Digitalisierung, Daten und eine neue Schöpfung (1/4) Digitalisierung, Daten und resultierende «digitale Wesen». Strategien und Management im Umfeld fortschreitender Technologien und beginnender Metaverses
Norman Stürtz
„Da sprach Gott: Es werde Licht! Und es wurde Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht“ (1. Buch Mose, 3-5, nach der Zürcher Bibel).
Diese Stelle aus dem Buch der Bücher stammt aus der Schöpfungsgeschichte. Neben der interessanten Parallele von Tag und Nacht als Analogie zur binären digitalen Welt von 0 und 1, ist die Schöpfung eines menschlichen Wesens von Interesse in diesem Blogbeitrag, der ebenfalls von einer Schöpfung handelt – der Schöpfung eines neuen digitalen Wesens.
Die Genese eines Datenwesens
Jedes Mal, wenn ein Mensch eine Nutzerkennung / ein Log-in erstellt, schöpft er damit auch ein kleines, mit ihm verbundenes Datenwesen. Dieses Datenwesen setzt sich in der Regel aus persönlichen Daten und den damit verbundenen Stamm- und Funktionsdaten zusammen. Neben den Personendaten sind auch Informationen über Transaktionen oder Services enthalten. Für sich alleine sind die Daten einer Applikation (App) auf dem Desktop oder auf einem Mobilgerät aber eher eine Art „Daten-Amöbe“ als ein differenziertes, mehrzelliges „Datenwesen".
Dieses Bild ändert sich, wenn man die Gesamtheit aller Applikationen und der damit verbundenen Nutzerkennungen betrachtet, die einem Nutzer zugeordnet werden können. Hier ergibt sich bereits eine Art Wesen aus verschiedenen „Datenzellen“, um im Bild zu bleiben.
Eine Anzahl von 40 bis 50 Apps auf einem Tablet ist keine Seltenheit. Jeder App sind eine kleine Datenbank und ein kleines Datenmodell mit App-spezifischen und personenbezogenen Attributen zugeordnet.
Apps für die persönliche Fitness kennen in der Regel Alter, Gewicht, Herzfrequenz und andere Attribute, die zur Beschreibung der Gesundheit dienen. SmartHome-Applikationen kennen nicht nur die Räume des Hauses beim Namen, sondern wissen auch, wann und wo das Licht an- und ausgeht und kennen die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit dieser Räume. Utility Apps, z. B. für das Netzwerk, kennen nicht nur den Netzwerknamen, sondern auch alle Geräte im hauseigenen WLAN und können so sogar feststellen, wann das Handy der Tochter das Haus verlässt und wann es wieder nach Hause zurückkehrt. Die Freizeit-Apps kennen Wanderrouten, Motorradtouren und häufige Jogging-Wege und wissen, an welchen Orten oft eine Pause eingelegt wird. Damit nicht genug, Automobil-Apps hinterlassen Daten zu den Marken und Modelle der eigenen Fahrzeuge. Navigations- oder ÖV-Apps kennen oft die Pendelwege oder andere persönlich zurückgelegte Wege. Auch die Foto-Apps sind keine Ausnahme, sie haben Zugriff auf Metadaten. Auch damit hört es nicht auf, Kommunikations-Apps verfügen über Verbindungs- und Kontaktdaten. Mit diesen primären Daten lässt sich schon ein recht deutliches Bild eines digitalen Wesens zeichnen.
Fügen wir dann noch die sekundären Daten aus Apps, und vor allem die Metadaten aus den Internetbrowsern, hinzu, kann man Typologien ableiten, Rückschlüsse auf die Person ziehen und deren Präferenzen erkennen.
In Verbindung mit Identitätsdaten, wie zum Beispiel anhand einer Apple-ID oder einer Global-ID, ist das digitale Abbild einer echten Person in der virtuellen Welt fast schon perfekt.
Wie im anfänglichen Auszug aus der Genesis angedeutet, ergibt sich durch die Summe all dieser Daten eine neue Schöpfung: der „Homo Digitalis“.
Das Datenwesen als Homo Digitalis
Der Homo Digitalis definiert sich damit als das Abbild menschlicher Aktivitäten in der digitalen Welt, erfassbar und auswertbar gemacht durch die Summe seiner Daten, die der Mensch abgibt und die die Systeme dahinter auswerten und ergänzen.
Dieser Homo Digitalis der Datenebene gibt derzeit noch nicht alle Facetten und Nuancen eines Menschen wieder. Er ist als Datenwesen wohl am besten mit einem Humanoiden in den 90er Jahren zu vergleichen: ungelenk, mit sichtbaren Konstruktionsmerkmalen, einfachen Gesichtszügen und mit Kameras statt Augen.
Der Homo Digitalis der Zukunft wird jedoch durchaus schwieriger als künstliches Wesen identifizierbar sein. Im Gegenteil, er wird als digitales Wesen immer leichter zu identifizieren sein, mit allen Vorteilen, aber auch Nachteilen, wenn es um Datenschutz geht. Dies zeigt sich anhand von drei Faktoren.
Die Gefahren für den Homo Digitalis
Zunächst wird sich die Verschmelzung der Daten aus einzelnen Applikationen mit Daten aus anderen Applikationen durch Konzentrationsprozesse innerhalb der Branchen oder Kollaboration in der Wirtschaft konsequent weiterentwickeln. Ein gutes Beispiel ist hier die Verbindung der verschiedensten Kollaborationstools wie z.B. Miro oder Asana mit der MS Teams Plattform von Microsoft. Noch besser sieht man vernetze Ökonomien im Kryptobereich, bei denen eine Firma das Client-Onboarding betreibt und eine andere Firma verwendet wird, um dafür zu sorgen, dass von der Kreditkarte oder dem Konto Geld auf das persönliche Konto bei der Krypto-Börse kommt. Support-Anfragen gehen oft über eine weitere Firma. Die Verbindung zwischen all den Firmen, fast unsichtbar für die Nutzerin oder den Nutzer, geschieht heutzutage über Application Programming Interfaces, sogenannten APIs. Diese Verknüpfung von Unternehmen mit den verschiedensten Unternehmen ist die Network Economy, oft auch Platform Economy genannt. In der Forschung schon seit 20 Jahren ein Thema, ist die Verknüpfung über APIs aber erst seit fünf bis sechs Jahren so reif, dass sich hier tatsächlich digitale Firmenverbünde knüpfen.
Des Weiteren wird sich der rapide Technologiefortschritt der letzten 25 Jahre weiter beschleunigen und, wie erwähnt, sind Leistungsfähigkeit der Rechner und Speicherkosten hier die entscheidenden Bereiche. „The Law of Accelerating Returns“ von Ray Kurzweil (publiziert auf Edge.org and KurzweilAI.net Jan. 12, 2003)stellt dies gut dar. Im nächsten Blogbeitrag werden wir darauf genauer eingehen.
Drittens werden die heute noch parallellaufenden und wenig verbundenen Technologien sich mehr und mehr miteinander verbinden und sich gegenseitig integrieren, wodurch die Datenverschmelzung weiter vorangetrieben wird. Auch hier nur als Teaser für den nächsten Beitrag: man denke an IoT und Blockchain.
All dies verstärkt die öffentliche Transparenz des eigentlich privaten Homo Digitalis, und dies oft nicht im Interesse des eigentlichen „Schöpfers“ dieser Daten, des echten Menschen und Bürgers. Daher werden Vertraulichkeit und Schutz des Homo Digitalis sozial und politisch immer relevanter. Die Gesetzgebung wird diesen Entwicklungen aller Voraussicht nach hinterherhinken, auch wenn die EU hier mit ihren regulatorischen Plänen recht vorausdenkend erscheint.
Unternehmen können hier durch ein verantwortungsbewusstes, rechtlich einwandfrei geführtes Datenmanagement vorausschauend und im Sinne des Unternehmens und der Kunden handeln.
In den nächsten beiden Blogbeiträgen werden wir daher verschiedene technologische Entwicklungen genauer betrachten und im Anschluss ein Datenmanagement aufzeigen, das diesen technologischen Entwicklungen gerecht wird.
Quellen und weiterführende Informationen
Anmerkung des Autors zum Terminus «Homo Digitalis»: Der Homo Digitalis ist Name einer Fernsehserie, eines deutschsprachigen Blogs, eines Buchs in Verbindung mit Social Media und vielen anderen Nennungen. Die obige Abhandlung versteht den Homo Digitalis einzig und allein wie definiert, als Summe seiner persönlichen Daten.
Eine schöne Übersicht zum Thema SmartHome-Daten in Verbindung mit Amazon Fire HD findet sich hier:
Machs-smart.de. Smart Home und Tech Blog.
Ein älteres Paradebeispiel, wie z.B. Gesundheitsdaten durch die Apple Watch vernetzt werden:
38 more health and wellness apps that connect to Apple’s HealthKit.
Zur API Technologie und Netzwerke
API-Economy Gabler Wirtschaftslexikon
Zur Beschleunigung der Technologien:
Kurzweil’s Law (aka “the law of accelerating returns”)
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