Portrait und Zitat von Interviewpartnerin Bigna Tuetsch Portrait und Zitat von Interviewpartnerin Bigna Tuetsch
Bigna Tuetsch berichtet von ihrer Arbeit als Eignungsdiagnostikerin bei der Swiss. (Bild: Kalaidos FH)

Ob Bigna Tuetsch „Maverick“ und „Iceman“ eingestellt hätte, bezweifeln wir. Dass sich die beiden grenzenlos coolen, übermütigen Boys als Verkehrspiloten bei der Swiss beworben hätten, natürlich ebenfalls. Menschen, die Flugpassagiere sicher durch die Lüfte transportieren, müssen anders ticken, bestätigt Bigna Tuetsch. Die ebenso charmante wie zackige Baslerin trat nach ihrem Psychologiestudium mit Schwerpunkt Neuropsychologie ein Praktikum bei der Kantonspolizei Basel-Stadt an. Dort durfte sie beim Rekrutieren von Polizeiaspiranten mitwirken. Ihr Interesse an Fragen rund um die berufliche Eignungsdiagnostik ist seither ungebrochen. Nach einer Beratungstätigkeit im Bereich Assessment/Development Center stieg sie bei der Swiss ins Team „Flight Crew and Management Assessment“ ein. Seit fast zehn Jahren ist sie nun in der Auswahl von potenziellen Piloten und Pilotinnen tätig, und von Langeweile keine Spur. Bigna Tuetsch erzählt uns über die Herausforderungen des Pilotenberufs, die physischen und psychischen Belastungen, denen Piloten ausgesetzt sind, und darüber, wie man bestmöglich abzuklären versucht, welche Bewerber und Bewerberinnen diesen Belastungen standhalten.

Das mit den Bewerberinnen ist allerdings so eine Sache: Verkehrsflugzeuge der Swiss werden zu 95 Prozent von männlichen Piloten operiert. Aus diesem Grund – und um den Lesefluss des Interviews nicht zu verkomplizieren – schreiben wir im Folgenden von Piloten. Pilotinnen sind selbstverständlich immer mit gemeint.

Frau Tuetsch, der Pilotenberuf ist sehr technisch orientiert. Warum braucht es da Psychologen zur Eignungsabklärung und nicht eher Aviatiker und Ingenieure?

Piloten müssen in der Tat technikaffin sein. Technisches Interesse und Verständnis reichen aber längst nicht aus, um als Pilot zu bestehen. Ebenso wichtig sind Teamfähigkeit, Belastbarkeit, Verantwortungsbewusstsein sowie Führungs- und Durchsetzungsstärke – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Im Zwei-Mann-Cockpit, auf engstem Raum und bei ständig wechselnden Teams, ist kein Platz für Eigenbrötler und Chaoten. Piloten müssen in allen möglichen Konstellationen sofort funktionieren. Sie müssen sich durchsetzen, aber auch unterordnen können. Die Aufgabe der Psychologen ist es, möglichst gut abzuklären, welche Bewerber die notwendigen Persönlichkeitseigenschaften und Fähigkeiten für eine solche Art von Zusammenarbeit mitbringen.

Bei der Eignungsabklärung dreht sich aber nicht nur alles um das Verhalten im Team. Piloten sind einer Reihe hoher Belastungen ausgesetzt. Wie gut ein Bewerber diesen physischen und psychischen Herausforderungen standhalten kann, versuchen wir ebenfalls bestmöglich abzuklären. Dafür werden auch Aviatiker und erfahrene Piloten beigezogen, allerdings erst gegen Ende unseres mehrstufigen Auswahlverfahrens. Zusätzlich prüft der medizinische Dienst die allgemeine körperliche und mentale Verfassung der Bewerber.

Welches sind die grössten physischen und psychischen Belastungen, die Piloten aushalten müssen?

Die Arbeitstage von Piloten sind sehr intensiv und lang, die Erholungszeiten kurz. Ein Kurzstreckenpilot fliegt in der Regel vier sogenannte Legs am Tag, z.B. Zürich-Madrid-Zürich-Dresden-Zürich. Während der Flüge sind Daueraufmerksamkeit und Konzentration gefragt. Zu den reinen Flugzeiten kommen Briefings und Debriefings hinzu. Auch die Wetterlage, technische Angelegenheiten oder medizinische Vorfälle an Bord können die Belastbarkeit der Piloten zusätzlich auf die Probe stellen. Wer da mental unflexibel ist und Stress schlecht aushält, ist im Cockpit nicht am richtigen Ort. Bei Langstreckenpiloten ist die Zeitverschiebung ein zusätzlicher Belastungsfaktor. Nebst all diesen physischen und psychischen Belastungen fallen auch soziale Herausforderungen ins Gewicht: Unregelmässige Arbeitszeiten erschweren die Freizeitplanung. Weihnachten und Geburtstage verbringt man unter Umständen nicht mit Familie und Freunden. Piloten sind auf ein tolerantes Umfeld angewiesen und müssen bereit sein zu verzichten.

Wie läuft eine Eignungsabklärung für Piloten bei der Swiss ab?

Pro Jahr bewerben sich zwischen 800 und 1000 Kandidaten, 91 Prozent davon männlich. Bewerber, die alle formalen Bedingungen erfüllen, werden zur ersten Stufe des Auswahlverfahrens eingeladen: Psychometrische Leistungstests am Computer. Dabei werden u.a. räumliches Vorstellungsvermögen, logisch-abstraktes Denken und Konzentrationsvermögen getestet. Stufe zwei besteht aus einer Gruppenübung. Sie dient insbesondere zur Persönlichkeitsabklärung. Beim Lösen einer Aufgabe zu dritt oder viert werden verschiedene Kompetenzbereiche von uns Psychologen beobachtet und eingeschätzt. Weiter geht es mit einem Apparatetest. Die Bewerber absolvieren verschiedene Übungen an einem Gerät, die auf ihre Multitasking-, Koordinations- und Reaktionsfähigkeit schliessen lassen. Stufe vier spielt sich in einem Mini-Simulator ab. Hier geht es noch vertiefter um die Motorik, Auffassungs- und Umsetzungsgabe. Die Bewerber machen Flugübungen und führen Flugaufträge aus – welche selbstverständlich ohne Flugvorkenntnisse gelöst werden können. Die letzte Stufe des Auswahlverfahrens stellt das Interview dar. In einem persönlichen Gespräch richten wir unser Hauptaugenmerk auf die Motivation und einen authentischen Auftritt der potenziellen Piloten. Schätzen Sie den Pilotenberuf realistisch ein? Hier haben wir auch die Möglichkeit, auf Ungereimtheiten einzugehen, die bei der Gruppenübung womöglich aufgekommen sind.

Die Bewerber müssen jede Stufe bestehen, um die Pilotenausbildung beginnen zu können. Einmal pro Monat führen wir eine Auswahlsitzung durch, an der die Kandidatenergebnisse diskutiert und mögliche Ausbildungsrisiken und Lernfelder thematisiert werden.

Woran erkennen Sie, dass Sie durch dieses Auswahlverfahren die passenden Bewerber selektieren?

Die hohe Erfolgsquote unserer Trainees in der Flugschule ist ein Indikator dafür, dass es uns gut gelingt, geeignete von ungeeigneten Bewerbern zu unterscheiden. Von allen Bewerbern werden ca. 10 Prozent zur Ausbildung zugelassen. 95 Prozent schliessen erfolgreich ab.

Eine weitere wichtige Komponente in der Validierung unseres Auswahlverfahrens ist der regelmässige Austausch mit den Hauptinstruktoren der Flugschule. Ihr Feedback zu Stärken und Entwicklungsfeldern der Trainees fliesst in die kontinuierliche Qualitätssicherung der diagnostischen Verfahren ein.

Müssten nicht auch ausgebildete Piloten die psychometrischen und psychomotorischen Tests regelmässig wiederholen?

Auch ausgebildete Piloten werden immer wieder auf ihre fliegerische Tauglichkeit geprüft. Alle sechs Monate heisst es: Ab in den Flugsimulator. Dort werden dann alle erdenklichen Szenarien durchgespielt. In diesen Prozess ist unser Team aber nicht involviert.

Was gehört sonst noch in Ihr Tätigkeitsgebiet?

Das Testen der Bewerber und das Führen von Interviews machen einen Grossteil meiner Arbeit aus. Damit verbunden ist auch einige Schreibarbeit: Nach jeder Stufe des Auswahlverfahrens verfassen wir zu jedem Bewerber einen kurzen Zwischenbericht, respektive nach der letzten Stufe ein Schlussgutachten.

Nebst der Eignungsabklärung von Swiss Piloten führen wir Assessments für interne Mitarbeiter wie Instruktoren oder Fluglehrer durch. Zusätzlich schicken uns auch externe Aviatik-Unternehmen Bewerber oder Mitarbeiter für eine eignungsdiagnostische Abklärung.

Ein weiterer Aufgabenbereich stellt die Entwicklung und Überarbeitung der Assessmenttools dar.

Wie wird man Eignungsdiagnostikerin bei einer Fluggesellschaft?

Unser Team besteht aus drei Psychologinnen und drei Psychologen mit Hochschulabschuss in Psychologie. Mit einem psychologischen Ausbildungshintergrund und ersten praktischen Erfahrungen im eignungsdiagnostischen Bereich ist man gut gerüstet, um in die umfassende Eignungsabklärung für sicherheitssensible Berufe einzusteigen. Eignungsdiagnostik ist aber nicht nur in Hochrisiko-Umgebungen hilfreich. Betreibt man sie systematisch und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend, kann sie in jeder Organisation dazu beitragen, kostenintensive Fehlbesetzungen zu vermeiden.

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