Psychologie des Steuerzahlens
Sherin Keller
Haben Sie beim Ausfüllen der Steuererklärung schon mal gemogelt? Nicht schlimm, nur das Geburtstagskonto Ihres Patenkindes oder ein temporäres Nebeneinkommen „vergessen“, den Arbeitsweg um ein paar Kilometer verlängert, ein paar Abzüge zu viel vorgenommen…, was halt so passieren kann. Oder haben Sie es faustdick hinter den Ohren und schon richtig viel Steuern hinterzogen? Und sich danach vielleicht selber angezeigt – aus Angst, dass es auffliegt, oder weil Sie das schlechte Gewissen geplagt hat?
Ob Sie nun zu den Überkorrekten, den ein-bisschen-Schummlern oder den Abgebrühten gehören: Eine Steuermoral hat jeder – einfach in unterschiedlicher Ausprägung. Aber was haben Steuern mit Moral zu tun?
Steuermoral – was ist das genau?
Eine einheitliche Definition für Steuermoral gibt es nicht. Die einen verstehen darunter lediglich das (Zahlungs-)verhalten. Einer Person, die ihr steuerbares Vermögen und Einkommen korrekt ausweist und die Steuern termingerecht bezahlt, wird demnach eine hohe Steuermoral zugeschrieben – auch wenn sie das Steuersystem eigentlich verabscheut und die Steuerschuld nur aus Angst vor einer Steuerprüfung korrekt begleicht.
Weitreichender sind die Definitionen verschiedener Ökonomen und Wirtschaftspsychologen, die Steuermoral als Kombination aus Verhalten und Einstellungen betrachten. Das Verhalten umfasst dabei das Ausfüllen der Steuererklärung und das Zahlen der Steuerschuld; die Einstellungen setzen sich aus Emotionen, Meinungen und Urteilen zusammen, die ein Steuerzahler gegenüber der Gesetzgebung, den Steuerämtern oder dem Steuerzahlen an sich hegt.
Wie Emotionen unsere Steuermoral beeinflussen
Einstellungen bestehen aus drei Komponenten: aus Gefühlen, Gedanken und Verhaltensintentionen. Gefühle (auch in Bezug auf Steuern) zeigen sich beispielsweise in Reaktionen des vegetativen Nervensystems. Vielleicht haben Sie das schon am eigenen Leib erfahren, als Ihr Kreislauf beim Betrachten der Steuerrechnung temporär zusammengebrochen ist. Okay, nicht ganz ernst gemeint. Aber Stimmungen und Emotionen können die Zahlungsmoral der Steuerzahler tatsächlich beeinflussen:
- In einem Experiment von Maciejovsky et al. (2012) wurden die Studienteilnehmer gebeten, über gefühlsintensive Themen wie neugeborene Babys oder unbeliebte Politiker nachzudenken. Später mussten sie entscheiden, ob sie (rein hypothetisch) bereit waren, Steuern zu hinterziehen oder nicht. Teilnehmer, die von ihren Emotionen abgelenkt waren, berücksichtigten rationale Faktoren wie die Wahrscheinlichkeit einer Steuerprüfung oder die Höhe der angedrohten Strafe nicht in ihrer Entscheidungsfindung.
- Murphy und Tyler (2008) führten eine Befragung bei Steuerzahlern durch, die wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt wurden. Fühlten sich diese von den Behörden ungerecht behandelt, reagierten sie mit Wut und Ärger und waren auch der Meinung, dass sich diese Emotionen negativ auf ihre Zahlungsmoral auswirken würden
Nicht nur Steuerzahler lassen sich in ihren Entscheidungen von Gefühlen beeinflussen, sondern auch Steuerexperten. Eine Studie an Wirtschaftsprüfern und Studierenden des Steuerrechts zeigte, dass die Teilnehmer in ihrer hypothetischen Rolle als Steuerberater steuerrelevante Informationen eher im Sinne ihres Klienten interpretierten, wenn sie diesen sympathisch fanden. Zudem schienen sie insbesondere in getrübter Stimmung vermeiden zu wollen, ihre Klienten zu enttäuschen oder gar zu verlieren und zeigten sich dann auch überoptimistisch, wenn es darum ging, den Erfolg ihrer Klienten bei einem möglichen Gerichtsverfahren einzuschätzen (Schultz et al., 2011).
Wie soziale Normen unsere Steuermoral beeinflussen
Wie sparsam gehen Sie an Ihrem Arbeitsplatz mit Ressourcen um? Wie genau nehmen Sie es zuhause mit der Abfalltrennung? Wie oft benutzen Sie im Hotel das gleiche Duschtuch? Sicher hängt Ihr Verhalten von Ihren eigenen persönlichen Normen ab. Von Ihren individuellen Standards und Erwartungen, die Sie an sich selber stellen und die sich aus Ihren Wertvorstellungen entwickeln. Ziemlich sicher hängt Ihr Verhalten aber auch davon ab, wie Sie das Verhalten anderer Personen in diesen Situationen wahrnehmen (man spricht hier von deskriptiven Normen), oder wie Sie denken, müssten Sie sich nach Meinung der anderen verhalten (präskriptive Normen).
Die Steuermoral hängt also nicht nur von Gefühlen, sondern auch von den impliziten Regeln und Standards einer Gruppe ab, den sozialen Normen (Mühlbacher & Zieser, 2018). Im Folgenden nur eine kleine Auswahl an empirischen Studien, die dies belegen:
- Je häufiger Steuerhinterziehung in einer Gesellschaft wahrgenommen wird und als je grösser deren Ausmass empfunden wird, desto eher wird Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt betrachtet, desto weniger werden informelle Sanktionen wie soziale Ächtung befürchtet und desto wahrscheinlicher ist später die Bereitschaft, Steuern zu hinterziehen (Welch et al., 2005).
- Die Steuerehrlichkeit steht in Zusammenhang mit der Anzahl Steuerhinterzieher, die den befragten Steuerzahlern persönlich bekannt sind (Spicer & Lundstedt, 1976).
- Am besten können Steuerzahler in Zahlungsrückstand zur Zahlung motiviert werden, wenn im Mahnschreiben die durchschnittliche Steuerehrlichkeit anderer Steuerzahler erwähnt wird. Informationen zu Konsequenzen von Steuerhinterziehung oder neutrale Schreiben weisen um einiges schwächere Effekte auf (Del Carpio, 2014).
- Die Zahlungsbereitschaft der in Verzug geratenen Steuerzahler kann am wirksamsten erhöht werden, wenn im Mahnbrief erläutert wird, dass der Steuerzahler zu einer sehr kleinen Minderheit von Personen gehört, die noch nicht bezahlt haben. Briefe mit anderen Formulierungen oder Inhalten wie Konsequenzen des Nichtzahlens erreichen ebenfalls positive Effekte, aber in kleinerem Ausmass (Hallsworth et al., 2017).
Die sozialen Normen werden es demnach schon richten, oder?
So einfach ist es nicht. Denn die Wahrnehmung sozialer Normen widerspiegelt lediglich, wie wir persönlich die Ansichten und Verhaltensweisen der anderen einschätzen (und nicht, wie sich diese effektiv verhalten). Stellen Sie sich vor, Sie hätten das Gefühl, alle anderen Steuerzahler würden unehrliches Verhalten eher tolerieren als Sie. Würde Sie das eher zu kleinen Schummeleien verleiten? „Die anderen machen es ja auch“. Diese verzerrte Wahrnehmung würde sich also negativ auf die Steuermoral einer Gruppe auswirken (Wenzel, 2005). Teufelskreis inklusive.
Welche Strategien führen zur Verbesserung der Steuermoral?
Ganz ehrlich: kein Clickbait – aber die Strategien zur Verbesserung der Steuermoral und deren Wirkung verdienen einen separaten Folgebeitrag. Für alle, die nicht so lange warten können: Das kürzlich erschienene Buch „Die Psychologie des Steuerzahlens“ von Stephan Mühlbacher und Maximilan Zieser gibt Antworten.
Weiterführende Informationen und Quellen:
Del Carpio, L. (2014). Are the neighbors cheating? Evidence from a social norm experiment on property taxes in Peru (Working Paper). https://faculty.insead.edu/lucia-del-carpio/documents/Are_the_neighbors_cheating_Apr2014.pdf. Zugegriffen: 19. März 2018.
Hallsworth, M., List, J. A., Metcalfe, R. D. & Vlaev, I. (2017). The behavioralist as tax collector: Using natural field experiments to enhance tax compliance. Journal of Public Economics, 148, 14-31.
Maciejovsky, B., Schwarzenberger, H. & Kirchler, E. (2012). Rationality versus emotions: the case of tax ethics and compliance. Journal of Business Ethics, 109(3), 339-350.
Mühlbacher, S. & Zieser, M. (2018). Die Psychologie des Steuerzahlens. Berlin: Springer.
Murphy, K. & Tyler, T. (2008). Procedural justice and compliance behavior: the mediating role of emotions. European Journal of Social Psychology, 28(4), 652-668.
Spicer, M. W. &Lundstedt, S. B. (1976). Understanding tax evasion. Public Finance, 21(2), 295-305).
Schultz, J. J., Schafer, B. A. & Schafer, J. K. (2011). Mood and likeability: the impact of two affect types on tax judgement. Advances in Accounting, 27(1), 81-89.
Welch, M. R., Xu, Y., Bjarnason, T., Petee, T., O’Donnell, P. & Magro, P. (2005). „But everybody does it …“: The effects of perceptions, moral pressures, and informal sanctions on tax cheating. Sociological Spectrum, 25(1), 21-52.
Wenzel, M. (2005). Misperceptions of social norms about tax compliance: from theory to intervention. Journal of Economic Psychology, 26(4), 491-508.