Systemische Organisationsberatung: Eine Einführung
Irene Willi Kägi
Es gibt eine Vielfalt an Beratungsansätzen und -methoden in der Beratung von Unternehmen und Organisationen. Je nach Beraterpersönlichkeit und -verständnis passt der eine oder andere Ansatz. Das Buch „Einführung in die systemische Organisationberatung“ von Königswieser und Hillebrand gewährt einen Einblick in den systemischen Beratungsansatz. Dieser Ansatz betrachtet Organisationen als Organismen, die über eigene Ressourcen und Energien verfügen, Lösungen und Handlungsoptionen für Probleme zu finden. So versteht sich die systemische Organisationsberatung als eine Interventionsform, welche es dem Klienten ermöglicht, Probleme in seinem Umfeld besser wahrzunehmen und nachhaltige, zielgerichtete Verhaltensänderungen zu initiieren. Diese Art von Hilfe wird auch Prozessberatung genannt. Dementsprechend eignet sich das Buch für Menschen, die Veränderungsprozesse beraten und begleiten: für zukünftige und bestehende OrganisationsberaterInnen und -entwicklerInnen, Change Manager und ProjektleiterInnen.
Konkretes Fallbeispiel
Ausgangspunkt des Buches bildet ein realer Beratungsfall, der sich mit einem mehrjährigen Veränderungsprozess in einem internationalen Konzern befasst: Das im Anlagenbau tätige Unternehmen verfügt zwar über ausgezeichnetes technisches Know-how und eine gute Auftragslage, ist jedoch gezeichnet durch schwache Erträge und einen dementsprechend schlechten Börsenwert. Dazu beigetragen haben die jahrelange Monopolstellung, eine inkonsequente Führung, das Fehlen einer Vision sowie eine Struktur, die nicht an den Geschäftsprozessen ausgerichtet war. Die schlechte Stimmung der Mitarbeitenden wird geprägt von einem starken Hierarchie- und Konkurrenzdenken. Hinzu kommen schwerfällige Entscheidungsfindungsprozesse. Die Empfehlungen von Königswieser und Hillebrand lauten: Durchführung einer Systemdiagnose und eine Kerngruppe aus Mächtigen, Betroffenen und Know-how-Trägern sowie regelmässiges Vorstandscoaching. Die Kerngruppe dient als Motor der Veränderung und ist verantwortlich für die Gestaltung des Gesamtprozesses.
Im geschilderten Fall werden drei inhaltliche Schwerpunkte definiert: die Erarbeitung einer Vision, Massnahmen gegen Bürokratie und interne Kommunikation. Die regelmässig stattfindenden Workshops der Kerngruppe sind zeitweise emotional geladen und konfliktreich. Im Laufe der Beratung erweist sich auch die Führung als Kernproblem, worauf eine Analyse der Führungskultur und der Kultur des gesamten Unternehmens gemacht wird. Interventionsmethoden wie Sketches zum Thema „Führung heute“ bzw. „Führung morgen“ aber auch Reflecting Teams werden angewendet, bis ein Vorstandsmitglied den Knackpunkt erreicht und meint: „Wenn wir unser Denken und Verhalten ändern, stellt sich der Erfolg automatisch ein.“ Diese Äusserung hat Signalwirkung. Das Prinzip „Lernen und Selbststeuerung durch Reflexion“ beginnt zu leben und sich auf organisationaler Ebene fortzupflanzen und - siehe da, die Erträge beginnen sich nach und nach wieder in die gewünschte Richtung zu bewegen.
Handlungsrepertoire des/der systemischen Beratenden
Aufbauend auf dem erwähnten Fallbeispiel erklären Königswieser und Hillebrand ihren Beratungsansatz und erläutern die Erfolgsfaktoren der systemischen Beratung: vom klaren Kontrakt über das Commitment des Topmanagements, das Arbeiten mit den Schlüsselpersonen und dem Einbezug der Betroffenen bis hin zur Institutionalisierung von Feedbackschleifen und der Beraterprofessionalität. Ein praktisches Hilfsmittel bildet die äusserst detaillierte und hilfreiche Checkliste für relevante Fragen in der systemischen Beratung. Beispiele dafür sind: „Wie ist die Beziehung zwischen Beratersystem und Klientensystem?“, „Welche Widersprüche sind im Klientensystem erkennbar?“ oder: „Welche Zukunftsbilder, Visionen oder Strategien gibt es?“
Die Einführung in die Interventionsebenen der Organisationsberatung wird dem Leser/der Leserin leicht gemacht. Die Autoren bedienen sich dazu Begriffen aus dem Hausbau: Architektur (Was findet statt: Systemdiagnose, klare Projektrollen, Kerngruppe), Design (Wie werden die Dimensionen gestaltet: Teamentwicklung, Projektreviews, Marktplatzmethode) und Werkzeuge (Fragetechniken, positive Konnotation, Reframing). Ebenso klar dargestellt werden die fünf Dimensionen der Intervention: sachlich, sozial, zeitlich, räumlich, symbolisch. Diese werden den Werkzeugen wie folgt zugeordnet: konkretes Ziel: sachlich, Zielgruppe: sozial, Timing: zeitlich und Ort der Intervention: räumlich. Die symbolische und fünfte Dimension bezieht sich auf das Erleben und Fühlen eines Individuums oder einer Gruppe. Nicht zuletzt geben die Faustregeln für den Umgang mit typischen schwierigen Beratungssituationen (Widerstand, Konflikteskalation, drohender Beratungsabbruch etc.) ganz konkrete Handlungsanleitungen für Beratende.
Klar, konkret und anwendungsorientiert
Das Buch endet mit einem Ausblick in die Zukunft der systemischen Organisationsberatung und wird seinen selbsterklärten Ansprüchen gerecht. Es gelingt den Autoren: „die Komplexität des systemischen Beratungsansatzes mit seiner Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeiten in angemessener Differenziertheit darzustellen“ sowie „einen möglichst klaren Einblick in die Praxis, in konkrete Methoden und Interventionsmöglichkeiten zu geben.“ Ebenso schildern sie in gekonnter Weise „idealtypische Wege“ der systemischen Organisationsberatung. Gleichzeitig verzichten sie jedoch nicht darauf aufzuzeigen, „wie schwierig und wie voll von Stolpersteinen systemische Beratung sein kann.“
Fazit zum Schluss: Ein klares und anwendungsorientiertes Buch zum Aneignen und Vertiefen von Fachkenntnissen in der systemischen Organisationsberatung und -entwicklung. Mit dem Buch wird auch im Studiengang CAS FH in Organisationsentwicklung und –beratung der Kalaidos Fachhochschule gearbeitet.
Buchtipp: Königswieser, R. & Hillebrand, M. (2015): Einführung in die systemische Organisationsberatung. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.