Nicole Burth, CEO der Adecco Gruppe Schweiz
Irene Willi Kägi
Nicht nur Jobs sondern ganze Berufe sind durch die rasant voranschreitende Digitalisierung gefährdet. Immer mehr Personen gehen in Rente, als junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten. Das Resultat ist ein grosser Fachkräftemangel. Nicole Burth, CEO der Adecco Gruppe Schweiz, hat am Herbstgespräch vom 22. November 2018 an der Kalaidos Fachhochschule Rede und Antwort gestanden: Welche Herausforderungen haben Organisationen und Arbeitnehmende zu bewältigen? Wo sind die Chancen und die Stolpersteine? Welche Massnahmen bieten sich an, um der Talentknappheit zu begegnen?
Wie Burth berichtet, sei der Mangel an Fachkräften gesamtschweizerisch und über alle Berufsgruppen hinweg in diesem Jahr gestiegen. Dies zeigt der Fachkräftemangel Index Schweiz 2018 des Personaldienstleister Adecco Gruppe Schweiz, der zusammen mit dem Stellenmarktmonitor der Universität Zürich im November 2018 die neuesten Zahlen veröffentlicht hat. Verglichen wurden die ausgeschriebenen Stellen mit den registrierten Arbeitslosen. Den grössten Mangel verzeichnen demnach Berufe im Ingenieur- und im Treuhandwesen, gefolgt von Technikern, Berufen der Informatik, Humanmedizin und Pharmazie.
Dass der Fachkräftemangel nicht der Ausnahmefall ist, sondern zum Normallfall wird, bestätigen diverse Studien. So soll der Schweizer Wirtschaft in den nächsten 10 Jahren circa eine halbe Million Arbeitskräfte fehlen (Boston Consulting – The Global Workforce Crisis, 2014). Verschärft wird die Situation auf dem Schweizer Arbeitsmarkt durch die zwei Megatrends Digitalisierung und demographische Alterung.
„Kurzfristig kann die Digitalisierung zu einer höheren Arbeitslosigkeit, langfristig zu einer höheren Produktivität führen.“
Die schlechte Nachricht ist gemäss Burth, dass der Megatrend Digitalisierung zu einer höheren Arbeitslosigkeit führen könne. Dazu zitiert sie eine Studie (Berger, Frey and Osborne 2015), wonach einer von zwei Jobs durch die Digitalisierung gefährdet sei. Nun zur guten Nachricht: Neue Berufe und Jobs – so Burth – würden entstehen und neue Jobs alte ersetzen. Laut einer Studie von McKinsey soll zwar ein Viertel aller Arbeiten in der Schweiz bis 2030 zwar automatisiert, doch ungefähr die gleiche Anzahl neuer Arbeiten geschaffen werden – insbesondere in den Bereichen IT, Robotik und Software. Die Digitalisierung, Automation und Künstliche Intelligenz können zudem die Schweizer Produktivität anregen. Hier ist jährlich von einem Prozent Produktivitätszuwachs innerhalb der Jahre 2015 bis 2025 die Rede.
„Ältere Menschen werden für den Arbeitsmarkt immer wichtiger.“
Der zweite Megatrend, der unseren Arbeitsmarkt stark betrifft, ist die demografische Entwicklung. Es gibt immer mehr ältere Menschen und weniger Kinder. Wie das Bundesamt für Statistik prognostiziert, wird die junge Generation bis 2030 halbiert und die Generation 65 plus am schnellsten wachsen. Gleichzeitig gehen die Baby Boomers zwischen 2020 und 2035 in Rente. Dies bedeutet, dass jedes Jahr mehr Personen aus dem Arbeitsmarkt austreten und damit bis 2030 eine Lücke von rund einer halben Millionen Menschen in der arbeitenden Bevölkerung hinterlassen. Sofern die künftigen Pensionäre in Jobs arbeiten, die es mittel- bis längerfristig nicht mehr geben wird, mag die die Arbeitslosenquote stabil bleiben. Doch viel wahrscheinlicher sei – so Burth - dass mit den Personen, die aus Altersgründen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, wichtige Qualifikationen verloren gehen. Der Fachkräftemangel spitze sich damit noch zu. Die Schlussfolgerung liegt nahe: Ältere Menschen werden für den Arbeitsmarkt immer wichtiger.
Wie lässt sich der Fachkräftemangel auffangen?
Neben älteren Menschen stehen ebenso die Frauen und die jüngere Generation im Fokus der von Burth empfohlenen Massnahmen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen:
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„Ältere Arbeitnehmende über das Pensionierungsalter hinaus beschäftigen.“
Obwohl die Erwerbsquote in der Schweiz im internationalen Vergleich mit 22 Prozent bei den 65- bis 69-Jährigen hoch ist, sollen Anreize geschaffen werden wie die Flexibilisierung des Rentenalters. Zudem müssen Unternehmen Arbeitsmodelle schaffen, um die Erfahrung und das Know-how von älteren Arbeitnehmenden zu nutzen. Eine Lösung zur Erhöhung der Beschäftigungsquote bei Personen, die über das Pensionsalter hinaus arbeiten wollen, könne in der "Gig-Economy" liegen: das heisst, ältere Arbeitskräfte nicht fest anzustellen, sondern nach wechselnden Aufträgen (Gigs) zu bezahlen.
- "Frauenerwerbsquote steigern und Teilzeitarbeit für Männer etablieren.“
Heute sind gut 60 Prozent der Frauen in der Schweiz erwerbstätig. Vier von fünf Müttern arbeiten Teilzeit. Nicht das fehlende Krippenangebot sei laut Burth das Problem, sondern schwierig wird es für arbeitende Eltern dann, wenn die Kinder in die Schule kommen. Hier fehlen Tageschulen oder Betreuungsangebote über Mittag. Dennoch gibt es eine positive Nachricht: Immer mehr Eltern teilen sich Arbeit und Haushalt. Anzustreben gemäss Burth sei eine 80/80-Prozent-Lösung. Es brauche also mehr Teilzeit-Männer, die Frauen erlauben, ihr Pensum mit gutem Gewissen zu erhöhen.
- „Die jüngeren Generationen in zukunftsträchtigen Sektoren aus- und weiterbilden.“
Burth sagt es ganz deutlich: Unternehmen sind in der Pflicht, die Generationen Y und Z in den Sektoren aus- und weiterzubilden, in denen es auch in Zukunft noch Arbeit gibt: in MINT-Berufen, im Gesundheitswesen und in Jobs, die viel Kreativität verlangen. Wichtig sei zudem, die Schüler und Jugendlichen so früh wie möglich über verschiedene Karrierewege zu informieren und ihnen nebst einer guten Ausbildung praktische Berufserfahrungen zu ermöglichen. Im Einsatz von Gig-Workern und ausländischen Fachkräften im Schweizer Arbeitsmarkt sieht Burth eine weitere Möglichkeit, den Fachkräftemangel zu mindern.
Nicht zuletzt werden für alle Generationen und Geschlechter Lebenslanges Lernen im Sinne von Up-skilling und Re-skilling zur Notwendigkeit. Nur so können sie sich zu qualifizierten Fachkräften entwickeln, die in der sich rasch verändernden Arbeitswelt eine realistische Chance auf Beschäftigung haben.