Eine klare unternehmerische Haltung hilft dem/der Übernehmenden im Nachfolgeprozess Eine klare unternehmerische Haltung hilft dem/der Übernehmenden im Nachfolgeprozess
Eine klare unternehmerische Haltung hilft dem/der Übernehmenden im Nachfolgeprozess. (Symbolbild)

Im ersten Teil meines Blogbeitrages zu meiner Masterarbeit „Nachfolgeentwicklung im KMU-Nachfolgeprozess“ habe ich über die aus der Literatur und meiner empirischen Forschung gewonnenen Erkenntnisse geschrieben. Im zweiten Teil meines Blogbeitrages erläutere ich, wie der Beratungsansatz in beziehungsgeprägten Familien- und Mitarbeitenden-Nachfolgen zu gestalten ist, so dass Übernehmende ihre unternehmerische Identität entwickeln können. 

Durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, die Bereitschaft zur Unternehmensnachfolge steigern

Mit der Schärfung der eigenen Identität steigt die Bereitschaft, eine Unternehmensnachfolge anzutreten – soviel ist aus der Forschung bekannt. Dies ist besonders heute in der modernen Arbeitswelt wichtig, da sich qualifizierte Berufsleute auch ausserhalb der KMU-Nachfolge beruflich verwirklichen und mit anderen Lebensgestaltungsmodellen identifizieren können. Es muss nicht mehr um jeden Preis das Unternehmertum sein, um selbst gestalten und frei entscheiden zu können. Genau darum macht es Sinn, den individuellen Entwicklungsprozess als Teil der Nachfolge zu betrachten, damit nachhaltige und tragfähige Lösungen und damit das Fortbestehen des KMU-Betriebes möglich werden. Wie soll Beratung nun gestaltet sein, damit in einem Nachfolgeprozess potentielle Übernehmende ihre Identität schärfen können?

Identitätsentwicklung ist Teil des ganzen Unternehmerlebens

Die Auseinandersetzung mit den Fragen „Wer bin ich?“ oder „Wofür stehe ich?“ sind zentrale Themen im individuellen Entwicklungsprozess. Dieser Prozess ist idealerweise Bestandteil des ganzen Unternehmerlebens, wie die befragten Nachfolgeexperten sich einig sind.

Der individuelle Entwicklungsprozess als Teil des Nachfolgeprozesses

Der individuelle Entwicklungsprozess als Teil des Nachfolgeprozesses, eigene Darstellung entnommen aus Frei E., Masterarbeit Nachfolgeentwicklung, 2018, S. 83 (Abbildung 1)

Ein Experte differenziert den Entwicklungsprozess der Übernehmenden. Für ihn steht die erste Reifungsphase, um sich mit der eigenen inneren Bereitschaft auseinanderzusetzen, im Fokus der Entwicklung. Die weiteren Phasen beschreibt er als Weiterentwicklung. Alle befragten Nachfolgeexperten sind sich einig, dass die erste Reifungsphase von Übernehmenden so früh wie möglich beginnt – idealerweise beim ersten Gedanken an eine mögliche Nachfolge (Abbildung 1).

Durch bewusste Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Betrieb, eine klare unternehmerische Haltung entwickeln

Im Kern der Reifungsphase steht die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten, Antreibern der Motivation und Kommunikation mit dem Übergebenden (Abbildung 1). Hinzu kommt die bewusste Auseinandersetzung mit dem zu übernehmenden Betrieb in Bezug auf Unternehmenswerte und Traditionen. Daraus wachsen zwei Ergebnisse: die Lebens- und die Nachfolgevision. Diese wiederum ermöglichen dem Übernehmenden die individuelle Analyse, ob und wie die Lebensfelder „Mensch“ und „Unternehmen“ vereinbar sind. Insbesondere bei Familiennachfolgen ist auch die Rollenerweiterung von Eltern zu Übergebenden bzw. Kind zu Übernehmendem zu betrachten. Aus dieser bewussten Auseinandersetzung entwickelt der Übernehmende eine klare Haltung gegenüber den Themen, welche für ihn im Nachfolgeprozess auf menschlicher, struktureller und operativer Ebene mit dem Übergebenden zentral sind.

Diese individuelle Auseinandersetzung unterstützt Übernehmende dabei, in sachlich-technischen Fragen des Nachfolgeprozesses (z.B. Finanzen, Treuhand), ihre Haltung und Bedürfnisse klar und wirkungsvoll im Gespräch mit Fachexperten und dem Übergebenden einzubringen.

Emotionen gehören dazu und sie brauchen Raum

Nachfolgen sind auch Umbruchphasen. Altes wird verlassen, Neues kommt dazu. Das führt insbesondere bei Mitarbeiter- und Familiennachfolgen nicht selten zu zwischenmenschlichen Spannungen. Zwischen Reifungs- und Übergabephase können diese Spannungen plötzlich auftreten. Die Ergebnisse der Masterarbeit zeigen, dass Übernehmende im Nachfolgeprozess insbesondere bei der eigenen Rollenfindung als Unternehmer gefordert sind und hier Konfliktpotential durch andere Sichtweisen des Übergebenden, der Familie und/oder der Mitarbeitenden besteht (Abbildung 2).

Rollenfindung von Übernehmenden im Nachfolgeprozess

Rollenfindung der Übernehmenden, eigene Darstellung entnommen aus Frei E., Masterarbeit Nachfolgeentwicklung, 2018, S. 91 (Abbildung 2)

Es geht bei Übernehmenden darum, ihre Haltung zu vertreten, sich von Altem abzugrenzen und gleichzeitig auch um Wertschätzung dessen (Abbildung 2). Hinzu kommt, so beobachten die Nachfolgeexperten in der Praxis, dass Übernehmende in der neuen Rolle „Gas geben“ und im Tempo des Tatendrangs die Achtsamkeit gegenüber Dritten verlieren können.

Genau darum, so zeigt das Ergebnis der Masterarbeit, ist es wichtig, dass Übergebende sich regelmässig Zeit für die Reflexion ihrer eigenen Rolle und den Umgang mit Emotionen nehmen. Die befragten Nachfolgeexperten empfehlen Übernehmenden hierzu, ab und zu den „Fuss vom Gas“ zu nehmen. Entweder in Form von Einzelcoachings oder über Erfahrungsaustausch bzw. begleiteten Workshops mit anderen Übernehmenden.

Die systemische Beratung lässt die Entscheidungskompetenz stets beim Übernehmenden

Der Ansatz der systemischen Beratung ist ideal für den individuellen Entwicklungsprozess der Übernehmenden, insbesondere in der Reifungsphase – da sind sich die befragten Nachfolgeexperten einig. Denn in dieser Beratungsform bleibt die Expertise und Entscheidungskompetenz stets beim Übernehmenden. Die beratende Person fördert die Reflexionsfähigkeit der Übernehmenden, indem sie diese zur Einnahme einer Aussensicht hinführen. Ziel davon ist es immer, dass Übernehmende aus der Aussensicht selber neue Handlungsstrategien für die Lösung ihrer Fragestellungen entwickeln können. Damit das gelingt, leitet die beratende Person über gezielte systemische Interventionen zum Nachdenken an. Methoden dieser Interventionen sind zum Beispiel zirkuläre Fragen, paradoxe Interventionen oder Symptomverschiebungen. Sie ermöglichen es, Widersprüche aufzugreifen und wieder in Balance zu bringen und ohne das Erzeugen von Widerstand ins bewusste Nachdenken zu kommen. So kann eine neutrale Auseinandersetzung mit Emotionen, Konflikten, eigenen Antreibern und Werten stattfinden und eine klare Haltung als Unternehmer/in und damit unternehmerische Identität bewusst reifen.

Voraussetzung für den Erfolg systemischer Beratung ist die Bereitschaft der Übernehmenden, sich selbst zu reflektieren und ihre individuellen Herausforderungen zu benennen. Ebenso braucht es ausgewiesene systemische Beratungskompetenz seitens der beratenden Person. Dazu gehört ein ganzheitliches Verständnis für die Systeme "Mensch" und "Organisation". Das ist im Nachfolgekontext besonders wichtig. So müssen Beratende in der Lage sein, die sich im Nachfolgekontext stark beeinflussenden Aspekte sowohl der Persönlichkeitsentwicklung (Mensch) als auch der Organisationsberatung (Organisation) in die Begleitung mit einzubeziehen. Um die Synchronisation des individuellen Entwicklungsprozesses mit dem sachlich-technischen Nachfolgeprozess sicherzustellen, muss die beratende Person zudem über grundlegende finanzrechtliche Kenntnisse verfügen – so dass situativ die am Nachfolgeprozess beteiligten Fachexperten (z.B. Treuhand, Bank) mit einbezogen werden können.

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Quellen und weiterführende Informationen

Bassewitz, U. von. (2017). Erfolgreiche Unternehmensnachfolge. Den Übergang persönlich und unternehmerisch meistern. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Frei, E. (2018). Nachfolgeentwicklung im KMU-Nachfolgeprozess. Kalaidos Fachhochschule Schweiz.

Glasl, F., Kalcher, T. & Piber, H. (2014). Professionelle Prozessberatung. Das Trigon-Modell der sieben OE-Basisprozesse (3., überarbeitete und ergänzte Auflage). Bern: Haupt Verlage.

Halter, F. & Schroeder, R. (2017). Das St.Galler Nachfolge-Modell. Ein Rahmenkonzept zum Planen, Gestalten und Umsetzen einer ganzheitlichen Unternehmensnachfolge (4. Aufl.). Bern: Haupt Verlage.

Kalcher, T. (TRIGON Entwicklungsberatung, Hrsg.). (o. J.). Ganzheitliches Systemkonzept einer Organisation - eine Einführung in die 7 Wesenselemente.

Lang-Von Wins, T. (2004). Der Unternehmer. Arbeits- und organisationspsychologische Grundlagen. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.

LeMar, B. (2001). Generations- und Führungswechsel im Familienunternehmen. Mit Gefühl und Kalkül den Wandel gestalten. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.

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