Abschied von der Boss-Kultur Abschied von der Boss-Kultur
Abschied von der Boss-Kultur? (Symbolbild)

“We’re creating an organization where people are inspired, curious and unbosssed.” “Unbosssed?” Was heisst das und von wem stammt das Zitat? Als Kenner der Leadership-Literatur wissen Sie vielleicht: „Unboss“ ist der Buchtitel eines dänischen Bestsellers von Lars Kolind and Jacob Bøtter aus dem Jahre 2012. Darin beschreiben die Autoren eine kollaborative Management-Methode, welche hierarchische Organisationsstrukturen in Frage stellt. Was Sie vielleicht noch nicht wissen: Novartis hat sich das Credo seit kurzem auf ihre Fahne geschrieben. 

Als Vas Narasimhan 2017 als neuer CEO von Novartis die Nachfolge von Joseph Jimenez antrat, hatte er im Sinn, die Kultur des internationalen Pharmariesen drastisch zu verändern. Der Zufall wollte es, dass er auf das Buch „Unboss“ stiess. Nach der Lektüre war er überzeugt, dass es das richtige sei, eine Unternehmenskultur nach dem Unboss-Ansatz aufzubauen. Künftig sollte Sinnhaftigkeit vor den Profit gestellt werden. Das würde die Energien der Mitarbeitenden freisetzen und sie zu Höchstleistungen motivieren.

Die zehn Prinzipien der neuen Unboss-Kultur von Novartis

Bei der Einführung einer Hochleistungskultur schliesst sich Novartis an Vorbilder wie Google, Facebook und insbesondere Microsoft an. Narasimhan und sein Personalchef liessen sich vom Software-Giganten Konzepte und Prozesse erklären. Was Microsoft dank eines radikalen Kulturwandels geschafft hatte, sollte auch Novartis gelingen: nämlich den Geschäftserfolg wieder anzukurbeln. Dass gute Zahlen das Resultat einer guten Kultur sind und nicht umgekehrt, versteht sich gemäss Narasimhan von selbst. Den Plan für den Transformationsprozess bei Novartis entwarf er gemeinsam mit seinem Führungsteam in zwei Retraiten. Diskutiert wurde auch, unter welchem Namen die zehn Prinzipien des Transformationsprozesses zu stellen seien. Der Entscheid fiel auf den provokativen Ausdruck „Unboss“. Die Alternative „Empowerment“ wirkte zu glatt und austauschbar. Die zehn „Unboss-Prinzipien“ lauten:

  1. Fokussiert euch auf Purpose statt auf Profit.
  2. Löst die alte Hierarchie auf und ermutigt jeden zur Zusammenarbeit.
  3. Baut das Geschäft zu einem sozialen Netzwerk um.
  4. Werdet als Arbeitgeber so attraktiv, dass ihr die besten Leute anzieht.
  5. Tretet zur Seite und lasst die Mitarbeiter die Führung übernehmen.
  6. Macht die Kunden zu Partnern und Anwälten eurer Mission.
  7. Verzichtet auf rigide Bezahlstrukturen und Bonus-Systeme – und Mitarbeiter, denen so etwas wichtig ist.
  8. Involviert Personen ausserhalb der Firma, auch in Forschung und Entwicklung.
  9. Toleriert Fehler und redet offen darüber.
  10. Stärkt den Dialog innerhalb der Firma durch die Nutzung von Social Media.

 

Grundsätzlich verlangen die Prinzipien von der Novartis-Führungsmannschaft: Die heutigen Bosse sollen zu den neuen Unbossen von morgen transformieren. Früher wurden Führungskräfte dafür bezahlt und belohnt, ihren Mitarbeitenden zu sagen, was sie zu tun haben. Heutzutage kennen sie längst nicht mehr alle Antworten auf alle Fragen. Auch gibt es in einer lernenden Kultur nicht mehr die einzig richtige Art, etwas zu tun. Die Führungskraft wird in der stark auf Leistung und Resultate ausgerichteten Novartis zum „Servant Leader“, der sich in den Dienst seines selbstgesteuerten Teams stellt. Es gilt, sich von Hierarchien ebenso zu verabschieden wie von dem Lohn als vorrangigen Motivator.

 

Vas Narasimhan, CEO Novartis, über das Konzept der Unboss-Kultur (Video)

Purpose statt Profit, Selbststeuerung ohne Hierarchien – Kann das funktionieren?

Dass Sinnhaftigkeit (Purpose) zu Leistung motivieren kann, ist klar. Purpose im Fall von Novartis heisst, das Leben von Menschen zu verbessern und zu verlängern. Und nicht in erster Linie Medikamente zu verkaufen. Glauben alle Mitarbeitenden daran? Gewisse Zweifel sind nicht ganz unberechtigt. Wie erklären sich die zum Teil sehr hohen Medikamentenpreise? Geht es wirklich in erster Linie um den Purpose und nicht doch um den Gewinn? Glaubwürdig ist das erst, wenn die Unternehmensspitze Worte und Taten in Einklang bringt. Zudem braucht es Vorgesetzte, denen es gelingt, diese Leidenschaft für den Purpose bei der Mannschaft des multinationalen Riesendampfers zu wecken und zu kultivieren. Schwierig dürfte es für Führungskräfte werden, sich von Mitarbeitenden zu trennen, welche diesen Mindset nicht mit sich bringen.

Dürfen gut ausgebildete, hoch spezialisierte Mitarbeitende verschiedener Kulturen ihre Fähigkeiten und Talente einsetzen, sprich die Novartis-Segel in die Hand nehmen, stellen sich Zielorientierung und Eigeninitiative bei den Mitarbeitenden von selbst ein. Meint man. Doch ist es nicht allen Mitarbeitenden gegeben, sich selber zu organisieren, sich ständig mit dem Team abzustimmen und gemeinsame Entscheide zu treffen. Auch für solche Fälle sind Lösungen zu finden. Führungskräfte haben einen Spagat zu leisten: Sie müssen zum einen Teamwork fördern und die richtigen Personen miteinander vernetzen und zum anderen auf individuelle Motive und Arbeitspräferenzen eingehen können.

Die neue „Macht“ der Mitarbeitenden kann Führungskräfte durchaus verunsichern. Wie kommen Vorgesetzte mit der Rolle des "Dieners" klar, der lediglich alle Hindernisse aus dem Weg räumen darf und Rahmenbedingungen zu schaffen hat, in denen erfolgreiches Navigieren möglich ist? Getrauen sie sich wirklich, innovative Lösungsansätze zuzulassen, auch wenn dadurch Fehler entstehen können? Oder halten sie nicht viel lieber das Steuer selbst in der Hand?

Fazit

Dass Novartis einen guten Kurs eingeschlagen hat, zeigt sich darin, dass  300 Top-Führungskräfte und 19'000 Führungsverantwortliche sich einer Selbstbeurteilung unterzogen haben. Zu analysieren war, wo sie stehen, wo sie sich verbessern können und wie sie dem Unternehmen dienen können. Zudem wurden sie von den restlichen 85‘000 Mitarbeitenden bewertet und mussten ihnen gegenüber bezüglich der kritisierten Punkte Rede und Antwort stehen. Interne Social Media Tools machten die Prozesse transparent.

Kurzfristig durfte die Novartis schon erfolgreiche Zahlen schreiben. Ob die Unboss-Kultur dafür verantwortlich ist, wird sich zeigen, wenn der Geschäftserfolg langfristig anhält. Ob der Riesendampfer das Durchsetzungsvermögen und die Ausdauer dazu hat? Wir bleiben dran.

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Quellen und weiterführende Informationen

Bidwell. M. (2019). Transforming the Organization – Unbossing the Organisation featuring Vas Narasimhan. Outside Voices, 4.

Novartis-Website: Our Strategy

Schütz, D. (2019). Unboss your company. Bilanz, 6, 31-37.

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