Dinosaurier und Mann vor Gebäude Dinosaurier und Mann vor Gebäude
Risikomanagement - das Relikt aus der Vergangenheit lauert uns zuweilen immer noch auf. (Symbolbild)

Bereits in den Beiträgen zu "Risikomanagement mit Herz oder Verstand?", "Ich schätze, ich habe ein Risiko." und "Gute Risiken in Corona-Zeiten – ein Widerspruch?" ging es um Risikomanagement. Gibt es denn noch etwas zum Risikomanagement zu sagen?

Ja, gibt es. Wir wissen, dass Risiken per Definition Ereignisse beschreiben, deren Eintreten unsicher sind und dass sie negativ und positiv sein können. Auch der Zusammenhang zwischen Risiko- und Projektmanagement ist dargestellt worden, und zwar als gedankliche Vorwegnahme, wie ein Projekt idealerweise ablaufen sollte und was passieren kann, wenn gedanklich alles schiefgeht. Nicht zuletzt ist die Motivation zum aktiven Risikomanagement eher über das Herz zu erreichen als durch sachliche Argumente. Doch wussten Sie, dass Risikomanagement ein Relikt der Vergangenheit ist und zurzeit einen Bedeutungswandel erfährt?

Lautet Ihre Antwort "Ja", dann freuen Sie sich über Ihr Insiderwissen und Sie können an dieser Stelle aufhören zu lesen. Falls Sie jedoch die Neugier packt herauszufinden, in welche Richtung sich Risikomanagement in Zukunft bewegt, fahren Sie fort.

Das Relikt

Früher wurde Risikomanagement ausschliesslich betrieben, um von der Unternehmung Gefahren abzuwenden, indem entweder das Eintreten des Risikos vermieden oder beim Eintreten die Folgen abgemildert wurden. Der Ansatz war, die Existenz des Vorhabens sicherzustellen, indem alles "Schädliche, Gefährliche" vermieden werden sollte.

Hierbei wurden zwei Ansätze verfolgt, die zum Teil heute noch in Schulungen grosse Debatten auslösen: Kann und soll das negative Risiko vermieden werden? Oder ist es gar nicht zu vermeiden und deshalb können nur die Folgen daraus vermindert werden?

Ich persönlich denke, dass es eine Mischung aus Beidem ist. Präventive Massnahmenpläne können zwar in manchen, aber nicht allen Fällen Risiken vermeiden, weil sie entweder nicht beeinflussbar sind oder es zu teuer ist, das Nichteintreten von Risiken sicherzustellen. Wenn z.B. eine Lieferung mit einem Flugzeug Just-in-Time erfolgen soll und das Flugzeug sich wegen eines Gewitters verspäten könnte, erweisen sich präventive Massnahmen als unrealistische Forderung - ein Gewitter kann nicht vermieden werden und ein Umfliegen kostet Zeit. Korrektive Massnahmenpläne hingegen mindern die negativen Konsequenzen, wenn das Risiko eintreten sollte. Ein Beispiel hierzu wäre, einen Sicherheitsbestand zu schaffen, um bei einer verspätet eintreffenden Lieferung Auswirkungen auf die Produktion zu verhindern, indem Material aus dem Sicherheitsbestand entnommen wird. Für Chancen ist in diesem Verständnis des Risikomanagements gedanklich kein Platz…!

Die Gegenwart

Heute sollen mittels Risikomanagement auch positive Ereignisse gefördert werden, für das Team, das Projekt, das Programm, das Unternehmen, usw. Dieses Vorgehen ist durchaus löblich und der Begriff Risikomanagement ist nach der Definition auch nicht falsch. Studien sprechen noch heute überwiegend von Risikomanagement. Doch einige bezeichnen es mittlerweile als Risiko- und Chancenmanagement (risk and opportunity management). Diese Erweiterung bindet also positive und negative Effekte gleichermassen ein – allerdings ist diese Bezeichnung bei genauerem Nachdenken inkorrekt, denn Risiken schliessen positive und negative Ereignisse ein – weshalb also noch Chancenmanagement anhängen? Diese Verwässerung erfolgt, damit der Fokus nicht ausschliesslich auf den potentiell negativen Ereignissen verharrt.

Eine bessere Bezeichnung wäre demnach Gefahren- und Chancenmanagement (threat and opportunity management). Hierbei sollte beachtet werden, dass es bei Stakeholdern zu Verwechslungen mit der SWOT-Analyse führen könnte (strengths, weaknesses, opportunities and threats).

Diese Verwechslungsgefahr ist gleichermassen eine Verwechslungschance – schliesslich möchten Sie als ProjektleiterIn, dass die Personen "mit dem Herzen" dabei sind. Die Emotionen bei dem Gedanken an eine SWOT-Analyse fallen positiver aus als bei dem Gedanken an die anstehende Risk Session. Nutzen Sie dies zu Ihrem Vorteil! Manche Unternehmen wenden sich mittlerweile von dem Begriff Risikomanager im Jobtitel ab, sie setzen Business Continuity Manager ein. Ein guter Schritt, denn was nützt es, sämtliche negativen Risiken zu vermeiden, wenn die neuen Ideen und Chancen auf der Strecke bleiben: Beides gehört zusammen!

Auf dem Weg in die Zukunft

Bislang hat sich noch keine Begriffserweiterung durchgesetzt. Aus theoretischer Sicht ist Risikomanagement nicht verkehrt – aber im ersten Moment eben missverständlich. Deshalb ist es unumgänglich, dass innerhalb von Unternehmen ein einheitliches Verständnis herrscht und bei unternehmensübergreifenden Projekten solche Begrifflichkeiten in Einklang gebracht werden. Seien Sie offen und betrachten Sie auch den kulturellen Hintergrund Ihres Gegenübers – nicht allen Kulturen fällt es leicht, Risiken zu benennen oder mit ihnen umzugehen. Deshalb kann eine andere Bezeichnung unterstützend wirken.

Manche versuchen, mit zusätzlichen Begriffen oder ganz neuen Wortkonstellationen wie "Risk and Benefits Management" oder "Risk Appetite" (der Hunger nach Risiken) eine Balance zwischen Gefahren und Chancen herzustellen. Weitere Vorschläge zur Bezeichnung des neuen Risikoverständnisses sind herzlich willkommen. Es bleibt spannend!

Quellen und weiterführende Informationen

Aven, T. (2013). On the meaning and use of the risk appetite concept. Risk Analysis, 33(3), 462-468.

Besner, C., & Hobbs, B. (2012). The paradox of risk management: a project management practice perspective. International Journal of Managing Projects in Business, 5(2), 230-247. 

Cagliano, A.C., Grimaldi, S., & Rafele, C. (2015). Choosing project risk management techniques: a theoretical framework. Journal of Risk Research, 18(2), 232-248.

International Organization for Standardization (ISO) (2018). ISO 31000:2018(en) Risk Management – Guidelines.

Kahnemann, D., & Tversky, A. (1992). Advances in prospect theory: cumulative representation of uncertainty. Journal of Risk and Uncertainty, 5(4), 297-323. 

Müller, R., & Turner, R. (2007). The influence of project managers on project success criteria and project success by type of project. European Management Journal, 25(4).

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