „Wie kann ich das ändern?“

Der Mangel an geteilten Werten hat viele Gesichter. Ein Mitarbeiter, der sich etliche Fachbücher „ausleiht“ und nicht mehr zurückbringt, ist nur die Spitze des Eisberges. Interessant ist, warum seine Kollegen, die das bemerken, ihn nicht darauf hinweisen und auch seine Führungskraft die Augen verschliesst. Dies könnte ein Anlass sein, sich darüber Gedanken zu machen, welche Wertekultur abseits von Hochglanzbroschüren und wohlklingenden Statements tatsächlich gelebt wird. Gelingt dies in einem konstruktiven Dialog, kann das für alle sehr erhellend sein.

Oder nehmen wir ein Unternehmen, das sich Customer Obsession auf die Fahnen schreibt. Hier wäre ja die folgerichtige Annahme, dass alle diejenigen, die kontinuierlich für ein High Five und leuchtende Augen beim Kunden sorgen, auch Karriere machen. Wenn dann aber nur die Mitarbeitenden entwickelt werden, die die innerpolitische Klaviatur intelligenter bedienen, ist das ein klassisches Walk-Talk Gap. Das frustriert kurzfristig. Langfristig führt es zur Entfremdung. Menschen entfernen sich als erstes von sich selbst, dann vom Unternehmen.

Wie entwickeln und pflegen Unternehmen gemeinsame Werte?

Generische Werte sind der Tod. Deshalb ist bei der Entwicklung eines Wertesets, neben einer numerischen Beschränkung, vor allem auf das Herausschälen spezifischer Leitgrössen zu achten. Dieser Diskurs, einmal angestossen, wird als sehr fruchtbar, aber auch zeitintensiv erlebt. Die Resultate werden in den meisten Fällen Top-Down kommuniziert. Einige Unternehmen entwickeln ihre Kenngrössen auch umgekehrt oder parallelisieren den Prozess. Wichtig ist, dass die strategische und operative Ebene konsequent mit den Kernwerten verlinkt werden und, dass Messsysteme existieren. So kann der Wert „Offenheit“ im Unternehmen durch hierarchieübergreifendes Feedback gefördert werden. Führungskräfte, die ihre Meinung frei posten,  auch wenn sie unbequem ist  wären da schon ein guter Anfang.

Leider oder zum Glück gibt es kein allgemeingültiges Rezept für erfolgreiches Wertemanagement. Unternehmen, die schon lange existieren, stehen vor anderen Herausforderungen als neu Gegründete. Ein lokal agierendes Familienunternehmen hat eine andere Absprungbasis als ein global agierender Konzern. Studien haben gezeigt, dass das Wissen um die Bedeutsamkeit der Unternehmenskultur vorhanden ist. Allein bei der Umsetzung hapert es. Nur ein Bruchteil der Unternehmen macht wirklich ernst.

Woran könnte das liegen?

„Wir würden gern, wenn das operative Tagesgeschäft nicht drängen würde...“ ist so ein Klassiker. Ich vermute, hinter diesem Reflex steckt nicht selten die Befürchtung, die Büchse der Pandora zu öffnen, ein Ausdruck, den ein Klient tatsächlich verwendet hat (lacht). Führungskräfte wären plötzlich direkt mit Frustrationen, Verletzungen und Wünschen konfrontiert. Darauf fühlen sich die wenigsten vorbereitet. Auch widerspricht dies dem zu tiefst menschlichen Wunsch danach Kontrolle zu behalten.

Werte leben erfordert neben ehrlichem Interesse am Dialog, auch konsequentes Verhalten. Das könnte auch heissen, sich von einem unglaublich talentierten, smarten Mitarbeiter zu trennen, wenn ein Unternehmen auf Demut und Höflichkeit setzt, dieser aber eine Ego Show liefert. Dieses Verhalten findet Nachahmer. Die meisten Führungskräfte unterschätzen die Unterlassungskosten. 

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Quellen und weiterführende Informationen

Girbig, K. (2014). Wertemanagement. Wiesbaden: Springer Verlag.

Wieland, J., Leisinger, K. & Küng, H. (2010). Manifest Globales Wirtschaftsethos. München: dtv.

Autor/in
Irene-Willi

Irene Willi Kägi

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