Corporate Purpose – Trend oder Game Changer? Vom Sinn oder Unsinn der Ausrichtung auf einen Unternehmenszweck
Annette Fink
Kennen Sie den "Purpose" Ihres Unternehmens? Falls nicht, sind Sie in bester Gesellschaft. 60 Prozent der Befragten der Kienbaum Purpose Studie (2020) ist der Purpose ihres Unternehmens unbekannt.
Der Begriff Corporate Purpose betont, dass es nicht nur eine ökonomische Wertschöpfung gibt, sondern auch eine ökologische und soziale Wertschöpfung. Der Unternehmenszweck soll somit auch einen Beitrag leisten zu gesellschaftlichen Herausforderungen. Wie Unternehmen mit Menschen und der Welt umgehen, taucht in der wirtschaftswissenschaftlichen Fachzusammenhängen in den letzten Jahren vermehrt auf und wird somit zur neuen Messgrösse oder sogar zum Trend.
Purpose über Shareholder Value
Ein Corporate Purpose zielt ab auf die Verantwortlichkeit beim unternehmerischen Handeln. Dabei geht es nicht primär darum, was ein Unternehmen macht, sondern um den Impact des Handelns. Wolfgang Jenewein (2020), Prof. für Unternehmensentwicklung an der HSG und Experte für Führung und Transformation, beschreibt den Purpose als "das Wozu hinter der Vision". Im Fokus sind somit auch ökologische, gesellschaftliche, soziale und ethische Aspekte. In aller Konsequenz heisst dies auch, auf Umsatz zu verzichten sowie Produkte oder Lieferketten so anzupassen, dass sie der Purpose-Ausrichtung eines Unternehmens entsprechen.
Return on Character nicht on Investment
Der Purpose gibt einem Unternehmen Persönlichkeit und Charakter. Für Arbeitnehmende heisst das, sich bewusst entscheiden zu müssen, wo sie ihre Arbeitskraft und Energie einsetzen. Nicht nur den jüngeren Generationen sind ethische, soziale, ökologische Grundhaltungen und ein sinnstiftendes Geschäftsmodell wichtiger als Gehalt und Status. Umsatz, Gewinn oder Wachstumsziele treten mehr in den Hintergrund. Damit hat die Sinnhaftigkeit des Tuns eines Unternehmens deutlichen Einfluss auf die Arbeitgeberattraktivität.
Auch Konsumenten oder KundInnen überlegen sich genau, welche Firmen sie unterstützen möchten und sind gegebenenfalls auch bereit, einen Aufpreis zu zahlen. Soziale Medien, spezifische Austauschportale oder Apps helfen den kritischen Konsumenten heute beim Kaufentscheid.
Konsequenzen für die Führung und das Management
Die Zeiten, in denen das Management sich nur Aktionären und Anteilseignerinnen verpflichtet fühlt und einzig Profitmaximierung im Blick hat, sind vorbei. Gewinne privatisieren und Schäden in die Gesellschaft abwälzen funktioniert nicht mehr. Frühere Unternehmensleitbilder waren oft egozentriert und selbstverliebt à la "weltweit führender Technologieanbieter mit High-End Produkten". Beim Purpose ändert sich dagegen der Fokus von innen nach aussen: "Was bewege ich im Aussen / im grossen Ganzen, welchen Impact hat mein Tun als Unternehmen?"
Da allgemein die Selbstorganisation in Unternehmen an Bedeutung gewinnt, ist eine Orientierung über Sinn und Zweck wichtig. So kann die gemeinsame Ausrichtung auf den übergeordneten Purpose statt (nur) auf die (finanziellen) abteilungsinternen Kennzahlen starre Silos innerhalb von Organisationen aufbrechen.
Mit dem Anspruch der Unternehmen an die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns rücken das Mind- oder vielleicht auch Soul-Set von Gestaltern in den Vordergrund, noch vor Qualifikationen und Skills. Für die Führung heisst das: Zeigen von Menschlichkeit, Authentizität und damit auch Verletzlichkeit. Denn das Umsetzen des Purpose braucht Integrität und Glaubwürdigkeit.
Fazit ist: Purpose ist Chefsache und muss entsprechend gelebt werden, sonst bleibt es ein Lippenbekenntnis. Wie wäre es also mit einem Chief Executive Purpose Officer (CEPO) in der Organisation?
Purpose Post-Corona
Ein Purpose kann Orientierung liefern in Zeiten der Disruption und Unsicherheit. Ein Purpose zeigt wie ein Kompass die Richtung an, auch wenn eine Durststecke herrscht. Ist der Purpose also die Antwort auf VUCA? Spätestens seit der Medienpräsenz von Greta Thunberg können wir nicht mehr die Augen verschliessen vor den Folgen der Ära der Maximalrenditen. Auch ein kritischeres Konsumverhalten und sich veränderndes Arbeitsverhalten sprechen für die wachsende Bedeutung eines Corporate Purpose.
Gerade in Krisenzeiten zeichnen sich nachhaltig orientierte und zukunftssichere Unternehmen durch Stabilität aus. Ein sinnstiftender Wesenskern und glaubwürdiges Engagement schaffen zusätzlich Vertrauen und Sicherheit. Insbesondere im Rahmen der weltweiten Covid-19-Pandemie hat sich verstärkt gezeigt, dass sich Menschen die Frage nach der Sinnhaftigkeit stellen und eine neue Form des Wirtschaftens notwendig ist.
Purpose for Profit?
Der "Global Leadership Forecast" von Ernst & Young (2018) offenbart, dass es für Unternehmungen durchaus finanziell lukrativ sein kann, den Purpose in den Fokus zu setzen: "Purposeful Organisations" liefern teilweise bis zu 42 Prozent bessere Ergebnisse als der Durchschnitt. Wichtig sind nachhaltige und zukunftsträchtige Strategien auch für Geschäftspartnerinnen und Investoren. Also ist Purpose doch nur ein Mittel zum Zweck?
Natürlich gibt es Purpose-Bluffer, die Purpose als eine Chance zur Differenzierung auf dem überschwemmten Markt sehen. Allerdings sollte ein Purpose nichts mit Werbung zu tun haben und dessen Verbreitung beispielsweise an Agenturen auslagert werden. Mitarbeitende, KundInnen, KonsumentInnen und PartnerInnen spüren schnell, ob ein Purpose in der Unternehmens-DNA verwebt ist oder eben nur als Marketing-Massnahme zum "Green-washing" dient. Eine kritische und informierte Öffentlichkeit deckt nicht authentische Purpose-Versprechen schnell auf. Inkohärentes Verhalten wird in der Regel schnell abgestraft oder sogar boykottiert.
Parallel dazu kommt die Kienbaum-Studie zur Erkenntnis: Die Einführung eines starken "Unternehmenspurpose" geht in der Regel mit einer erhöhten Mitarbeiterzufriedenheit einher. In einem Drittel der Purpose-orientierten Unternehmungen ist ein höheres Work Engagement festzustellen. Und: "Purposeful Organisations" weisen generell höhere Innovations- und Performancewerte auf.
Fazit
Unumstösslich ist, dass das wirtschaftliche Handeln heute um eine global-gesellschaftliche Perspektive erweitert wird. Wachstum um jeden Preis ist nicht mehr angezeigt. Die Verantwortung für unsere weltweite Lebensgrundlage hat im gesellschaftlichen Bewusstsein an Wichtigkeit gewonnen. Dabei kann Verantwortungsvolles Handeln für das Gemeinwohl zum Wettbewerbsfaktor werden.
Ein Corporate Purpose hat nachweislich Einfluss auf die Motivation und das Engagement von Mitarbeitenden sowie auf die Attraktivität des Unternehmens für KundInnen, KonsumentInnen und PartnerInnen. Studien zeigen, dass sich sinnhaftes Handeln auch ökonomisch auszeichnet. Profitstreben und Nachhaltigkeit lassen sich vereinbaren. Profit und Moral schliessen sich eben nicht aus, sondern gehören zusammen.
Vielleicht gehen wir ja bald dazu über, dass Unternehmen neben einer ökonomischen Bilanz auch eine soziale und ökologische ausweisen müssen. Und genau damit könnte der Purpose nicht nur zum flüchtigen Trend sondern zum nachhaltigen Game Changer werden.
Quellen und weiterführende Informationen
Brandeins. (2020). Ist Purpose sinnvoll? Da muss ein Chef auch mal Schläge aushalten.
DDI. (2018). Global Leadership Forecast.
Kienbaum (2020). Die Kienbaum Purpose Studie.
Kilian, K., Miklis, M. (2019). Die Evolution des Purpose: Die Entwicklung des (höheren) Unternehmenszwecks im Zeitverlauf. transfer Zeitschrift für Kommunikation und Markenmanagement, 65 (4), 58-65.
Bruce, A., Jeromin, C. (2020). Corporate Purpose – das Erfolgskonzept der Zukunft: Wie sich mit Haltung Gemeinwohl und Profitabilität verbinden lassen. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
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