Projekt Gigafactory: Woran Elon Musk nicht gedacht hat
Anne-Kathrin Bolender
Es ist Sommer. Es ist heiss. Die Luft flimmert. Sie haben das Gefühl, gegen eine heisse Wand zu laufen. Ihr Gedanke: Ein Baum, etwas Schatten, nur ein kleiner Zipfel und schauen sich suchend um. Die Erde ist ausgedorrt, das Gras verbrannt. Heute Morgen wurde im Radio über die steigende Anzahl an Waldbränden in der Region berichtet. Sie befinden sich, genau, in Brandenburg. Branden-was? Brandenburg, das Bundesland um Berlin, wo Elon Musks Wassermassen verschlingende Gigafactory gebaut wird.
Begeisterung versus Widerstand
Das Gigafactory-Projekt von Elon Musk wird gleichermassen gefeiert und verflucht. Wie kann das sein? Die Politik ist begeistert, einen Innovator und Visionär wie Elon Musk nach Brandenburg zu holen – einem Bundesland, welches in Ostdeutschland liegt und mit Abwanderung in den Westen zu kämpfen hat. 40'000 Arbeitsplätze sollen entstehen. Wer kann also irgendetwas dagegen haben?
Die Antwort ist klar: die Anwohner/innen. Sie sprechen aufgeregt in Fernsehkameras. Manche sind wütend, kaum zu verstehen, fühlen sich übergangen und sehen ihre Existenz – oder zumindest den eigenen Kleingarten – in Gefahr. Das fehlende Wasser, die Sorge, billigere Arbeitskräfte aus Polen werden von Tesla profitieren, aber nicht die ortsansässigen Anwohner/innen, der angekündigte Bau eines Wasserwerks für Tesla, das alles führt zu Frust und Ärger. Die Befürchtung, dass die Steuergelder auch noch für dieses Wasserwerk ausgegeben werden und man selbst zu kurz kommt, das darf doch nicht sein, oder?
Was ist da schief gegangen, dass die Emotionen hochkochen und Anlass zu Satire geben?
Stakeholdermanagement als Stichwort
Elon Musk hat ein Fernsehinterview gegeben, in dem er sagt: "Bäume würden nicht wachsen, wenn es kein Wasser gäbe … (lacht) … Ich meine, wir sind ja hier nicht in der Wüste." Diese Aussage passt nicht zu dem Erleben der Anwohner/innen. Ich weiss nicht, ob Sie schon einmal an einem heissen Sommertag in Brandenburg waren, aber versetzen Sie sich in die Lage der Anwohner/innen und nehmen Sie die Ängste und Nöte wahr. Es ist an dieser Stelle nicht wichtig, ob Sie Befürworter/in oder Gegner/in einer Gigafabrik sind, sondern, ob Sie als Projektmanager/in eine gute Stakeholderanalyse durchgeführt haben, daraus Schlüsse ziehen und die Analyse auch regelmässig aktualisieren und danach handeln. Stakeholdermanagement ist Arbeit und sie wird umso umfangreicher, je länger die Stakeholder nicht beachtet werden.
Identifizierung und Priorisierung der Stakeholder
Mit einer Stakeholderanalyse sollen die einflussreichen und interessierten Stakeholder identifiziert werden, um sie adressatengerecht in das Projekt einzubinden. Dies beinhaltet eine aktive Mitarbeit, z.B. von Arbeitskolleg/innen oder Vorgesetzten, oder eine passive Kommunikationspolitik, z.B. bei Anwohner/innen. Hierbei geht es nicht nur um die Stakeholder, die gegenüber dem Projekt positiv eingestellt sind, sondern auch – oder gerade – um die Stakeholder, die negativ Einfluss ausüben können. Im vorliegenden Beispiel können die Anwohner/innen die unmittelbare Projektarbeit zwar nicht direkt beeinflussen, jedoch über Klagen, negative Presse etc. auf das Projekt einwirken.
Der Stakeholdermanagementcycle besteht aus fünf Schritten. Die zwei ersten Schritte lassen sich also wie folgt zusammenfassen:
- Identifizierung aller Stakeholder: Wer ist von dem Projekt (un)mittelbar betroffen?
- Priorisierung der Stakeholder: Welchen Einfluss und welches Interesse haben die Stakeholder?
Visualisierung und Kommunikation
Je nach Anzahl der unterschiedlichen Stakeholder bietet sich eine visuelle Einordnung in Form einer Matrix an. Diese Matrix setzt sich aus dem festgestellten Interesse und dem Einfluss der Stakeholder zusammen, die schliesslich einem der vier (bzw. neun) Felder zugeordnet werden. Die Einteilung ist auf Basis des Einflusses bzw. Interesse von niedrig bis hoch (bzw. niedrig-mittel-hoch) vorzunehmen. Für die jeweiligen Felder lassen sich dann Kommunikationsstrategien festlegen, die von Information bis hin zum aktiven Austausch reichen. Positiv eingestellte Stakeholder fördern hierbei das Projekt, sie können mitarbeiten oder mit ihnen können Allianzen geschmiedet werden, um negativ eingestellte Stakeholder entsprechend zu beeinflussen und ihre Skepsis gegenüber dem Projekt abzubauen. Im Falle der Anwohner/innen wären eine proaktive, frühe Kommunikation durch Informationsveranstaltungen, verbindliche Zusagen von Tesla und der Politik oder auch Beispielrechnungen und Transparenz unabdingbare Kommunikationsmittel: Wer zahlt das Wasserkraftwerk? Woher kommt das Wasser? Warum wird so viel Wasser benötigt und wie arbeitet Tesla an einer Reduktion des Wasserbedarfs bzw. an geschlossenen Wasserkreisläufen zur Wasserwiederaufbereitung? Woher kommen die Arbeitskräfte? Wie profitiert die Gemeinde von den zu entrichtenden Steuern? usw. Als vier sehr grobe Kommunikationsstrategien eignet sich "Inform", "Consult", "Involve/Engage" und "Partner".
Schematische Darstellung einer Stakeholdermatrix mit der Zuordnung der Kommunikationsstrategien (Grafik: eigene Darstellung)
Schritt 3 und 4 sind somit bearbeitet:
3. Visualisierung der Stakeholder in einer Matrix: Welche Stakeholder können in Gruppen zusammengefasst werden?
4. Kommunikationsplan festlegen: Wie wird mit den Stakeholdern kommuniziert?
Monitoring und Transparenz
Im letzten Schritt wird das Monitoring durchgeführt:
5. Monitoring der Kommunikationsmassnahmen und Veränderung Stakeholdergruppen: Werden die Kommunikationsstrategien umgesetzt? Gibt es neue, bestehende und ausscheidende Stakeholder?
Ein wichtiger Punkt an dieser Stelle ist die Zugänglichkeit zu den Analyseergebnissen. Hier ist Fingerspitzengefühl geboten. Die Analyse muss mit einem guten Projektteam gemacht werden, welches die Bedeutung des Projekts einschätzen kann. Alle Projektmitarbeitenden benötigen immer die für ihre Aufgaben erforderlichen Informationen. Doch ist es nicht immer ratsam, die Stakeholdermatrix mit allen Interessierten zu teilen, denn gerade Stakeholder, die sich mächtig fühlen, aber nicht als entsprechend einflussreich angesehen werden, oder Stakeholder, die negativ dem Projekt gegenüber eingestellt sind, können sich dadurch angegriffen oder verletzt fühlen.
Das heisst aber nicht, dass die Matrix nur einmal erstellt wird und dann in einer Schublade verschwindet – nein. Abhängig von den Rahmenbedingungen und des Projektfortschritts ändert sich die Einordnung und damit der Kommunikationsbedarf gegenüber den Stakeholdern. Aus diesem Grund muss die Analyse regelmässig, aber spätestens mit Erreichen von wichtigen Meilensteinen bzw. Gates oder bei grösseren Projektveränderungen überarbeitet werden – entsprechend eines Cycles beginnt die Projektleitung somit den ersten Schritt wieder einzuleiten.
Das Versöhnliche zum Schluss
Das Stakeholdermanagement von Musks Riesenprojekt ist bislang nur in Teilen erfolgreich gewesen. Die Interessengruppe, die ein grosses Interesse, aber wenig Einfluss auf den Genehmigungsprozess der Gigafactory hat, ist nicht gut gemanagt worden. Die Politik hat es – ähnlich des Desasters beim Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg, kurz BER – versäumt, Anwohner/innen proaktiv Ängste zu nehmen und für einen transparenten Genehmigungsprozess zu sorgen.
Was kann daraus gelernt werden? Bereits zum Projektstart ist ein Stakeholdermanagement aufzubauen. Gutes Stakeholdermanagement muss den Nutzen (Benefit) solcher Projekte aufzeigen. Gutes Benefit Management beginnt also bereits mit dem Projekt. Es hat den gleichen Stellenwert wie das Risikomanagement im Rahmen der Projektleitungstätigkeit – denn: Wer kann es sich leisten zu warten, dass Anwohner/innen oder Umweltverbände mit Klagen einen Baustopp erzwingen?
Eine Versöhnung mit den Anwohner/innen wird schwer. Ich versuche mir vorzustellen, wie ein Gespräch zwischen ihnen und Elon Musk abläuft oder er ihnen symbolisiert, dass er sie verstanden hat. - Plötzlich läuft Elon Musk mit einem gut gefüllten Wassereimer vor meinem geistigen Auge vorbei. Scheinbar habe ich während meiner Recherche für diesen Beitrag zu viel Fernsehbeiträge über Musks Spiel mit dem Feuer geguckt – aber wäre das gemeinsame Gespräch miteinander (und nicht übereinander) nicht ein guter Anfang?
Quellen und weiterführende Informationen
Bourne, L. (2016). Targeted communication: The key to effective stakeholder engagement. Procedia - Social and Behavioral Sciences, 226, 431-438. doi: 10.1016/j.sbspro.2016.06.208.
Hartman, F., & Skulmoski, G. (1999). Quest for Team Competence. International Journal of Project Management, 5(1), 10-15.
Hauschild, M. (2020). Tesla? Wolln wa nich!
Heise, M. & Esser, C. (2021). Bau eines neuen Tesla-Werks in Brandenburg.
Hoppen, F. (2021). Neues Wasserwerk könnte künftig Tesla-Fabrik versorgen.
Jepsen, A. L., & Eskerod, P. (2009). Stakeholder analysis in projects: Challenges in using current guidelines in the real world. International Journal of Project Management, 27(4), 335-343. doi: 10.1016/j.ijproman.2008.04.002.
Neuerer, D. (2021). Wasserknappheit behindert Teslas Pläne in Brandenburg.
Wellisch, F. (2020). Bereits 26 Waldbrände in Brandenburg registriert.