«Wirksam gestalten statt verwalten» Interview mit José Gomez, Gesamtrektor der Kalaidos Fachhochschule
Könntest du uns über deinen beruflichen Werdegang und deine bisherigen Erfahrungen im Bildungsbereich erzählen?
«Mein beruflicher Werdegang ist eng mit den St.Galler Bildungsinstitutionen verknüpft. Ich habe an der Universität St.Gallen (HSG) studiert und promoviert und war dort am Institut für Wirtschaftspädagogik und als Dozent tätig. Nach acht Jahren an der HSG wechselte ich an die Fachhochschule St. Gallen (FHSG) – heute bekannt als OST – wo ich das Zentrum für Hochschulbildung aufgebaut und geleitet habe. Zudem war ich Mitglied der Departementsleitung Wirtschaft und der Geschäftsleitung der Weiterbildung. Meine Lehrtätigkeit habe ich während meiner 15 Jahre an der FHSG fortgeführt.
Anschliessend führte mich mein beruflicher Weg an die Pädagogische Hochschule St. Gallen, wo ich als Prorektor für «Weiterbildung und Dienstleistungen» sowie als Mitglied der Hochschulleitung tätig war. In dieser Zeit übernahm ich den Vorsitz des Projektausschusses Volksschule/Mittelschulen und war Mitglied des Projektausschusses Berufsbildung im Rahmen der IT-Bildungsoffensive des Kantons St.Gallen.
Nach viereinhalb Jahren an der PH St.Gallen kehrte ich an die HSG zurück, genauer an das Prorektorat Studium & Lehre als «Akademischer Leiter Lehrentwicklung». Zu meinen Aufgaben gehörten unter anderem die wissenschaftlich fundierte Entwicklung und Umsetzung einer zukunftsorientierten Digitalisierungsstrategie für die Lehre an der HSG sowie die Erarbeitung eines didaktischen Konzepts für das SQUARE, das neue Learning Center der HSG. Insgesamt war ich über rund 25 Jahre hinweg an allen drei St.Galler Hochschulen tätig.»
Dein Weg führte dich dann weg von den St. Galler Bildungsinstitutionen nach Zürich an die Kalaidos Fachhochschule. Was hat dich dazu motiviert, die Position des Gesamtrektors anzutreten?
«Dafür gab es mehrere Gründe. Einerseits reizte mich die Aufgabe, die Gesamtverantwortung für eine Hochschule zu übernehmen. Zwar war ich zuvor bereits in Hochschulleitungsfunktionen tätig, jedoch stets mit einer Teilverantwortung. Ein weiterer Beweggrund war das Profil der Kalaidos FH. Im Gegensatz zu öffentlichen Hochschulen, die auf Führungsebene oft stark verwaltet und politisiert sind, können wir an der privaten Kalaidos FH schneller agieren, unternehmerischer handeln sowie mehr gestalten und bewegen. Zudem ist die Kalaidos FH hervorragend positioniert: als Hochschule für Berufstätige mit einer ausgeprägten Kunden- und Praxisorientierung.
Ein weiterer zentraler Pfeiler der Kalaidos FH ist die Weiterbildung, ein Bereich, der an Hochschulen zunehmend an Bedeutung gewinnt – Stichwort «Lifelong Learning». In diesem Bereich sind wir bereits heute eine der grössten und wichtigsten Anbieterinnen unter den Schweizer Fachhochschulen. Nicht zuletzt ist das Profil unserer Studierenden besonders interessant. Sie sind berufstätig und im Durchschnitt älter und erfahrener als die Studierenden anderer Hochschulen. Betrachtet man all diese Faktoren zusammen, ist die Kalaidos FH in der Schweiz einzigartig. Dieses Gesamtpaket hat mich dazu motiviert, die Position als Gesamtrektor anzunehmen.»
Du bist nun seit über einem halben Jahr Rektor unserer Fachhochschule. Was waren die wichtigsten Erfahrungen und Erkenntnisse in dieser Zeit?
«Ich bin an der Kalaidos FH auf viel Positives gestossen. Die Governance-Struktur ermöglicht es tatsächlich, die Hochschule aktiv und wirksam zu führen, anstatt sie nur zu verwalten. Zudem habe ich einen ausgeprägten unternehmerischen Geist, grossen Gestaltungswillen und viele kompetente Mitarbeitende vorgefunden. Menschen, die markt-, kunden- und zielorientiert denken und arbeiten. Inzwischen habe ich auch unser Leistungsangebot besser kennengelernt und darin grosses Potential entdeckt.
Gleichzeitig habe ich aber auch ungenutztes Potential identifiziert. Wir können noch mehr Synergien schaffen, unsere Stärken gezielter bündeln und die verschiedenen Bereiche stärker miteinander vernetzen. Eine übergeordnete Gesamtstrategie wird uns dabei helfen, gemeinsam noch mehr zu erreichen. Da wir uns in einem Umfeld befinden, in dem wir aktiv gestalten können und nicht in einem schwerfälligen System gefangen sind, bin ich überzeugt, dass wir unser volles Potenzial realisieren werden.»
Welche Vision hast du für die Zukunft der Kalaidos Fachhochschule?
«Die Positionierung der KFH – als die Hochschule für Berufstätige – erachte ich als ausgezeichnet und zukunftsweisend. Es ist zentral, dieses Profil weiter zu schärfen, insbesondere im Hinblick auf die zukünftigen Bedürfnisse der Berufstätigen. Was werden die Berufstätigen von morgen benötigen? Welche Anforderungen werden sie stellen? Ich bin überzeugt, dass wir unsere hohe Flexibilität weiter ausbauen, noch passgenauere Angebote entwickeln und die digitale Transformation in der Lehre zum Vorteil unserer Studierenden weiter vorantreiben müssen. Meine Vision beinhaltet beispielsweise, dass Studierende wählen können, in welchem Umfang sie vor Ort oder zeit- und ortsunabhängig studieren möchten. Ergänzend dazu sollten sie angemessene inhaltliche Wahlmöglichkeiten haben, d.h. das Studium sollte stark an den fachlichen Interessen der Studierenden ausgerichtet sein.
Ein weiterer zentraler Aspekt meiner Vision betrifft das «Community Building». Die Studierenden der Kalaidos sollen sich noch besser vernetzen können – insbesondere auch durch physische Begegnungen. Das können z.B. gemeinsame Praxisprojekte, aussercurriculare Events oder Alumni-Veranstaltungen für Studierende sein. Wir müssen Individualisierung, Digitalisierung und Flexibilisierung fördern, ohne dabei den Gemeinschaftsaspekt und die persönlichen Beziehungen aus den Augen zu verlieren. Wichtig ist in jedem Fall, dass unsere Vision auf unser Kerngeschäft ausgerichtet bleibt – darin müssen wir brillieren.»
Und wo siehst du Herausforderungen für die Weiterentwicklung der Kalaidos Fachhochschule?
«Die Kalaidos FH ist zwar in privater Trägerschaft, hat aber einen durch das Hochschulgesetz geregelten Bildungsauftrag. Die Balance in diesem Spannungsfeld zu wahren – also zwischen unserem öffentlich-rechtlichen Auftrag und unserem privaten Unternehmertum – sehe ich als eine zentrale Herausforderung, aber auch als eine Chance. Es geht darum, sicherzustellen, dass wir unseren gesetzlichen Auftrag in hoher Qualität erfüllen und gleichzeitig, trotz zunehmender Regulierung, unser unternehmerisches Potential voll ausschöpfen.»
Was denkst du, wo sich der Aus- und Weiterbildungsmarkt in der Schweiz hin entwickelt?
«Die Heterogenität in vielen Bereichen hat zugenommen, weshalb sich der Bildungsmarkt weg vom Durchschnittsdenken bewegen wird – oder bewegen muss. Wer sich an einem hypothetischen Durchschnittsstudierenden orientiert, den es in der Realität nicht gibt, läuft Gefahr, in die «Durchschnittsfalle» zu geraten und am Ende für niemanden passende Angebote zu schaffen. Es ist daher entscheidend, die vielfältigen und sich ständig wandelnden Bedürfnisse der Studierenden zu kennen und darauf abgestimmte Bildungsangebote zu entwickeln. Neue Technologien zur gezielten Datenanalyse und -nutzung können dabei wertvolle Unterstützung leisten.
Gleichzeitig werden die Beschleunigung und Dynamik weiter zunehmen. Entscheidungsprozesse werden kürzer, Entscheidungen kurzfristiger getroffen – das gilt auch für die Wahl einer Aus- oder Weiterbildung. Bildungsanbieter werden deshalb noch agiler und flexibler werden müssen.
Mit der zunehmenden Bedeutung neuer Lehr-Lern-Technologien und künstlicher Intelligenz wird auch das informelle Lernen – also das Lernen ausserhalb institutionalisierter Hochschulkontexte – weiter zunehmen. Hochschulen werden dadurch jedoch nicht grundlegend in Frage gestellt, denn die fortschreitende Digitalisierung und Konnektivität sowie die Verbreitung künstlicher Intelligenz werfen gleichzeitig Fragen zur Herkunft, Richtigkeit und Vertrauenswürdigkeit von in informellen Kontexten erworbenem Wissen auf. Die Förderung des kritischen Denkens und der Fähigkeit, Informationen zu prüfen, zu bewerten und auszuwählen sowie die Bereitstellung von Kriterien zur Beurteilung der Qualität von Informationen und Wissensinhalten bleiben auch in Zukunft zentrale Aufgaben von Hochschulen in Lehre, Weiterbildung und Forschung.
Zusätzlich stehen Hochschulen vor der Herausforderung, sich noch stärker zu «Orten des lebenslangen Lernens» zu entwickeln, und zwar in dem Sinne, dass aktuelle und nachwachsende Studierendengenerationen die notwendigen Kompetenzen für den Aufbau einer individuellen, berufs- und lebensbegleitenden Bildungsbiographie erwerben.
Auf jeden Fall, da bin ich überzeugt, wird der Faktor «Mensch» auch in der Bildung von morgen eine zentrale Rolle spielen. Die meisten Studierenden suchen in Aus- und Weiterbildungen nach wie vor eine soziale Komponente – den Austausch und die Vernetzung mit Dozierenden und Mitstudierenden.»
Was begeistert dich am meisten an deiner neuen Position?
«Die Handlungs- und Gestaltungsspielräume, strategisch denken und handeln und Wirkung erzielen zu können. Es ist sehr befriedigend zu erleben, wie Fortschritte aus den getroffenen Entscheidungen und Handlungen resultieren und sich Dinge positiv entwickeln.
Aber auch die Menschen an der KFH tragen zu meiner Begeisterung bei. Es herrscht ein guter Spirit, viele Mitarbeitende sind engagiert, möchten etwas bewegen und schätzen die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, ihre Gestaltungsfreiheit zu nutzen und ihr unternehmerisches Denken und Handeln einzubringen. Das finde ich grossartig.»
Gibt es etwas, das du den (ehemaligen) Studierenden, Dozierenden und Mitarbeitenden unserer Fachhochschule mitteilen möchtest?
«Den Studierenden möchte ich sagen, dass sie stolz auf sich sein können. Ein Studium neben Beruf und Familie zu meistern, ist eine herausragende Leistung, die höchste Anerkennung verdient. Unsere Dozierenden sind für uns von unschätzbarem Wert. Sie bringen ihre hohe Fachkompetenz und Praxisexpertise ein und leisten einen enorm wertvollen Beitrag zur Qualität und zum Erfolg unserer Fachhochschule. Und auch unsere Mitarbeitenden spielen eine entscheidende Rolle. Sie repräsentieren uns nach aussen und gegenüber unseren Studierenden und Dozierenden. Ich schätze ihre Bereitschaft sehr, sich für die Kalaidos FH einzusetzen und diese aktiv mitzugestalten.»