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Sind wir die aufmerksamen Zeitgenossen, für die wir uns gerne halten? (Symbolbild)

Können wir gesunde Menschen ohne weiteres von kranken Menschen unterscheiden? Sind wir die aufmerksamen Zeitgenossen, für die wir uns gerne halten? Und wieso wirken attraktive Menschen vertrauenswürdiger auf uns? Diesen Fragen gehen wir im fünften und letzten Teil unserer Serie zu psychologischen Experimenten auf den Grund, indem wir Ihnen unsere drei Lieblingsexperimente zum Thema «Wahrnehmung» vorstellen.

Gesund an kranken Orten

David Rosenhan führte 1973 ein Experiment durch, welches die Zuverlässigkeit psychiatrischer Diagnosen testen sollte. Dafür stellte er eine Gruppe an Versuchspersonen zusammen, die Patienten spielen sollten. Diese Gruppe bestand aus acht Frauen und Männern unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Berufen. Rosenhan selbst nahm ebenfalls am Experiment teil. Die Versuchspersonen sollten sich bei psychiatrischen Kliniken in verschiedenen Bundesstaaten der USA mit der Nachricht melden, sie würden eine Stimme im Kopf hören, die Wörter wie «leer» oder «plopp» verwenden würde. Als Folge davon wurde bei den Versuchspersonen Schizophrenie diagnostiziert. Danach wurden sie in die psychiatrische Klinik eingewiesen und dort im Durchschnitt neunzehn Tage lang stationär behandelt. Während des Klinikaufenthalts verhielten sie sich wieder völlig normal und behaupteten, die Stimme in ihrem Kopf wäre wieder verschwunden. Allerdings dauerte es eine Weile, bis einige der Versuchspersonen wieder entlassen wurden. Vom Krankenhauspersonal wurde ihr normales Verhalten als pathologisch diagnostiziert und die Versuchspersonen bezeichneten ihre Zeit im Krankenhaus als depersonalisierend. Als die Studienresultate publiziert wurden, löste das eine heftige Debatte aus. Rosenhan behauptete daraufhin, weitere Versuchspersonen in eines der Krankenhäuser zu schicken. Von 193 Neuzugängen in der Klinik wurden 41 Personen verdächtigt, die psychischen Leiden nur vorzuspielen. 23 Personen wurden angeblich als Pseudopatienten erkannt – allerdings gab es in Tat und Wahrheit keinen einzigen. Das Experiment von Rosenhan sorgte für viel Gesprächsstoff und einige der psychiatrischen Kliniken beschlossen als Massnahme tatsächlich eine Verbesserung ihrer therapeutischen Angebote. Allerdings wird das Experiment auch immer wieder kritisiert und die Resultate angezweifelt. Recherchen der Journalistin und Autorin Susannah Cahalan zeigen, dass Rosenhan bei der Darstellung seiner Ergebnisse mächtig übertrieben haben soll. Darüber schrieb sie sogar ein Buch. «The Great Pretender: The Undercover Mission that Changed our Understanding of Madness» erschien 2019 im Grand Central Publ Verlag.

Unsichtbare Gorillas

Haben Sie schon einmal von «Veränderungsblindheit» gehört? Vielleicht nicht, aber Sie haben sie sehr wahrscheinlich schon einmal erlebt. Beispielsweise, wenn Sie Ihre Umgebung kurz aus Ihrem Blickfeld verschwinden lassen und dann wieder Ihre Aufmerksamkeit darauf richten. Wenn sich zwischenzeitlich etwas verändert, wird das oft nicht gleich wahrgenommen. Dazu gibt es ein amüsantes Lehrvideo der Stadt London zum Thema Verkehrssicherheit.

Eng verwandt dazu ist die «Unaufmerksamkeitsblindheit», die besagt, dass nur Objekte wahrgenommen werden, auf die die Aufmerksamkeit gerichtet werden. Andere Objekte im Blickfeld, die als irrelevant kategorisiert werden, gehen unter und werden vermeintlich nicht gesehen. Um den Effekt an Ihnen selbst auszuprobieren, schauen Sie sich am besten kurz dieses Video an, bevor Sie weiterlesen:

Die Tücken der Veränderungsblindheit konnten Simons & Chabris (1999) sehr eindrucksvoll in diesem Experiment zeigen. Sie stellten den Versuchspersonen die Aufgabe, einige Basketballspieler zu beobachten und dabei die Anzahl der Pässe derjenigen Spieler zu zählen, die ein weisses T-Shirt trugen. Danach wurden die Teilnehmenden gefragt, wie viele Pässe sie gezählt haben und ob ihnen sonst noch etwas Besonderes aufgefallen sei. Was die Versuchspersonen nicht sahen: Während des Spiels schlenderte gemütlich eine als Gorilla verkleidete Person durch die Menge. Was im Nachhinein als völlig logisch angesehen wird, ist in diesem Moment alles andere als klar ersichtlich. Die Veränderungsblindheit tritt vor allem dann auf, wenn unter Zeitdruck eine Aufgabe gelöst werden muss. Insbesondere in Situationen wie im Strassenverkehr, in der zu grosser Vorsicht geboten ist, ist es wichtig, sich dieses Phänomen vor Augen zu führen. Ein ähnliches Experiment dazu ist «The Door Study» von Simons & Levin (1998). Schauen Sie sich dazu das unten angefügte Video an – wären Sie darauf reingefallen?

Sind schöne Menschen einfach besser?

Haben Sie sich auch schon gefragt, wieso gewisse Menschen bevorzugt behandelt werden? Oder wieso wir attraktiven Menschen automatisch auch Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Intelligenz, Vertrauenswürdigkeit oder einen hohen sozialen Status zuschreiben? Dafür ist der Halo-Effekt verantwortlich. Eine einzelne Qualität einer Person erzeugt einen so starken Eindruck – positiv oder negativ – dass basierend darauf der Gesamteindruck unverhältnismässig beeinflusst wird. Die Macht der Vorurteile kommt schon ziemlich früh zum Zug, nämlich bereits im Kindesalter. Erforscht wurde dies von Rosenthal und Jacobson, welche die Resultate daraufhin als Pygmalion-Effekt bezeichneten. Dieser ist dem Halo-Effekt sehr ähnlich, wird allerdings bezeichnet als Tendenz, dass sich gewisse Erwartungshaltungen an andere Menschen dann tatsächlich auch auf ihr Verhalten und ihre Leistung auswirken kann. 1965 wurde an einer amerikanischen Grundschule dazu ein Experiment durchgeführt. Den Lehrpersonen wurde weisgemacht, dass das Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler getestet werden soll. Somit sollten die zwanzig Prozent der Kinder identifiziert werden, die kurz vor einem Entwicklungsschub stehen würden und bei denen im folgenden Jahr mit besonders hohen Leistungen zu rechnen sei. Was die Lehrpersonen aber nicht wussten: Diese zwanzig Prozent wurden zufällig per Los ausgesucht. Vor Beginn und nach dem Experiment wurde der IQ von allen Kindern gemessen. Dabei zeigte sich: Der IQ der Kinder, die zu den ausgelosten zwanzig Prozent gehörten, stieg deutlich höher an als der der anderen Kinder. Da ansonsten alle Bedingungen gleichgeblieben sind, gingen Rosenthal und Jacobson davon aus, dass das an der Erwartungshaltung der Lehrpersonen lag und die vermeintlichen Wunderkinder entsprechend mehr gefördert wurden. Der Pygmalion-Effekt wurde mehrfach repliziert, unter anderem 1974 durch Videoaufnahmen in Klassenzimmern (Chaikin et al.).

Schluss

Das war unsere Serie mit den spannendsten Experimenten in der Psychologie! Lesen Sie auch die vorherigen Teile unserer Reihe:

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Übrigens: Diese und noch viele weitere Experimente und psychologischen Fakten werden an der Kalaidos Fachhochschule in den Studiengängen der Angewandten Psychologie unterrichtet. Mehr Informationen zum nächsten Semesterstart finden Sie hier: Zum Studiengang Bachelor of Science FH in Angewandter Psychologie

Quellen und weiterführende Informationen: 

Chabris, C. & Simons, D. (2011). Der unsichtbare Gorilla: Wie unser Gehirn sich täuschen lässt. München: Piper Verlag GmbH

Chaikin, A. L., Sigler, E., & Derlega, V. J. (1974). Nonverbal mediators of teacher expectancy effects. Journal of Personality and Social Psychology, 30(1), 144–149.

Collin, C., Benson, N., Ginsburg, J., Grand, V., Lazyan, M. & Weeks, M. (2012). Das Psychologie-Buch. München: Dorling Kindersley GmbH.

Jarrett, C. (2016). Psychologie in dreissig Sekunden. Kerkdriel: Librero IBP.

Rosenthal, R. & Jacobson, L. (1968). Pygmalion in the Classroom: Teacher Expectation and Pupils' Intellectual Development. New York: Holt, Rinehart & Winston

Autor/in
Lea Schlenker

Lea Schlenker

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