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Im Minesota Starvation Experiment wurde untersuchte, welche Auswirkungen Mangelernährung und Hungern auf Körper und Psyche haben. (Symbolbild)

Was passiert mit unserer Psyche, wenn wir zu wenig essen? Können wir unseren Schlafrhythmus umstellen? Was für eine Rolle spielt physikalische Wärme, wenn es um zwischenmenschliche Kontakte geht? Diesen Fragen gehen wir im vierten Teil unserer Serie zu psychologischen Experimenten auf den Grund, indem wir Ihnen unsere drei Lieblingsexperimente zum Thema «Psyche und Körper» vorstellen.

Dem Hunger auf der Spur

Ein Experiment, dass es heute dank strenger ethischer und gesetzlicher Richtlinien bei psychologischen Untersuchungen wohl nicht mehr gäbe: das Minesota Starvation Experiment. Die Studie, die dann schlussendlich in einem fast 1'500 seitigen Dokument publiziert wurde, untersuchte, welche Auswirkungen Mangelernährung und Hungern hat. Der Ernährungswissenschaftler Ancel Keys wollte dem Mangel an wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema entgegenwirken. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste die medizinische Forschung nicht mit Gewissheit, wie dem Menschen nach einer Periode des Hungerns möglichst schnell wieder auf die Beine geholfen werden kann. Als Probanden suchte er sich junge gesunde Männer aus, die nicht am Krieg teilnahmen, weil sie aus persönlichen oder religiösen Gründen keinen Einsatz leisten wollten. Da sie sich trotzdem auf gesellschaftliche Art und Weise engagieren wollten, brachten sie eine hohe intrinsische Motivation mit sich mit und den Willen, das Experiment auf alle Fälle durchzuziehen. Das war auch dringend nötig, denn sie wurden vor immense Herausforderungen gestellt. Die tägliche Kalorienzufuhr wurde schrittweise auf 1500 kcal pro Tag reduziert. Danach folgte eine Wiederaufbauphase, bei der die Probanden nach und nach wieder mehr Essen zu sich nehmen durften. In der vierundzwanzigwöchigen Hungerphase verloren sie ein Viertel ihres eigentlichen Körpergewichtes. Physische Auswirkungen auf die Probanden waren dauerndes Frieren, Haarausfall und beschleunigte Alterung. Uns interessieren aber vor allem die psychologischen Auswirkungen. Viele der Männer zeigten Symptome einer Depression und interessierten sich nur noch für Dinge, die mit dem Essen zu tun hat. Sie vernachlässigten ihre sozialen Kontakte und ihre Körperhygiene und lasen am liebsten nur noch Kochrezepte. Auch sonst beschäftigten sie sich am liebsten mit der Nahrungsaufnahme: Sie verglichen Lebensmittelpreise in Zeitschriften, beobachteten andere Menschen beim Essen und kauften sich neue Kochutensilien. Drei der Versuchspersonen wurden nach dem Experiment Köche. Allerdings standen nicht alle das Experiment bis zum Schluss durch – einer der Versuchspersonen entfernte die Mine aus einem Bleistift und kaute das Holz. Die Wiederaufbauphase gestaltete sich ebenfalls als schwieriger, als zunächst angenommen. Viele der Probanden merkten, dass das Hungergefühl trotz immer grösser werdenden Essensrationen nicht einfach so verschwand. Das sorgte bei vielen für Frustration. Es dauerte eine Weile, bis sich die Probanden wieder an eine normale Nahrungszufuhr gewöhnt haben.

Die kalte Schulter

Haben Sie sich auch schon einmal überlegt, wie Sie einen möglichst guten Eindruck hinterlassen können? Oder wie Sie es schaffen können, dass Ihr Gegenüber Ihnen gegenüber wohlwollend eingestellt ist? Bringen Sie Kaffee mit! Und zwar nicht des Geruchs der frisch gerösteten Bohnen wegen, sondern wegen der Wärme. Lawrence E. Williams und John A. Bargh haben 2008 untersucht, wie das Erleben von physikalischer Wärme auch die zwischenmenschliche Wärme fördern kann. Dazu haben sie Versuchsteilnehmende zu einem Experiment eingeladen, bei dem es mutmasslich um Personenwahrnehmung und Verbraucherverhalten ging. Die Teilnehmenden wurden im Gebäude, wo das Experiment stattfand, in der Lobby abgeholt und fuhren mit der Person, die das Experiment durchführte, mit dem Aufzug in den oberen Stock. Diese Person hat entweder eine Tasse mit warmen Kaffee oder einen Eiskaffee in der Hand. Im Aufzug angekommen wird die Versuchsperson darum gebeten, das Getränk kurz zu halten, damit die Versuchsleitung sich einige Notizen auf ihrem Klemmbrett machen kann. Im oberen Stock angekommen, wird die Versuchsperson in einen Raum geführt. Dort erhalten sie eine Charakterbeschreibung einer fiktiven Person, worauf sie anschliessend insgesamt zehn Charakterzüge der Person bewerten sollen. Einige der Charakterzüge bezogen sich auf «warme» Eigenschaften, wie beispielsweise Fürsorglichkeit. Die Personen, die den warmen Kaffee hielten, bewerteten diese Eigenschaften höher auf der Skala als diejenigen, die den Eiskaffee hielten. Physikalische Wärme schein also nicht nur für den Körper wichtig, sondern auch für das Gemüt. Allerdings konnten die Ergebnisse des Experiments nicht repliziert werden.

28 Stunden wach

In der Forschung beschäftigen sich seit Jahrzehnten viele verschiedene Disziplinen mit dem Thema Schlaf. Nebst der Frage, wieso wir überhaupt schlafen, fragen sich Forschende auch, wieso wir in der Nacht schlafen und ob unser Schlafrhythmus biologisch bedingt ist, oder ob sich dieser gesellschaftlich adaptieren kann. Der US-amerikanische Schlafforscher Nathaniel Kleitman gilt als einer der Begründer der Schlafforschung. Er führte immer wieder Experimente zum Thema Schlaf und dessen Gewohnheiten durch. 1938 machte er sich mit seinem Mitarbeiter Bruce Richardson auf, um in einer Höhle in Kentucky den Schlafrhythmus zu studieren. Während 32 Tagen haben sie, abgeschirmt vom alltäglichen Leben, die Natur des Schlafes erforscht. Er wollte damit der Frage nachgehen, ob der Schlafrhythmus des Menschen biologisch oder gesellschaftlich bedingt ist. Wie sehr veränderbar ist die innere Uhr des Menschen? Das wollte Kleitman herausfinden und stellte seinen Alltag auf einen neuen Schlafrhythmus ein. Er wählte die Höhle als Standort für das Experiment, damit weder das Tageslicht, Lärm oder die Aussentemperatur als Störfaktor wirken konnte. Kleitman testete anhand der Körpertemperatur, ob sich die beiden an den neuen Rhythmus gewöhnt haben. Da während des Schlafes der Stoffwechsel herabgesetzt wird, sinkt diese normalerweise, und steigt während der Wachphase wieder an. Geplant waren Intervalle von jeweils neun Stunden Schlaf, zehn Stunden Arbeit und dann jeweils neun Stunden Zeit für Freizeitaktivitäten. Richardson konnte sich nach einer Woche an den veränderten Rhythmus gewöhnen, während Kleitmans Körper (der zwanzig Jahre älter war) sich nie daran gewöhnen konnte.

Schluss

In unserem nächsten und letzten Teil unserer Serie der spannendsten psychologischen Experimente geht es ums Thema «Wahrnehmung». Übrigens: Diese und noch viele weitere Experimente und psychologischen Fakten werden an der Kalaidos Fachhochschule in den Studiengängen der Angewandten Psychologie unterrichtet. Mehr Informationen zum nächsten Semesterstart finden Sie hier: Zum Studiengang Bachelor of Science FH in Angewandter Psychologie

Quellen und weiterführende Informationen:

Britt, M.A. (2017). Psychologische Experimente – 48 Theorien im Praxistest. Köln: Anaconda Verlag GmbH.

Kalm, L. M. & Semba, R. D. (2005). They starved so that others be better fed: Remembering Ancel Keys and the Minnesota Experiment. The Journal of Nutrition, 135(6), 1347 – 1352.

Kleitman, N. (1963). Sleep and wokefulness. The University of Chicago Press, 175 – 182.

Schneider, U.R. (2006). Das Buch der verrückten Experimente (5., neu bearbeitete Aufl.). München: Wilhelm Goldmann Verlag.

Williams, L. E. & Bargh, J. A. (2008). Experiencing physical warmth promotes interpersonal warmth. Science, 322(5901), 606 – 607.

Autor/in
Lea Schlenker

Lea Schlenker

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Bachelor of Science FH in Angewandter Psychologie

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