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Face-to-Face oder Videointerview: Welcher Kandidat macht das Rennen? (Symbolbild)

Die Pandemie und das damit einhergehende Social Distancing haben viele Organisationen dazu veranlasst, auf web- und technologie-basierte Einstellungsverfahren auszuweichen. Doch obwohl Bewerberinnen und Bewerber mittlerweile mit Skype, Zoom und Co. vertraut sind, scheinen sie in Videointerviews schlechter abzuschneiden als in persönlichen Vorstellungsgesprächen. Eine neue Studie untersuchte mögliche Gründe dafür.

Unterschiedliche Formen von Bewerbungsgesprächen im Vergleich

Der technologische Fortschritt der letzten Jahre hat neue Möglichkeiten im Einstellungsverfahren eröffnet. Viele Unternehmen nutzten bereits vor der Pandemie technologisch mediierte Interviewformen, beispielsweise zur Vorauswahl von potentiellen Kandidatinnen und Kandidaten. Im Rahmen der Kontaktbeschränkung während Lockdowns musste in Rekrutierungsverfahren aber gänzlich von Face-to-Face auf Telefoninterviews oder Videointerviews umgestellt werden.

Inwiefern sind diese unterschiedlichen Formen von Bewerbungsgesprächen miteinander vergleichbar? Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2016 von Nikki Blacksmith und Kollegen hat bereits nahegelegt, dass Bewerberinnen und Bewerber technologie-mediierte Bewerbungsgespräche als negativer empfanden und darin schlechter abschnitten als Face-to-Face. In einer neuen Studie der Abteilung für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Ulm versuchten Forschende den Ursachen für die Unterschiede nun genauer auf den Grund zu gehen (Melchers, Petrig, Basch, & Sauer, 2021).

Aufbau der Studie

In der Studie wurden mit 88 Studienabgängern je ein simuliertes Bewerbungsgespräch durchgeführt. Die Fragen, die den Kandidatinnen und Kandidaten im Rahmen des jeweiligen Gesprächs gestellt wurden, waren identisch, einzig die Form unterschied sich über die Versuchsbedingungen: Das Bewerbungsgespräch fand entweder Face-to-Face, per Telefon oder via Videokonferenz statt. Um den physiologischen Stress der Bewerbenden zu erfassen, wurde währenddessen die Herzratenvariabilität gemessen. Zusätzlich füllten die Personen einen Fragebogen zu ihrem Angst- und Stress-Empfinden aus. Im Anschluss an das Gespräch wurde die Leistung der Bewerbenden anhand ihrer Antworten auf die Interviewfragen von zwei unabhängigen Ratern beurteilt. Die Bewerbenden gaben vor und nach dem Gespräch an, als wie fair sie die unterschiedlichen Interviewformen empfinden.

Was kam bei der Studie heraus?

Wie aus den Erkenntnissen von früheren Studien zu erwarten war, standen die Bewerbenden technologie-mediierten Interviews kritischer gegenüber als Face-to-Face. Nach dem Interview konnten jedoch keine Unterschiede nachgewiesen werden, das heisst die Bewerbenden empfanden alle drei Formen als gleich fair. Bezüglich Performance konnten die Forschenden ebenfalls die Ergebnisse von früheren Studien bestätigen: Die Kandidatinnen und Kandidaten schnitten in den technologie-mediierten Interviews schlechter ab als in der Face-to-Face Bedingung. Bei Bewerbungsgesprächen spielt die Wahl des Mediums also nach wie vor eine Rolle, obwohl Bewerbende heutzutage mit den Kommunikations-Technologien vertrauter scheinen. Des Weiteren wurde auch ein negativer Effekt von Angst und Stress auf die Performance gefunden: Bewerbende, die eine höhere subjektive Belastung angaben, wurden schlechter beurteilt. Allerdings wurde weder physischer noch subjektiver Stress von der Art der Technologie beeinflusst.

Was sind die Ursachen für die schlechtere Performance bei technologie-mediierten Interviews versus Face-to-Face? Die Autoren ziehen dazu unterschiedliche Kommunikationstheorien und evolutionspsychologische Ansätze heran: Gemäss Medienreichhaltigkeitstheorie reduziert Face-to-Face Kommunikation die Ambiguität der Nachricht und damit die Unsicherheit der Kommunikationspartner, da sie eine hohe Bandbreite an Informationen übermitteln kann (verbale, nonverbale und paraverbale Reize). Die Theorie der sozialen Präsenz geht von einem ähnlichen Ansatz aus: Kommunikationsmedien unterscheiden sich darin, wie gut soziale Hinweise wie beispielsweise Intimität und Wärme vermittelt werden. Hier wird ebenfalls angenommen, dass bei Face-to-Face Interaktion mehr nonverbale Reize wahrgenommen werden, was sich förderlich auf die Vertrauensbildung auswirken kann. Evolutionstheoretische Ansätze gehen davon aus, dass Face-to-Face Kommunikation das zugrundeliegende Bedürfnis des Menschen nach sozialer Zugehörigkeit befriedigt und wir uns daher im Laufe der Zeit gute Kompetenzen darin angeeignet haben. Technologie-mediierte Kommunikation hingegen ist in der Entstehungsgeschichte des Menschen sehr neu und scheint diesem Bedürfnis nicht gerecht zu werden.

In der Studie wurden die konkreten Variablen, welche die oben genannten Theorien beinhalten, allerdings nicht direkt einbezogen. Die Studie kann also nur einen beschränkten Einblick in die Gründe geben. Auch wurden keine Unterschiede zwischen Telefoninterviews und Videokonferenzen bezüglich Performance gefunden.

Tipps für Unternehmen und Bewerber/innen

Die Autoren der Studie empfehlen seitens Unternehmen, beim Auswahlprozess für alle Kandidatinnen und Kandidaten dasselbe Interview-Medium zu verwenden. Die Vorbehalte gegenüber technologie-mediierten Interviewformen sollten ernst genommen werden: Wenn Bewerbende Telefoninterviews und Videokonferenzen als unfair empfinden, könnte sich dies auf die Attraktivität des Arbeitgebers auswirken und dazu führen, dass die Einladung erst gar nicht angenommen wird. Für Bewerbende empfiehlt es sich, ein persönliches Face-to-Face Gespräch gegenüber einem Telefoninterview oder einer Videokonferenz zu präferieren, wenn sie die Möglichkeit zur Wahl erhalten, und damit ihre Chancen auf einen potentiell positiven Bescheid zu erhöhen.

Quellen:

Blacksmith, N., Willford, J. C., & Behrend, T. S. (2016). Technology in the employment interview: A meta-analysis and future research agenda. Personnel Assessment and Decisions, 2(1), 2.

Langer, M., König, C. J., & Krause, K. (2017). Examining digital interviews for personnel selection: Applicant reactions and interviewer ratings. International Journal of Selection and Assessment, 25(4), 371-382.

Melchers, K. G., Petrig, A., Basch, J. M., & Sauer, J. (2021). A comparison of conventional and technology-mediated selection interviews with regard to interviewees’ performance, perceptions, strain, and anxiety. Frontiers in Psychology, 11, 603632.

Autor/in
Mandana Bahrami

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