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Die Gesetzgebung über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden und Praxisfälle (Symbolbild)

Im vorangehenden Teil dieses Beitrags zu den historischen Hintergründen des SchKG wurden die Hintergründe und Abläufe beschrieben, die zur Schaffung eines eigenen Gesetzes über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden und Körperschaften des kantonalen Rechts führten. Auch der Inhalt des beschlossenen Gesetzes wurde grob beschrieben. In diesem Teil geht es um die Anwendung des Gesetzes.

Praxisfall: Leuk / VS

Der bisher einzig bekanntgewordene Fall der Insolvenz von Gemeinden sind die zusammenhängenden Fälle der Munizipal- und der Bürgergemeinde Leuk im Kanton Wallis. Mehrere Prozesse führten Gläubiger, die als Folge der Insolvenz der beiden Gemeinden zu Verlust gekommen waren. Mehrere Verfahren waren letztinstanzlich durch das Bundesgericht zu beurteilen. Von den Klägern geltend gemacht wurde in zwei Prozessen eine Haftung des Kantons Wallis für die durch die beiden Gemeinden verursachten Gläubigerschäden (BGer 2C.5/1999 und BGer 2C.4/1999). Der Sachverhalt wird in beiden Verfahren ausführlich beschrieben und soll hier wörtlich wiedergegeben werden. Die Beschreibung dieser Abläufe durch das Bundesgericht ist auffällig umfangreich, sehr genau und nennt zwei der verantwortlichen Personen mit Namen:

Entstehung der Überschuldung

Im Urteil 2c.4/1999 vom 3. Juli 2003 fasste das Bundesgericht die Abläufe zusammen, die zur Überschuldung führten und sie sichtbar werden liess:

«A. Leukerbad ist ein Kurort im Kanton Wallis, der im Jahre 1998 mit 1'750 Einwohnern rund 1'800 Arbeitsplätze anbot. Als Tourismus- und Kurstation verzeichnete Leukerbad damals über eine Million Logiernächte pro Jahr. Diese Anzahl Logiernächte wurde mit einem Bettenangebot von rund 6'900 in Wohnungen, 1'400 in Hotels und 240 in Kurhäusern und Kliniken erreicht. Die Munizipalgemeinde Leukerbad und die Burgergemeinde Leukerbad sind Körperschaften des öffentlichen Rechts des Kantons Wallis mit verschiedenen Aufgaben und Interessen.
Ende der achtziger und im Verlauf der neunziger Jahre betrieben die Gemeinden Leukerbad, namentlich die Munizipalgemeinde, einen erheblichen Investitionsaufwand. Unter der Führung der Munizipalgemeinde wurden mehrere grössere Projekte im Bereich des Tourismus (Sportzentrum, Rathaus, Parkhaus, Alpentherme, Golf-Hotel Les Sources des Alpes, Parkleitsystem usw.) realisiert. Zu diesem Zweck wurden verschiedene organisatorisch voneinander unabhängige Gesellschaften gegründet, die aber finanziell und personell miteinander verflochten blieben; insbesondere traten der Präsident der Munizipal- und Burgergemeinde, Otto G. Loretan, und der Gemeindeschreiber der Munizipalgemeinde, Hans-Ruedi Grichting, auch bei den fraglichen Gesellschaften regelmässig in leitender Funktion auf. Die beiden Gemeinden mit den lokalen Gesellschaften, an denen sie beteiligt waren und teilweise immer noch sind, werden auch "Gruppe Leukerbad" genannt.
Mit der Zeit verschuldeten sich die "Gruppe Leukerbad" insgesamt und namentlich die Munizipalgemeinde zunehmend. Gründe dafür bildeten unter anderem die Finanzpolitik der beteiligten Gemeinden und Gesellschaften, eine allgemeine Rezession in der Tourismusbranche sowie die Revision des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10), die eine Änderung der Tarife und in der Folge eine deutliche Abnahme der Aufenthalte in den Heilbädern mit sich brachte. Die Entwicklung der Schulden der Munizipalgemeinde Leukerbad verlief wie folgt:

Jahr Schulden in Millionen Fr.
1985 13,6
1986 17,3
1987 25,8
1988 40,2
1989 49,2
1990 50
1991  54,2
1992 60,2
1993 73,7
1994 109,6
1995 137,5
1996 144,6
1997 169,2
1998 170,1

Die Schulden der Burgergemeinde Leukerbad beliefen sich Ende 1998 auf 62,4 Millionen Fr. und diejenigen der Gesellschaften der "Gruppe Leukerbad" insgesamt auf 221,4 Millionen Fr. Insgesamt war die "Gruppe Leukerbad" Ende 1998 mit 454 Millionen Fr. (170,1 + 62,4 + 221,4 Millionen Fr.) verschuldet. Unter Berücksichtigung der gegenseitig innerhalb der Gruppe Leukerbad gewährten Darlehen und Verpflichtungen von insgesamt 104 Millionen Fr. erreichte die Verschuldung der "Gruppe Leukerbad" gegenüber externen Gläubigern 350 Millionen Fr.

B. Das Ausmass der Verschuldungen blieb anscheinend ausserhalb der "Gruppe Leukerbad" während geraumer Zeit unerkannt. Auch die Behörden des Kantons Wallis erhielten bzw. nahmen davon zunächst keine Kenntnis. Soweit bekannt, erscheinen erstmals in einem Bericht des Finanzinspektorats vom 19. Juli 1993 zur Rechnung des Jahres 1991 der Munizipalgemeinde einigermassen deutliche besorgniserregende Feststellungen einer kantonalen Behörde zu Leukerbad. Darin wurde unter anderem festgehalten, der Verschuldungsfaktor der Munizipalgemeinde sei negativ, was bedeute, dass sie - bei Verzicht auf weitere Neuinvestitionen und bei unveränderter Selbstfinanzierungsmarge - über 100 Jahre zur Rückzahlung der Nettoschuld benötige; es sei daher von einer Überschuldung auszugehen; das Finanzinspektorat schloss, die finanzielle Lage der Gemeinde sei alarmierend; für weitere Neuinvestitionen seien Prioritäten zu setzen. Der Bericht ging an den Vorsteher des Finanzdepartementes des Kantons Wallis und an die Gemeindeverwaltung der Munizipalgemeinde Leukerbad. Er zeitigte keine unmittelbaren Folgen. In einem weiteren Bericht vom 22. August 1996 zur Rechnung 1995 der Munizipalgemeinde stellte das Finanzinspektorat fest, die finanzielle Lage der Gemeinde sei sehr angespannt; die Selbstfinanzierungsmarge betrage 0,5 %, und die Rückzahlungsdauer der Nettoschuld sei hoch; überdies habe der Gemeinderat die gesetzlich festgelegte Kompetenzregelung für die Aufnahme und Gewährung von Darlehen nicht eingehalten. Dieser Bericht wurde nebst der Gemeindeverwaltung der Munizipalgemeinde Leukerbad und dem Vorsteher des Finanzdepartements auch dem Departement des Innern zugestellt. Erneut zog er jedoch keine unmittelbaren Folgen nach sich. Sodann hat das Finanzinspektorat in seinem Jahresbericht für das Jahr 1996 vom März 1997 an das Parlament und den Staatsrat festgehalten, dass in der Gemeinde Leukerbad die gesetzlichen Anforderungen an die Darlehensgewährung und -aufnahme nicht eingehalten würden (Bulletin des séances du Grand Conseil du Canton du Valais, Session ordinaire de mai 1997, volume 2, S. 410 und 433).

C. Ab 1993 suchte die Munizipalgemeinde Leukerbad neue Kreditformen, unter anderem unter Beizug von Brokern. Im Sommer 1997 wiesen die aargauischen Einwohnergemeinden Rheinfelden und Oftringen Finanzierungsüberschüsse aus. Im Juni 1997 trat die Broker-Firma Term Finanz AG mit der Munizipalgemeinde Leukerbad in Kontakt und unterbreitete ihr gegen eine Vermittlungskommission von Fr. 1'000.-- eine Offerte, bei welcher die Einwohnergemeinde Oftringen als Darlehensgeberin vorgesehen war. Am 20. Juni 1997 gewährte die Einwohnergemeinde Oftringen der Munizipalgemeinde Leukerbad ein Darlehen im Betrag von zwei Millionen Fr. bei einer Laufzeit von zwei Jahren zum angebotenen Zinssatz von 2.375 %. Ebenfalls im Juni 1997 unterbreitete eine andere Broker-Gesellschaft, die Firma Viremas, der Munizipalgemeinde Leukerbad gegen eine Vermittlungskommission von Fr. 2'500.-- ein Angebot mit der Einwohnergemeinde Rheinfelden als Darlehensgeberin. Am 3. Juli 1997 gewährte die Einwohnergemeinde Rheinfelden der Munizipalgemeinde Leukerbad ein Darlehen im Betrag von zwei Millionen Fr. bei einer Laufzeit von zwei Jahren zum angebotenen Zinssatz von 2.625 %. Die Munizipalgemeinde Leukerbad war dabei vertreten durch den Gemeindepräsidenten Otto G. Loretan und den Gemeindeschreiber Hans-Ruedi Grichting. Die gewährten Darlehenszinse bewegten sich über den damals angebotenen üblichen Zinsen. Für die Darlehen wurden im Übrigen keine Genehmigungen eingeholt, weder bei der Urversammlung der Munizipalgemeinde Leukerbad noch bei den beiden Kantonen Wallis und Aargau.

D. Die Einwohnergemeinden Rheinfelden und Oftringen erfuhren angeblich erstmals durch ein entsprechendes Orientierungsschreiben der Firma ATAG Ernst & Young vom 19. Dezember 1997 von der angespannten Finanzlage der Munizipalgemeinde Leukerbad. Am 15. Mai 1998 sandte eine andere Gläubigerin der Munizipalgemeinde, die Emissionszentrale der Schweizer Gemeinden (ESG), dem damaligen Vorsteher des Finanzdepartements des Kantons Wallis, Staatsrat Wilhelm Schnyder, ein Schreiben, in dem sie diesen auf die anscheinend missliche Finanzlage der Gemeinde Leukerbad aufmerksam machte und sinngemäss um ein Eingreifen des Kantons ersuchte. Am 16. September 1998 verfügte der Staatsrat des Kantons Wallis erste Massnahmen, mit welchen er die Handlungsfreiheit der Munizipal- und der Burgergemeinde Leukerbad beschränkte; diese hatten insbesondere ihre (neu) eingegangenen Verpflichtungen, sämtliche Neuinvestitionen und Darlehensaufnahmen, jegliche Abtretung von Vermögenswerten und die Rückzahlung von Krediten durch einen Verantwortlichen des Finanzinspektorats gegenzeichnen zu lassen und wurden verpflichtet, regelmässig das Finanzinspektorat vollständig und ausführlich über die Entwicklung der finanziellen Lage zu informieren. Kurze Zeit danach ordnete der Staatsrat die teilweise Zwangsverwaltung der beiden Gemeinden Leukerbad an. Die von ihm eingesetzten Kommissäre Andreas Coradi, Pier-Felice Barchi und Hans-Caspar Nabholz nahmen ihre Tätigkeit am 20. November 1998 auf. Nachdem die Gläubiger der Munizipalgemeinde Leukerbad einen von den Kommissären ausgearbeiteten Sanierungsplan (vom 18. März 1999) abgelehnt hatten, ersuchte der Staatsrat des Kantons Wallis das Kantonsgericht Wallis als obere kantonale Betreibungsaufsichtsbehörde um Anordnung einer Beiratschaft gemäss Art. 28 ff. des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1947 über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden und andere Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts (SchGG; SR 282.11). Mit Entscheid vom 20. Juli 1999 stellte die angerufene Aufsichtsbehörde die Munizipalgemeinde Leukerbad für die Dauer von drei Jahren unter Beiratschaft, ernannte Andreas Coradi zum Beirat und umschrieb seine Aufgaben und Kompetenzen (vgl. BGE 127 III 55). Mit Entscheid derselben Behörde vom 19. Dezember 2001 wurde Andreas Coradi durch Walter Lengacher als Beirat der Munizipalgemeinde abgelöst.

Mit der Lage der Gemeinden Leukerbad befasste sich schliesslich auch mehrfach der Grosse Rat des Kantons Wallis. Insbesondere erstellte dessen Geschäftsprüfungskommission im Februar 1999 einen Sonderbericht. Bereits am 12. November 1998 hatte der Grosse Rat eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt, die im April 2000 umfassend Bericht erstattete.

E. Unter der Leitung des Beirates hat die Munizipalgemeinde Leukerbad die Steuern auf das kantonal zulässige Höchstmass festgesetzt und ihre Ausgaben verringert. Die Beteiligungen der Munizipalgemeinde an verschiedenen Infrastrukturen bzw. deren juristischen Trägern (Alpentherme, Rathaus, Parkhaus bzw. deren Trägergesellschaften usw.) wurden liquidiert, wobei der Gemeinde verschiedentlich lediglich Verlustscheine (so bei der Parkhaus Leukerbad AG, bei der St. Laurent Alpentherme 51° AG und bei der Hotel- und Bädergesellschaft AG) verblieben. Gleichzeitig nahm die Einwohnerzahl um rund 20 % auf ungefähr 1'400 ab. Auch die Anzahl von Übernachtungen Auswärtiger nahm zunächst im Jahr 1999 ab, scheint sich aber seither wieder stabilisiert zu haben. Seit Anordnung der Beiratschaft hat sich die Munizipalgemeinde Leukerbad nicht weiter verschuldet. Die Schulden gegenüber den Finanzgläubigern nahmen jedoch (ausgehend von 170 Millionen Fr. Ende 1998) namentlich wegen des Zinsenlaufes weiter zu und erreichten im Jahr 2002 unter Einschluss der bestrittenen Forderungen rund 220-230 Millionen Fr.

F. Am 2. September 1998 bezahlte die Munizipalgemeinde Leukerbad der Einwohnergemeinde Rheinfelden lediglich die Hälfte des seit dem 30. Juni 1998 fälligen Jahreszinses in der Höhe von Fr. 52'500.--, nämlich Fr. 26'250.--. Auf den ersten Jahreszins des Darlehens der Einwohnergemeinde Oftringen bezahlte die Munizipalgemeinde Leukerbad einen Teilbetrag von Fr. 25'069.--, blieb somit einen Restbetrag von Fr. 22'431.-- schuldig. In der Folge beharrten die beiden Gläubigergemeinden auf der vollumfänglichen Schuldenbegleichung; es gingen jedoch keine weiteren Zahlungen ein.
Am 8. bzw. 16. Februar 1999 betrieben die Einwohnergemeinden Rheinfelden und Oftringen die - in der Zwischenzeit unter Beiratschaft gestellte - Munizipalgemeinde Leukerbad für den jeweiligen Rest des ersten Jahreszinses. Nachdem diese dagegen Rechtsvorschlag erhoben hatte, verlangten die Gläubigergemeinden beim zuständigen Bezirksgericht der Bezirke Leuk und Westlich-Raron die provisorische Rechtsöffnung. Dieses verweigerte jedoch am 25. März 1999 die Rechtsöffnung im Wesentlichen mit der Begründung, dass wegen fehlender Zustimmung der Urversammlung der Munizipalgemeinde Leukerbad zu den Darlehen keine gültigen Darlehensverträge zustande gekommen seien und somit auch keine Rechtsöffnungstitel vorliegen würden. Am 27. Mai, 8. Juli sowie 30. August 1999 machte die Einwohnergemeinde Rheinfelden gegenüber der Munizipalgemeinde Leukerbad die auf den 30. Juni 1999 fällige Rückzahlung des gewährten Darlehens geltend und leitete dafür am 21. Juli 1999 die Betreibung ein. Am 8. Juli 1999 erstattete auch die Einwohnergemeinde Oftringen der Munizipalgemeinde Leukerbad eine Verfallanzeige des von ihr gewährten Darlehens.

G. Mit zwei separaten Schreiben vom 16. Dezember 1998 wandten sich die Einwohnergemeinden Rheinfelden und Oftringen an den Kanton Wallis und machten erstmals einen Schadenersatzanspruch aus dem Verlust der beiden der Munizipalgemeinde Leukerbad gewährten Darlehen gegenüber dem Kanton Wallis geltend. Gleichentags leiteten die beiden Einwohnergemeinden je eine Betreibung gegen den Kanton Wallis auf Leistung eines Betrags von zwei Millionen Fr. nebst Zins zu 5 % seit dem 1. Juli 1997 bzw. 24. Juni 1997 ein. Der Kanton Wallis erhob gegen beide Zahlungsbefehle Rechtsvorschlag.

H. Am 1. September 1999 reichten die Einwohnergemeinden Rheinfelden und Oftringen gemeinsam Verantwortlichkeitsklage gegen den Kanton Wallis beim Bundesgericht ein mit den folgenden Rechtsbegehren:
(…)

Fazit

Die Zitate zeigen, wie ein schlecht kontrolliertes Gemeinwesen Schulden aufbauen kann, die es nicht mehr zurückzuführen imstande ist. Die Beschreibung der Abläufe gibt aber auch einen Einblick in die Anwendung des Gesetzes. Dieses Gesetz gehört zum SchKG: Es gilt nämlich Art. 1 SchGG, wonach auch in der Schuldbetreibung gegen Gemeinden und Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts das SchKG anwendbar ist, soweit das SchGG nicht «Einschränkungen» festlegt.

Autor/in
Thomas Gattlen

Dr. iur. RA Thomas Gattlen

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