Welche Rolle spielt der Inhalt, wenn wir etwas Neues lernen? Und sind unsere Erinnerungen immer hundertprozentig korrekt? Diesen und noch weiteren Fragen gehen wir im zweiten Teil unserer Serie zu psychologischen Experimenten auf den Grund, indem wir Ihnen unsere drei Lieblingsexperimente zum Thema «Gedächtnis» vorstellen.

Sinnlose Silben

Mittlerweile weiss die Forschung, dass Menschen nur eine bestimmte Anzahl an Informationen im Kurzzeitgedächtnis speichern können. Danach werden die Informationen entweder ins Langzeitgedächtnis verschoben – oder wir vergessen sie wieder. Eine der ersten gründlichen Forschungen zum Thema Gedächtnis wurde von Hermann Ebbinghaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts durchgeführt. Die Testperson war er selbst, und der Ablauf des Experiments war ziemlich unkompliziert. Er wollte an sich selbst die Erinnerungsleistung über eine gewisse Zeitspanne testen. Dafür dachte er sich eine Reihe an sinnlosen Silben aus: Wörter mit drei Buchstaben, die alle nach einem bestimmten Schema funktionierten. Der erste Buchstabe war ein Konsonant, der zweite ein Vokal und der dritte dann wieder ein Konsonant. Damit wollte er verhindern, dass ihm gewisse Wörter bereits vertrauter waren als andere und er sich diese dann besser merken konnte. Dann setzte er sich an den Tisch, sah sich jedes Wort gleich lange an – die Zeit hat er mit einem Metronom gemessen – und schrieb dann alle Wörter auf, an die er sich erinnern konnte. Das machte er unmittelbar nach der Lektüre, dann einen Tag später, dann wieder einen Tag später und das über dreissig Tage lang. Dabei zeigte sich, dass neu gelernte Informationen sehr schnell wieder vergessen werden, die Erinnerungsleistung dann nach ein paar Tagen aber nur noch unmerklich schwächer wird. Dieses Phänomen bezeichnete er als die Vergessenskurve. Eine wichtige Erkenntnis aus seinem Experiment: Je öfter etwas vor dem Vergessen wiederholt wird, desto weniger lang dauert es, um es dann erneut wieder zu lernen.

Die nicht vorhandenen Glassplitter

Wir vergessen aber nicht nur, sondern erinnern uns auch nicht immer ganz präzise an das Geschehene. Laut Forschenden verändern Informationen, die wir nach dem Ereignis erhalten, die Erinnerung. Zudem werden unsere Erinnerungen bei jeder Enkodierung neu konstruiert und dadurch modifiziert. Auch die US-amerikanische Psychologin Elizabeth Loftus hat sich in ihren Experimenten den falsch konstruierten Erinnerungen gewidmet. Dabei ging es insbesondere um die Rekonstruierung von Erinnerungen bei Augenzeugen. In einem Experiment wurde zwei Gruppen von Teilnehmenden einen Film vorgeführt, bei dem ein Verkehrsunfall gezeigt wurde. Hinterher wurden die Teilnehmenden gefragt, wie hoch sie die Geschwindigkeit der beiden Autos einschätzen, die verunfallten. Dabei unterschied sich zwischen den zwei Gruppen aber die Formulierung der Frage. Die Teilnehmenden wurden entweder gefragt, wie schnell die Autos fuhren, als sie aufeinander krachten oder wie schnell die Autos fuhren, als sie zusammenstiessen. Eine Woche nach dem Video wurden die Teilnehmenden dann gefragt, ob sie sich daran erinnern, Glassplitter in dem Video gesehen zu haben. Diejenigen, deren Frage die Formulierung aufeinander krachten beinhaltete, bejahten doppelt so häufig. Allerdings waren im Film tatsächlich gar keine Glassplitter zu sehen. Dieses Ergebnis wird auch als Fehlinformationseffekt bezeichnet. Das bedeutet, dass wir uns bei Informationen, die uns in die Irre führen können, teilweise auch falsch erinnern. Dabei geschieht dies ausserhalb unserer bewussten Wahrnehmung. Elizabeth Loftus hat bei einem TED-Talk aus dem Jahr 2013 die menschliche Erinnerung mit einem Wikipedia-Artikel verglichen. Diese sei nicht in Stein gemeisselt, sondern es sei möglich, laufend Dinge zu verändern – allerdings können das auch andere Menschen. In verschiedenen Experimenten wurde bereits nachgewiesen, dass durch die Beeinflussung und Fehlinformationen von Drittpersonen auch falsche Erinnerungen konstruiert werden können.

Die Rolle der Verarbeitungstiefe

Jede Person, die schon einmal in einer kurzen Zeitspanne für einen Test lernen oder schnell eine Präsentation auswendig lernen wollte, hat sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie in kurzer Zeit möglichst viele Informationen im Gehirn abgespeichert werden können. Was kurzfristige Lernerfolge betrifft, ist sich die Forschung aber einig: Wer über einen längeren Zeitraum verteilt lernt, erzielt bessere Gedächtniserfolge. Das wird auch als «Spacing-Effekt» bezeichnet. Mit welcher Methode neue Informationen am besten längerfristig im Gedächtnis gespeichert werden, damit haben sich ebenfalls Craik und Tulving 1975 auseinandergesetzt. In einem Experiment haben sie den Versuchsteilnehmenden Wörter gezeigt und ihnen hinterher eine Frage gestellt, die auf die verschiedenen Ebenen der Verarbeitung abzielte. Dabei sollten folgende Fragen entweder mit Ja oder mit Nein beantwortet werden:

  • Ist das Wort in Grossbuchstaben geschrieben? (Gezeigtes Wort: STUHL)
  • Reimt sich das Wort auf Zug? (Gezeigtes Wort: klug)
  • Würde das Wort in den folgenden Satz passen? Das Mädchen legte die --- auf den Tisch. (Gezeigtes Wort: Puppe)

Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmenden sich zu einem späteren Zeitpunkt am besten an die Antwort aus der dritten Frage erinnern konnten. Das liegt daran, dass diese Art Informationen zu verarbeiten auf semantischer Ebene funktioniert und somit auf einer tieferen Bedeutung der Wörter basiert. Je mehr Bedeutung die zu enkodierenden Begriffe für uns haben, desto besser unsere Behaltensleistung. Wenn wir neue Informationen lernen, zu denen wir keinerlei Bezug haben, merken wir uns diese oft nur mit Schwierigkeiten.

Schluss

In unserem nächsten Blogbeitrag zu den spannendsten Experimenten geht es ums Thema Denken und Sprache. Übrigens: Diese und noch viele weitere Experimente und psychologischen Fakten werden an der Kalaidos Fachhochschule in den Studiengängen der Angewandten Psychologie unterrichtet. Mehr Informationen zum nächsten Semesterstart finden Sie unter: https://www.kalaidos-fh.ch/de-CH/Studiengaenge/BSc-Bachelor-Angewandte-Psychologie

Quellen und weiterführende Informationen:

Ebbinghaus, H. (1885). Über das Gedächtnis – Untersuchungen zur experimentellen Psychologie. Leipzig: Verlag von Duncker & Humber. https://psychologie.lw.uni-leipzig.de/wundt/opera/ebbing/memory/GdaechtI.htm

Loftus, E. F & Ketcham, K. (1994). The Myth of Repressed Memory. New York City: St. Martin’s Press

Myers, D. G. & Wilson, J. (2014). Gedächtnis. In D. G. Myers (Hrsg.), Psychologie (S. 327–366.) Berlin: Springer.

Autor/in
Lea Schlenker

Lea Schlenker

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