Hand haelt Gehirn Hand haelt Gehirn
Wenn Maschinen Gedanken lesen: Werden Gehirn und Computer immer mehr verschmelzen? (Symbolbild)

Die Wirtschaftspsychologie befasst sich mit der Frage, wie das menschliche Bewusstsein auf den Markt reagiert und wie dies wiederum die Märkte prägt. Moderne technologische Entwicklungen sind dabei ein wichtiger Forschungsgegenstand. Ein besonders bekanntes Beispiel ist die Künstliche Intelligenz (KI), allen voran das Sprachmodell «ChatGPT». Das Modell hat die Welt geradezu im Sturm erobert: Nach nur fünf Tagen wurde bereits die Marke von einer Million Nutzer:innen überschritten. Zum Vergleich: Bei Instagram dauerte dies 2,5 Monate, bei Spotify 5 Monate, bei Facebook 10 Monate und bei Netflix 3,5 Jahre. Eine weitere Technologie, die vermutlich ebenso prägend sein wird, finden wir im Bereich der «Brain-Computer-Interfaces». Sie erhebt den Anspruch, dass sie uns buchstäblich in den Kopf schaut und in Zukunft vielleicht sogar unsere Gedanken lesen kann.

Was es mit «Neuro-Tech» auf sich hat

Ich kann mich noch gut erinnern als ich an der Universität Fribourg in einem Forschungsteam an sogenannten Gehirn-Computer-Interfaces arbeitete. Dabei wurden Makaken (eine Affenspezies) Elektroden ins Gehirn – genauer gesagt in den motorischen Kortex – gepflanzt, um mit der Hilfe von KI das neuronale Signal des Gehens zu entschlüsseln. Danach wurde ihnen das Rückenmark so durchtrennt, dass sie einseitig an den Beinen gelähmt waren. Das Signal wurde vom Gehirn via WLAN an einen KI-gestützten Computer und von dort an weitere Elektroden unterhalb des durchtrennten Rückenmarks geschickt. Und siehe da: Die Affen konnten mit Hilfe der Technologie wieder laufen. Ziel des Experiments war eine medizinische Anwendung, wobei Menschen nach einem Unfall sich wieder bewegen können sollen. Man spricht hier allgemein von «Brain-Machine-Interfaces» oder von «Brain-Computer-Interactions».

In Bezug auf den Menschen haben sich Begriffe wie «Human-Computer-Interactions» (HCI) oder auch «Human-Machine-Interactions» (HMI) eingebürgert, wobei es generell um die Interaktion zwischen Mensch und Maschine geht. Und ob wir es wollen oder nicht – die direkte Interaktion des Gehirns mit der Technologie befindet sich in einem unaufhaltsamen Vormarsch und wird grösstenteils durch KI gesteuert.

«Neuro-Tech» ist die Computermaus der Zukunft

Es gibt viele Anwendungsmöglichkeiten von Brain-Computer-Interfaces. Die meisten Produkte sind eher invasiv (also man bohrt hierbei durch die Schädeldecke) und werden meist in der Medizin eingesetzt. Mittels EEG-Sensoren kann man aber auch von aussen via Kontakt zur Schädeldecke die Gehirnströme messen und so im Ansatz feststellen, was in unserem Denkorgan vor sich geht. Hier geht es also um nicht-invasive Methoden, welche immer mehr in den Blickpunkt von interessanten Start-ups geraten, um so neuste Formen von Konsumgütern herzustellen.

Ein Beispiel dafür ist «Neurable», ein Start-up mit einem gleichnamigen Produkt als Spin-Off der University of Michigan. Die Firma produziert Kopfhörer mit integrierten Sensoren zur Messung der elektrischen Strömung bei den Schläfen (dem sog. Temporallappen). Damit können Computer über blosse Gedanken gesteuert werden. Noch besser funktioniert dies bei «NextMind», einem weiteren Start-up aus Frankreich. Diese tüfteln an einem Gerät, welches man sich mit einer Art Stirnband an den Hinterkopf drückt (bei dem sog. Okzipitallappen). Dort liegt das visuelle Primärzentrum des Gehirns, weshalb man sich visuell auf eine gewisse Stelle konzentrieren muss, um den Computer zu steuern. Somit kann man durch blosse Konzentration auf einen Knopf diesen letztlich betätigen. Oder man steuert in einem Spiel eine Figur, indem man diese durch blosses Denken nach oben, unten, links oder rechts verschiebt. Die ersten Anwendungen entstehen hier in der Gaming-Welt, doch die Grenzen dieser Technologie liegen wohl buchstäblich unserer Phantasie zugrunde.

Realität versus Science Fiction

Die mit Abstand bekannteste Technologie im Bereich des Neuro-Techs nennt sich «Neuralink» und wurde von Elon Musk ins Leben gerufen. Damit möchten sie z.B. Querschnittsgelähmte zur Gedanken-gesteuerten Bewegung verhelfen. Neuralink ist relativ invasiv und ähnelt meinem oben genannten Affen-Experiment, weshalb sie wohl in erster Linie in der Medizin zum Einsatz kommt – oder würden Sie sich lediglich zum Gamen ein Loch in den Kopf bohren lassen? Nicht-invasive Tools wie Neurable und NextMind sind hingegen ziemlich vielversprechend für den Konsumgütermarkt.

Bis diese Entwicklungen zur vollen Marktreife gelangen, wird es wohl noch eine Weile dauern, doch international wird bereits viel Geld in diese Zukunft investiert. Von Seiten der Transhumanisten (welche an eine komplette Verschmelzung von Mensch und Maschine glauben) wird vermutet, dass solche Brain-Computer-Interfaces letztlich dazu führen, dass wir mit blossen Gedanken mit der KI kommunizieren können und diese wiederum Gedanken in unseren Kopf schreibt. Solche Szenarien sind wohl eher Science Fiction als Realität – dazu wissen wir viel zu wenig über unser Gehirn und gewisse Experten sind der Überzeugung, dass unser Bewusstsein für immer ein Mysterium bleiben wird, weshalb eine Maschine auch nicht einfach so darauf zugreifen könnte.

Solche neuen Technologien stellen uns aber auch immer vor ethische Dilemmata. Ein grosses Thema in diesem Bereich ist die Frage des Datenschutzes. Neuro-Tech-Firmen könnten unsere Gehirnströme aufzeichnen und unsere intimsten Daten möglicherweise sogar vermarkten. Dürfen unsere neurologischen Daten und Gedanken per Klick auf die AGBs einfach so kommerzialisiert werden? Wie steht es um die Unversehrtheit unserer Gedanken? Soll eine KI mithilfe unserer Gehirn-Daten trainiert werden, um sie zu verbessern? Und wäre dann etwas von unseren Wesenszügen in dieser KI drin? Funktioniert das und wollen wir das überhaupt?

Man kann also durchaus sagen, dass durch die Human-Machine-Interactions ganz neue Seiten der Philosophie in Bezug auf die «digitale Ethik» aufgeschlagen werden.

Quellen und weiterführende Informationen

Schauen Sie in diesem VIdeo, wie NextMind ausprobiert wird.

Ahram, T., & Taiar, R. (2022). Human Interaction & Emerging Technologies (IHIET 2022): Artificial Intelligence & Future Applications. AHFE International.

Lenca, M., Haselager, P., & Emanuel, E.J. (2018). Brain leaks and consumer neurotechnology. Nature Biotechnology volume 36, 805–810.

Rocha, A., Adeli, H., Dzemya, G., & Moreira, F. (2022). Information Systems and Technologies (WorldCIST, Vol. 1). Springer.

Roelfsema, P.R., Denys, D., & Klink, P.C. (2018). Mind Reading and Writing: The Future of Neurotechnology. Trends in Cognitive Sciences, 22(7), 598-610. https://doi.org/10.1016/j.tics.2018.04.001

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Autor/in
Yoshija Walter

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