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Die Gesetzgebung über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden darf nicht ausser Acht gelassen werden (Symbolbild)

Die in verschiedene Teile aufgeteilte Darstellung zu den historischen Hintergründen des SchKG ist unvollständig, wenn man die spezielle Gesetzgebung über die «Schuldbetreibung gegen Gemeinden und andere Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts» ausser Acht lässt. Das ist das Thema dieses Beitrags.

Ausgangslage und Anlass der Gesetzgebung

Bereits in seiner Botschaft zur Schaffung eines einheitlichen Schuldbetreibungs- und Konkursrechts vom 8. Mai 1886 stellt der Bundesrat die Schaffung eines speziellen Insolvenzrechts für Gemeinden in Aussicht. Das geplante Vorgehen beschrieb er wie folgt: «Wir halten es indeß für zweckmäßiger, die Schuldbetreibung und den Konkurs gegen Gemeinden zum Gegenstand eines b e s o n d e r n Gesetzes zu machen.» (BBl 1986 II 1, Seite 31). Deshalb enthielt das am 11. April 1889 beschlossene SchKG nur einen kurzen Artikel 30 mit folgendem Wortlaut:

30.
Das gegenwärtige Gesetz findet nicht Anwendung auf:

  1. die Zwangsliquidation der Eisenbahnen;
  2. die Zwangsliquidation der Emissionsbanken;
  3. die Zwangsvollstreckung gegen Kantone, Bezirke und Gemeinden,

soweit hierüber besondere eidgenössische oder kantonale
Vorschriften bestehen.


(BBl 1889 II 445). Das SchKG kam demnach in der Zwangsvollstreckung gegen Kantone, Bezirke und Gemeinden nur zur Anwendung, wenn der Kanton keine besondere Gesetzgebung erlassen hatte und nur bis eine bundesrechtliche Regelung der Materie folgen würde.
Der Problematik von zahlungsunfähigen Gemeinden war man sich schon bei den Beratungen zum SchKG bewusst gewesen. Die Einwohnergemeinden Baden, Lenzburg, Zofingen und die politische Gemeinde Winterthur waren bereits in den 1880er-Jahren aufgrund einer Garantieverpflichtung zugunsten der Nationalbahn in eine Notlage geraten und standen kurz vor dem Konkurs. Die Botschaft erwähnte das Stichwort «Nationalbahn-Misere» (BBl 1939 II 1, Seite 3). Diese vier Gemeinden hatten sich mit den von Ihnen erteilten Garantien Schulden aufgeladen, die sie aus eigener Kraft nicht mehr abtragen konnten. Die Situation war im «Bericht der für Untersuchung der Finanzlage der Garantiestädte für das Nationalbahn-Anleihen von 9 Millionen ernannten Experten-Kommission an den hohen Bundesrath» vom 15. Oktober 1883 untersucht worden (BBl 1883 IV 241, Seite 314 f.). Das SchKG war damals noch nicht fertig ausgearbeitet worden.
Trotz dieser Erfahrungen sah man in den Jahren bis zum ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit keine Notwendigkeit zum Erlass des bereits angekündigten Spezialgesetzes: «Erst in den letzten Jahren [vor der Ausarbeitung der Botschaft von 1939] begann man sich wieder um eine eidgenössische Regelung zu interessieren, als neuerdings eine Reihe von Gemeinden notleidend wurden und das Übel weiter um sich zu greifen drohte.» BBl 1939 II 1, Seite 4).

Erste Vorlage

Am 12. Juni 1939 legte der Bundesrat den Räten mit seiner «Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Zwangsvollstreckung und die Gläubigergemeinschaft bei Gemeinden und andern Schuldnern des kantonalen öffentlichen Rechts» (BBl 1939 II 1) den Entwurf eines Gesetzes vor. Die Regelung von Art. 30 SchKG hatte sich nämlich in wirtschaftlichen Krisen nicht bewährt. Bereits auf der ersten Seite seiner Vorlage ans Parlament begründete der Bundesrat die Notwendigkeit eines Gesetzes mit den Mängeln der bestehenden Regelung: «Dieser Entwurf will zwei Aufgaben erfüllen. Einesteils soll an die Stelle der in Art. 30 SchKG enthaltenen Regelung der Zwangsvollstreckung gegen Selbstverwaltungskörper des kantonalen öffentlichen Rechts, die sich als ungenügend erwiesen hat und im Notrecht durch die Bestimmung des Art. 11 des Bundesratsbeschlusses über den Schutz der Rechte der Anleihensgläubiger von Körperschaften des öffentlichen Rechts vom 24. November 1936 ergänzt werden musste, eine einlässliche bundesgesetzliche Ordnung treten …» (BBl 1939 II 1, Seite 1). Im Vordergrund der Überlegungen standen definitive gesetzliche Regelungen über Anleihen von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, weil diese von herausragender Bedeutung waren und bereits 1936 notrechtlich angepasst werden mussten.
Das vom Bundesrat vorgeschlagene Gesetz sollte eine als ungenügend erachtete Ordnung im SchKG ersetzen aber nicht nur auf Anleihen anwendbar sein. Anlass waren finanzielle Probleme von Gemeinden in den Krisenjahren der dreissiger Jahre, wie der Bundesrats zugab: «Die Veranlassung zur Ausarbeitung eines Entwurfes zu einem Spezialgesetz gab die Tatsache, dass einige Gemeinden infolge der andauernden Krise notleidend geworden waren, die Zinsen und die Amortisationsquoten für die von ihnen ausgegebenen Obligationenanleihen nicht mehr aufzubringen vermochten und ihre Verpflichtungen zu einem erheblichen Teil abzuschütteln versuchten, was nach den damaligen bundesgesetzlichen Vorschriften nicht hätte verhindert werden können.». Es hatte sich nämlich gezeigt, dass einzelne Kantone die ihnen mit Art. 30 SchKG eingeräumten Kompetenzen dazu nutzten, ihre Gemeinden vor rechtlichen Schritten der Gläubiger zu schützen. Die Botschaft beschrieb die Rechtslage und ihre Mängel sehr ausführlich: «Als dann einzelne Kantone von dieser ihnen vom Bund eingeräumten Kompetenz Gebrauch zu machen und viel weitergehende Eingriffe in die Gläubigerrechte zuzulassen begannen, sah sich der Bundesrat im Interesse des Landeskredites und der Einheitlichkeit des Rechts genötigt, im erwähnten Bundesratsbeschluss vom 24. November 1936 eine eidgenössische Verordnung aufzustellen, welche abweichende kantonale Vorschriften ausschliesst.» (BBl 1939 II 1, Seite 2, erster Absatz). In einer Fussnote der Botschaft erwähnt wurde namentlich die von Kanton Neuenburg zugunsten seiner Gemeinden durch das Gesetz vom 31. März 1936 getroffene Regelung zu Lasten der Gläubiger eines Gemeinwesens, die «… ohne jeglichen Gläubigerbeschluss durch blosse Verfügung des Gerichts folgende Eingriffe zu [-liess]: Abänderung des Amortisationsplanes, Aufschiebung der Amortisationen für höchstens zehn Jahre, Hinausschiebung der Fälligkeit eines Anleihens und Herabsetzung des Zinses, letzteres für höchstens zehn Jahre, eventuell mehrere dieser Eingriffe gleichzeitig.» (BBl 1939 II 1, Seite 2, Note 1). Mit diesen Möglichkeiten konnte der Kanton Neuenburg die Gläubigerrechte zugunsten seiner Gemeinden fast vollständig unterlaufen.
Die Neigung der Kantone, ihre Gemeinden gegen die Gläubiger zu schützen, war also der wesentliche Beweggrund für den Vorschlag zum Ersatz von Art. 30 SchKG durch ein neues Gesetz.

Widerstand gegen das Projekt und zweite Vorlage

Die Gesetzesvorlage stiess auf erheblichen Widerstand im Parlament. Der vom Bundesrat den Räten zugeleitete Entwurf vom 12. Juni 1939 wurde vom Ständerat mit Beschluss vom 4. Dezember 1941 mit einem Nichteintretensentscheid beantwortet, wobei 22 Ständeräte die Vorlage ablehnten und sie deshalb gar nicht behandeln wollten, während nur 15 bereit waren, den Vorschlag zu beraten. Der Nationalrat hingegen beschloss im März 1942 mit 98 gegen 15 Stimmen auf die Vorlage einzutreten. Das bewog den Bundesrat mit Datum vom 27. Dezember 1944 den eidgenössischen Räten die «Nachtragsbotschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Zwangsvollstreckung und die Gläubigergemeinschaft bei Gemeinden und andern Schuldnern des kantonalen öffentlichen Rechts» zuzuleiten, in der er auf die Beschlüsse der Vorlage von 1939 Bezug nahm. Die Nachtragsbotschaft befasste sich ausführlich mit dem Haupteinwand, die Regelung der Materie sei den Kantonen zu überlassen (BBl 1945 I 1, Seiten 1, 2 und 4).

Das Gesetz wurde von den eidgenössischen Räten am 4. Dezember 1947 beschlossen. Es umfasst 46 Artikel, die seither vor allem in Verfahrensfragen angepasst, aber nicht mehr materiell geändert wurden.

Wesentlicher Inhalt des beschlossenen Gesetzes

In Lehre und Rechtsprechung hat sich für das Gesetz die Abkürzung «SchGG» eingebürgert (vgl. BGE 127 II 55 E. 1b Seite 58). Diese Abkürzung findet sich allerdings nicht in den offiziellen Gesetzessammlungen und hilft deshalb bei der Suche in der systematischen Sammlung nicht weiter.
Art. 1 des am 4. Dezember 1947 beschlossenen Gesetzes (BBl 1948 I 242) legte fest, es sei für die Schuldbetreibung gegen Gemeinden und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts anwendbar. Dass es nicht auf die Kantone und den Bund anwendbar sein sollte, war schon im Entwurf von 1939 vorausgesetzt worden. Neu war die Einschränkung auf «Körperschaften», d.h. Personenverbindungen. Anstalten des öffentlichen Rechts wie z.B. Stiftungen, Versicherungsanstalten oder Banken und Sparkassen von Körperschaften sollten den Regeln des SchKG unterstehen (BBl 1945 I 1, Seite 6/7).
Art. 1 SchGG sieht auch verfahrensrechtliche «Einschränkungen» gegenüber dem SchKG vor: Nach Art. 2 SchGG kann nämlich eine Schuldbetreibung nur auf Pfändung oder Pfandverwertung gerichtet sein; die Betreibung auf Konkurs, die Wechselbetreibung und der Arrest waren ausgeschlossen. Darüber hinaus wurden auch allen Bestimmungen des SchKG die Anwendung versagt, «die sich der Natur der Sache nach zur Anwendung auf solche Körperschaften nicht eignen». Nicht anwendbar sind auch die Regeln des SchKG über den Nachlassvertrag (Art. 2 Absatz 2 SchGG), denn es sollte den Kantonen überlassen bleiben diese Materie zu ordnen (Art. 3 SchGG). Immerhin wurde aufgrund der vorangegangenen Erfahrungen die Gläubigerrechte durch Art. 13 SchGG geschützt (vgl. BBl 1948 I 242).
Die Ausstellung von Verlustscheinen ist ausgeschlossen. Stattdessen ist den von einem Verlust betroffenen Gläubigern ein Ausfallschein auszustellen, der die Wirkungen eines Verlustscheines hat, aber nicht als Arrestgrund dienen kann, denn die Möglichkeit des Arrestes ist ausgeschlossen.
Anfechtungsklagen nach den Artikeln 285 ff. SchKG sollten nicht nur den mit einem Ausfallschein abgefundenen Gläubigern erlaubt sein, sondern auch der Kantonsregierung und der Beiratschaft.

Beiratschaften zur Verwaltung von Gemeinden und Körperschaften

Schon im ursprünglichen Entwurf von 1939 vorgesehen war eine Zwangsverwaltung für Gemeinden und Körperschaften, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachzukommen imstande waren. Diese Zwangsverwaltung stiess auf politischen Widerstand. Deshalb wurde durch den Entwurf von 1945 das Institut der «Beiratschaft» vorgeschlagen. Der Bundesrat führte dazu aus: «Nachdem in den bisherigen Beratungen an der Bezeichnung «Zwangsverwaltung» Anstoss genommen wurde, weil sie zu sehr den Zwangscharakter betone, verwendet der neue Entwurf die Bezeichnung «Beiratschaft», die allerdings weniger treffend ist. (…) Grundsätzliche Einwendungen sind gegen dieses Institut nicht erhoben worden.» (BBl 1945 I 1, Seite 10).
In der schliesslich beschlossenen Fassung wurde die Beiratschaft in einem Abschnitt C. geregelt. Sie war nach Art. 28 SchGG zwingend anstelle einer administrativen Zwangsverwaltung des Kantons anzuordnen, wenn diese fehlen würde oder ungenügend war. Sie sollte nach dem Vorschlag des Bundesrates anstelle des im SchKG vorgesehenen Nachlassvertragsrechts treten und zwangsweise die Verwaltung der betroffenen Körperschaft für zunächst drei Jahre wahrnehmen. Das Mandant sollte dann um jeweils zwei weitere Jahre verlängert werden können (BBl 1945 I 1, Seite 11). Diesem Vorschlag folgten die Räte nicht; die Beiratschaft ist nach Art. 30 SchGG von der Aufsichtsbehörde für drei Jahre anzuordnen, kann aber nur um maximal drei weitere Jahre verlängert werden (BBl 1948 I 242). Aufgabe der Beiratschaft ist es, das Vermögen des betroffenen Gemeinwesens zu ordnen, einen Finanzplan zu erstellen, Steuerausstände einzuholen und allenfalls Steuern und Abgaben zu erhöhen. Sie kann das Finanzvermögen des betroffenen Gemeinwesens verwerten. Bei der Erhöhung von Steuern und Abgaben ist die Beiratschaft nicht an die kommunale Gesetzgebung gebunden, ja sie kann sogar Steuern und Abgaben einführen, die das betroffene Gemeinwesen nicht eingeführt hat, obwohl es das Recht dazu hätte (vgl. Art. 34 SchGG, BBl 1948 I 242).
Im öffentlichen Recht wird das Vermögen des Gemeinwesens in das Finanzvermögen und das Verwaltungsvermögen aufgeteilt. Im Anwendungsbereich des SchGG gilt als Verwaltungsvermögen jenes Vermögen, das «umittelbar» der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient. Es darf nicht zugunsten der Gläubiger verwertet werden, solange es öffentlichen Zwecken dient (Art. 9 SchGG, BBl 1948 I 242). Auch die einem Gemeinwesen gehörenden Anstalten und Werke, die öffentlichen Zwecke dienen, auch Waldungen, Weiden und Alpen zählen zum Verwaltungsvermögen; sie sind aber mit Zustimmung der Kantonsregierung pfändbar und damit verwertbar (Art. 8 SchGG, BBl 1948 I 242). Das gesamte übrige Vermögen eines Gemeinwesens zählt zum Finanzvermögen und ist deshalb pfändbar und verwertbar (vgl. Art. 7 SchGG, BBl 1948 I 242).
Eine spezielle Behandlung erfahren zweckgebundene Vermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit: Zugunsten Dritter zweckgebundene Vermögen dürfen nur zugunsten von Verpflichtungen, die sich aus der Zweckbestimmung dieses Vermögens ergeben, gepfändet und verwertet werden (Art. 12 SchGG, BBl 1948 I 242). Zu denken ist etwa an kommunale Pensionskassen, die keine eigene Rechtspersönlichkeit haben; in der Stadt Zürich z.B. bis 2003.
Nur mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Körperschaften fallen unter das SchGG. Je nach kantonaler Gesetzgebung gehören in diese Kategorie alle Arten von Gemeinden, Bezirke mit eigener Rechtspersönlichkeit sowie kommunale Zweckverbände, soweit sie als Personenverband organisiert sind. Sie müssen überdies dem öffentlichen Recht unterstellt sein. Alle übrigen Anstalten, Stiftungen, kommunale oder kantonale Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit stehen folglich unter den Regeln des SchKG.
Die Schuldbetreibung gegen die dem Gesetz unterstehenden Körperschaften hat zum Ziel, dem von finanziellen Problemen getroffenen Gemeinwesen zu ermöglichen, die nötigen öffentlichen Dienstleistungen weiterhin erbringen zu können, aber die für deren Erfüllung nicht unbedingt nötigen Vermögenswerte im Interesse der Gläubiger zu verwerten und zu verteilen. Das Gesetz versucht dabei den kantonalen Behörden in jeder Phase des Verfahrens die Möglichkeit zu geben, tätig zu werden und das von der Zwangsverwertung betroffene Gemeinwesen mit anderen Massnahmen vor der Verwertung ihres Vermögens zu bewahren (vgl. Art. 3, 5, 6, 8, 28, 31, 32, 33 SchGG, BBl 1948 I 242).

Im nächsten Blogbeitrag der Serie geht es um die Anwendung des Gesetzes.

Autor/in
Thomas Gattlen

Dr. iur. RA Thomas Gattlen

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