Hybris bei Führungspersonen Die Folgen von Selbstüberschätzung für Wirtschaft und Politik
Prof. Dr. Joël Berger
Hybris, die Tendenz mancher Führungspersonen zu Selbstüberschätzung und Machtmissbrauch, ist in Wirtschaft und Politik weit verbreitet – mit potentiell schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Organisationen und Gesellschaften.
Ursachen von Hybris
Bereits Aristoteles warnte, dass Macht und Glorifizierung zu Hybris führen können (Aristotle, 2003). Unter Hybris wird die Tendenz von manchen Führungspersonen zu Selbstüberschätzung und Machtmissbrauch verstanden. Gerade in der Wirtschaft ist Hybris verbreitet – nicht zuletzt, weil in diesem Feld Erfolg häufig der Person, etwa dem CEO, und weniger den Umständen, etwa günstigen Marktbedingungen, zugeschrieben wird. Im Gegensatz zu Narzissmus, einer stabilen Persönlichkeitseigenschaft, wird Hybris durch eben diese interne Zuschreibung erst hervorgebracht. Gelangt eine Person mit entsprechender Veranlagung in eine Machtposition und schreibt ihren Erfolg ausschliesslich eigenen Fähigkeiten zu, entsteht Hybris. Glorifizierung, etwa durch Mitarbeitende oder die Medien, verstärken die Symptomatik (Berger, Osterloh, Rost & Ehrmann 2020).
Folgen von Hybris
Aufgrund des unerschütterlichen Glaubens in ihre vermeintlich aussergewöhnlichen Fähigkeiten neigen Betroffene dazu, wichtige Entscheidungen zu treffen, ohne die Meinung von Mitarbeitenden und Berater/innen zu berücksichtigen – oftmals mit verheerenden Folgen für die betroffenen Organisationen. Unrentable Akquisitionen sind hier das Musterbeispiel (Hayward & Hambrick 1997). Überhöhtes Selbstbewusstsein und ausgeprägte Risikofreude sind jedoch nicht die einzigen Konsequenzen von Hybris. Hinzu kommen überzogene Gehaltsforderungen (Billet & Quian 2008). Schliesslich interpretieren Betroffene geltende Regeln zu den eigenen Gunsten. Beispiele in Wirtschaft und Politik gibt es viele: Software-Betrug bei Volkswagen, Korruption bei Fifa oder Steuerhinterziehung bei Spitzenpolitikern (Berger, Osterloh & Rost 2019).
Was tun?
Wie können Organisationen und Gesellschaften mit der Hybris-Problematik umgehen? Zuerst einmal sei gesagt, dass psychologische Merkmale wie Selbstbewusstsein und Risikofreude durchaus als erwünschte Eigenschaften von Führungspersonen gelten. Erst, wenn eine bestimmte Grenze überschritten wird, ist es sinnvoll, von Hybris zu sprechen. Idealerweise sollten bei der Besetzung von Führungspositionen daher durchaus Personen berücksichtigt werden, welche über die entsprechenden Eigenschaften verfügen – allerdings nur zu einem moderaten Ausprägungsgrad. Psychologische Diagnostik kann helfen, eine Grenze zwischen dem zu ziehen, was als funktional oder dysfunktional zu betrachten ist. Als weitere Möglichkeit wird die fokale Zufallswahl vorgeschlagen. Dieses Verfahren zur Selektion von Führungspersonen ist zweistufig: Im ersten Schritt werden geeignete Kandidierende mittels etablierter Leistungstests vorselektiert. Im zweiten Schritt wird aus dem Pool der geeigneten Kandidierenden die Gewinnerin oder der Gewinner per Zufall bestimmt. Die Zufallskomponente verunmöglicht es, Erfolg den eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben – der Hybris-Trigger wird somit neutralisiert (Berger, Osterloh, Rost & Ehrmann 2020). Eine dritte Möglichkeit ist die Implementierung von Kontrollmechanismen, welche den Spielraum für eigenmächtige Entscheidungen eingrenzen (Hayward & Hambrick 1997). Die Hybris-Problematik in Wirtschaft und Politik sollte dringend in Angriff genommen werden. Die notwendigen Mittel wären vorhanden.
Quellen und weitere Informationen:
Aristotle (2003). Rhetoric. Translated by J. H. Freese. Oxford: Oxford University Press.
Berger, J., Osterloh, M., Rost, K., & Ehrmann, T. (2020). How to prevent leadership hubris? Comparing competitive selections, lotteries, and their combination. Leadership Quarterly, 31, 101388.
Berger, J., Osterloh, M., & Rost, K. (2019). Chef per Los? Ergebnisse eines Experiments. Zeitschrift für Führung und Organisation, 88(3), 184-188.
Billett, M. T., & Qian, Y. (2008). Are overconfident CEOs born or made? Evidence of self-
attribution bias from frequent acquirers. Management Science, 54(6), 1037–1051.
Hayward, M. L., & Hambrick, D. C. (1997). Explaining the premiums paid for large acquisitions: Evidence of CEO hubris. Administrative Science Quarterly, 42, 103–127.
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