Stellen Sie sich vor, Sie rufen kurz vor Ihren Ferien Ihre Hausbank an und beauftragen den Kundenberater, eines Ihrer Aktienpakete zu verkaufen. Nach Ihrer Rückkehr realisieren Sie, dass die Aktien nicht verkauft wurden und, wie vorauszusehen war, einiges an Wert verloren haben. Daraufhin fragen Sie telefonisch bei Ihrer Bank nach und Ihr Kundenberater entschuldigt sich. Er könne sich an den Auftrag erinnern und werde der Sache nachgehen. Sie hören längere Zeit nichts mehr. Dann folgt ein formeller Brief des Vorgesetzten der Bank, der Sie darauf hinweist, dass bei Ihnen nichts in den Akten vermerkt sei und somit kein Verkaufsauftrag stattgefunden habe. Demzufolge seien keine weiteren Aktivitäten von Seiten der Bank notwendig. Das verärgert Sie nun sehr. Sie wenden sich an Ihre Telefongesellschaft, die die betreffenden Gespräche schriftlich ausweist. Als weiterer Schritt nehmen Sie eine juristische Beratung in Anspruch. Ihnen ist klar, dass Sie als Folge sämtliche Vermögenswerte von der Bank abziehen werden. Nach einem persönlichen Gespräch und Beweis der Sachlage gibt die Bank den Fehler der Mitarbeiterin zu. Es kommt zu einer gütlichen Regelung. Aber Ihr Vertrauen ist zerstört.

Dieses reale Beispiel führt zu Fragen, die, neben juristisch-taktischen und ethischen Aspekten auch die Führung und deren psychologische Mechanismen betreffen. Gemäss dem Modell von Tavistock (Lohmer, 2014) verfügt jede Organisation, so auch die Bank, über eine primäre Aufgabe, die sowohl den Zweck als auch den Umgang mit der Umwelt und das Überleben der Organisation sichert. In diesem Fall wäre es die primäre Aufgabe des „Private Bankings“, Kundengelder so anzulegen, dass Sie für den Kunden wie auch für die Bank lukrativ sind. Jede primäre Aufgabe verfügt jedoch auch über einige Risiken, das heisst, Entscheidungsdilemmata oder Gefahren, die in der Natur der Aufgabe liegen. In unserem Beispiel sind dies menschliche oder technische Fehler, die zu finanziellen Verlusten führen. Solche Risiken lösen Angst aus.

Der Umgang mit Angst (vgl. Teil 2) ist somit eines der zentralen Führungsthemen, welches jedoch kaum in der gängigen Führungslehre thematisiert wird. Wie führe ich meine Mitarbeiter im Angesicht von Risiken? Und was passiert, wenn wir in einer Null-Fehler-Kultur Fehler machen? In solchen, oft rigiden Unternehmenskulturen wird Verantwortungsübernahme für Fehler existentiell bedrohlich. Sie lösen enormen psychischen und physischen Stress aus. Die Folge ist, dass Fehler konsequent abgewehrt („Ist uns nicht passiert.“) oder verleugnet („Ist gar nicht passiert.“) oder anderen zugeschoben werden („Der andere ist schuld.“). So kann es passieren, dass potenziell grössere Risiken wie der Verlust von Reputation durch öffentliche Anschuldigungen oder durch Abzug beträchtlicher Kundenvermögen in Kauf genommen werden, um unmittelbare Bedrohungen durch das umgebende bestrafende System (Verlust von Bonus, internes Ansehen, Arbeitsstelle etc.) zu verhindern. 

Was heisst das nun für die Führung? Aus Sicht der Psychodynamik agiert die Führungskraft als eine Art Container für Angst. Das heisst, sie ist in der Lage, starke, oft unbewusste Emotionen wie Angst im Team oder bei anderen zu erkennen und diese adäquat zu steuern. Eine Auswahl an Verhaltensmassnahmen soll nun vorgestellt werden:

Die Führungskraft als Stimmungsbarometer
Nehmen Sie als Führungskraft Ängste, Spannungen und Krisen innerhalb der Gruppe wahr und sprechen Sie diese konkret und lösungsorientiert an. Diese Rolle können auch geeignete Unterstützer in Ihrem Team übernehmen.

Grenzwanderung
Als Führungskraft stehen Sie an der Grenze des Systems und vermitteln zwischen den Anforderungen von aussen und innen. Eine einseitige Identifizierung mit dem einen oder anderen System ist wenig zuträglich.

Rituale
Drücken Sie Befindlichkeiten in Form von ritualisierten Gesten aus. Beginnen Sie beispielsweise Ihre Team-Sitzungen mit einer persönlichen Befindlichkeitsrunde. Damit fördern Sie die Empathie und stärken das Zusammgehörigkeitsgefühl. So konnte man vor kurzem beobachten, wie eine erfolgreiche Schweizer Volleyballmannschaft nach jedem Punkt oder auch bei Fehlern mit kurzem Handschlag zusammen kam und sich gegenseitig bestärkte.

Thematisierung und Lösungsorientierung
Achten Sie darauf, dass Fehler, Krisen und Risiken nicht tabuisiert sondern offen thematisiert werden. Behandeln Sie Fehler als etwas Sinnvolles, da Sie Lernen und Verbesserung ermöglichen. Auch zwiespältige Entscheidungen, wie in unserem Beispiel, müssen offen, möglichst mit allen, thematisiert werden.

Innenschau
Erkennen Sie als Führungskraft Ihre eigenen Angstmechanismen (Abwehr, Verleugnung, Projektion, etc.) und reflektieren Sie diese, allenfalls mit einem geeigneten Coach oder einer Vertrauensperson.

Mut
Mut ist wohl eine der stärksten Aspekte einer hervorragenden Führungspersönlichkeit. Mut entwickelt sich nur dann, wenn Sie ein inneres, klar ausgebildetes Wertesystem haben. Dieses unterstützt Sie, Stellung zu beziehen und diese überzeugend nach aussen zu tragen.
Was heisst dies nun abschliessend für unser Beispiel am Anfang? Angenommen, Sie wären der/die Vorgesetzte. Sie haben den Fall nach oben eskaliert und der Entscheid im Umgang mit dem Kunden wurde Ihnen abgenommen. Kehren Sie die Situation nicht unter den Teppich. Diskutieren Sie das Vorgehen mit dem Team und vor allem dem Kundenberater. Schaffen Sie damit einen lösungsorientierten und angstfreien Raum im Team, um ähnlichen zukünftigen Risiken gewappnet begegnen zu können.

Buchempfehlung: Lohmer & M. Möller, H. (2014). Psychoanalyse in Organisationen, Einführung in die psychodynamische Organisationsberatung, Stuttgart, Kohlhammer Verlag

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