Wie soll der Nachfolgeprozess gestaltet werden? Wie soll der Nachfolgeprozess gestaltet werden?
Wie soll der Nachfolgeprozess gestaltet werden? (Symbolbild)

Mindestens 70'000 KMU stehen in der Schweiz bis 2021 vor einem Generationenwechsel (Bisnode, 2017). Das Gelingen dieser Nachfolgen ist strategisch höchst relevant für die Schweizer Volkswirtschaft, denn KMU stellen 400'000 Arbeitsplätze sicher. Das entspricht 10 Prozent der Schweizer Beschäftigten. Dass diese Nachfolgen jedoch bei weitem nicht gesichert sind, zeigt die rückläufige Anzahl potentieller Übernehmender im Vergleich zu Übergebenden. Dies liegt zu einem grossen Teil in der demografischen Entwicklung. Übernehmende sind nicht immer bereit, KMU-Betriebe, ja Lebenswerke von Übergebenden, weiterzuführen. Die heutige Arbeitswelt lässt potentiellen Übernehmenden multiple Optionen offen, ihre berufliche Identität zu entwickeln. Es muss keine Nachfolge sein, um Karriere machen zu können. Das macht es für KMU-Nachfolgen schwieriger, Übernehmende zu gewinnen.

Vor diesem Hintergrund beleuchtete Eliane Frei in ihrer Masterarbeit im Studiengang MAS FH in Personal- und Organisationsentwicklung, wie Beratung im Nachfolgeprozess zu gestalten ist, damit Übernehmende ihre unternehmerische Identität und damit ihre KMU-Karriere nachhaltig entwickeln können. 

Aus der Forschung ist bekannt, dass die Bereitschaft bei potentiellen Übernehmenden zur KMU-Nachfolge ansteigt, wenn sie ihre eigene Identität geschärft haben. Wenn sie bewusst wissen, wer sie sind, worin ihre berufliche Leidenschaft besteht und wie sie das nachhaltig mit der Übernahme eines KMU-Betriebes verknüpfen können. Darum setzte ich mich in meiner Masterarbeit mit der Frage auseinander, wie Beratung im Nachfolgeprozess aussehen soll, damit KMU-Übernehmende ihre eigene unternehmerische Identität entwickeln können.

In diesem ersten Teil meines Blogbeitrages erläutere ich die aus der Literatur und meiner empirischen Forschung gewonnen Erkenntnisse. In einem zweiten Teil wird der für einen Nachfolgeprozess empfohlene Beratungsansatz vertieft.

Nachfolgeform: Wo emotionale Bindungen vorhanden sind, ist das Risiko des Scheiterns höher

Im Fokus meiner Arbeit standen Familien- und Mitarbeitenden-Nachfolgen, in denen die Beteiligten ein gemeinsames Ziel verfolgen: die Übergabe und Weiterführung des Betriebes. Denn hier kommen der emotionalen Bindungen zwischen Eltern und Kind oder Mitarbeitenden und Vorgesetzten sowie der damit verbundenen Auseinandersetzung mit den bisherigen und künftigen Rollen eine hohe Bedeutung zu. Bei familieninternen Nachfolgen stellt sich die Frage, wie Übernehmende neben den familiären Beziehungen auch die unternehmerische Beziehung zu Übergebenden gestalten können. Gelingt es den Beteiligten nicht, sich mit Veränderungen und Erweiterungen der Rollen, unterschiedlichen Bedürfnisse und damit verbundenen Konflikten auseinanderzusetzen, steigt das Risiko des Scheiterns in der inhaltlich-technischen Regelung der Nachfolge.

Ganzheitliches Nachfolgemodell

Als Grundlage für meine Masterarbeit diente mir das St. Galler Nachfolge-Modell. Hier bearbeitete ich die leitende Fragestellung aus der Perspektive von systemischen Organisationsberatenden, die eine ganzheitliche Sichtweise auf Übernehmende und Betrieb einnehmen. Das St. Galler Nachfolge-Modell ist ein Konzept für die Planung und Gestaltung einer ganzheitlichen Unternehmensnachfolge. Ganzheitlich, weil es den sachlich-technischen Nachfolgeprozess beleuchtet sowie gleichzeitig auch die individuellen Perspektiven, Entwicklungen und Emotionen von Übergebenden und Übernehmenden einwebt. Zudem geht das St. Galler Nachfolge-Modell auch auf die individuellen Prozesse ein, in welchen Übergebende und Übernehmende selbst stecken: Übergebende sind am Ende ihres Unternehmerlebens. Für sie geht es darum, „ihr Lebenswerk loszulassen“. Übernehmende stehen im Gegensatz dazu am Beginn ihres Unternehmerlebens. Sie wollen „Gas geben“ und „etwas erreichen“. Hier richtet sich der Fokus auf den individuellen Entwicklungsprozess der Übernehmenden.

Themenrad des St. Galler Nachfolge-Modells

Das Themenrad des St. Galler Nachfolge-Modells, Darstellung entnommen aus Halter & Schroeder, 2017, S. 82 (Abbildung)

Das St. Galler Nachfolge-Modell setzt voraus, dass eine gute und individuelle Klärung dessen passiert, wo die Beteiligten im Prozess stehen. Als Erstes wird im äussersten Kreis des Themenrads (Abbildung) die normative, strategische und operative Ebene bearbeitet: Hier geht es darum, sowohl kurzfristige operative Managementaufgaben im Nachfolgeprozess zu klären als auch die mittel- bis langfristige Ausrichtung des Betriebes festzulegen und nicht zuletzt, Werte und Haltungen zu schärfen.

In einem zweiten Schritt richten Übergebende und Übernehmende den Fokus auf die fünf Themenfelder der Unternehmensnachfolge. Das Themenfeld „Stabilität und Fitness des Unternehmens“ beschäftigen Übernehmende prioritär, da sie die Zukunftsfähigkeit des Betriebes sicherstellen wollen (Halter & Schroeder, 2017, S. 83). Im Themenfeld „Selbstverständnis Familienunternehmen“ werden die aktuellen Charakteristika des Betriebes herausgeschält und daraus ein umsetzbares Zielbild entwickelt. Damit eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld erfolgen kann, müssen KMU-Übernehmende vorab klassische Fragen einer beruflichen Standortbestimmung wie beispielsweise „Wer bin ich?“ oder „Was will ich?“ für sich selbst beantwortet haben. Die Themenfelder „Vorsorge und Sicherheit“, „Transaktionskosten“, alles technisch-inhaltliche Aspekte, habe ich in meiner Masterarbeit nicht weiter beleuchtet.

Synchronisation des Nachfolgeprozesses und individuellen Entwicklungsprozesses von Übernehmenden erhöhen die Identifikation

Wie die Ergebnisse meiner empirischen Forschungsarbeit zeigen und die Literatur bestätigt, verlaufen Nachfolge und der individuelle Entwicklungsprozess von Übernehmenden asynchron. Doch die beiden bedingen sich, können im Thema Nachfolge nicht isoliert betrachtet werden. Soll es zu einer nachhaltigen Lösung bei Familien- und Mitarbeitenden-Nachfolge kommen, ist eine Synchronisation der beiden erforderlich. Konkret bedeutet das, dass Übernehmende Zeit brauchen. Zeit, um ihren Standort zu bestimmen, sich mit dem Gedanken der Nachfolge zu identifizieren. Damit Identifikation möglich ist, braucht es die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten, Normen und Ressourcen. Daraus wächst die eigene Vision für den Betrieb und ihr Lebensmodell. Denn dies ist Fundament und Leitstern für finanzielle, rechtliche und strukturelle Entscheide in der Nachfolgeregelung. Wenn man eine klare Vision für das eigene Unternehmen und Leben hat, kann man finanzielle, rechtliche und strukturelle Entscheid bewusster fällen und auf das eigene Unternehmerleben abstimmen.

Der individuelle Entwicklungsprozess gehört zum Unternehmerleben

In der Literatur wird der individuelle Entwicklungsprozess von Übernehmenden als vorbereitender Prozess auf die Nachfolge dargestellt. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit präzisieren hier: Der individuelle Entwicklungsprozess ist Teil des ganzen Unternehmerlebens. Warum? Weil Übernehmende zu Unternehmern und irgendwann zu Übergebenden werden. In jeder Phase des Unternehmerlebens sind sie beeinflussenden Faktoren wie Stakeholdern und der Umwelt ausgesetzt. Auch diese Faktoren entwickeln sich und es bedarf einer fortlaufenden Reflexion der eigenen Werte, unterschiedlichen Rollen und die bewusste Auseinandersetzung mit Konflikten sowie Abgrenzung der eigenen Person. Dies fördert und bestärkt in allen Phasen des Unternehmerlebens nicht nur die Identifikation mit der eigenen Rolle und dem eigenen Unternehmen, sondern führt auch zu einer klaren Haltung und Verhalten gegenüber Stakeholdern.

Welches Format sich für die Beratung von Übernehmenden im Rahmen der Nachfolge empfiehlt, ist Thema des zweiten Teils meines Blogbeitrages.

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Quellen und weiterführende Informationen

Bisnode D&B Schweiz AG. (2017, 30. März). Nachfolge-Studie KMU Schweiz 2017. Unternehmungen mit einer potentiell offenen Nachfolgeregelung. Urdorf: Bisnode D&B Schweiz AG.

Halter, F. & Schroeder, R. (2017). Das St. Galler Nachfolge-Modell. Ein Rahmenkonzept zum Planen, Gestalten und Umsetzen einer ganzheitlichen Unternehmensnachfolge (4. Aufl.). Bern: Haupt Verlag.

Frei, E. (2018). Nachfolgeentwicklung im KMU-Nachfolgeprozess. Kalaidos Fachhochschule Schweiz.

Lang-Von Wins, T. (2004). Der Unternehmer. Arbeits- und organisationspsychologische Grundlagen. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.

Stavrou, E. T. & Swiercz, P. M. (1998). Securing the future of the family enterprise: A model of offspring intentions to join the business. Entrepreneurship: Theory and Practice. SAGE journals

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