Nudging in der Jungholz Mensa (gestelltes Beispielbild) Nudging in der Jungholz Mensa (gestelltes Beispielbild)
Nudging im Alltag: Fiktives Beispiel aus der Jungholz Mensa. (Bild: Kalaidos FH)

Und wieder erhält die Verbindung von Wirtschaft und Psychologie einen Nobelpreis: in der Person von Richard Thaler, Verhaltensökonom und Professor an der Chicago University – herzlichen Glückwunsch! Dazu ein paar Informationen.  

Wozu forscht Thaler?

Thalers Forschung kreist um die ebenso einfache wie bedeutsame Erkenntnis, dass Menschen als wirtschaftlich handelnde Subjekte nicht immer rational agieren. Dies widerspricht dem alten ökonomischen Modell des Homo Oeconomicus, nach welchem Menschen in der Wirtschaft stets uneingeschränkt rational handeln, ihren Nutzen maximieren, über vollständige Marktinformationen und über festgelegte Präferenzen verfügen. Thalers Forschung zeigte immer wieder, dass das Modell des Homo Oeconomicus obsolet ist – und dass sich Unregelmässigkeiten im menschlichen Verhalten eben nicht „ausmitteln", wie es von einigen Ökonomen behauptet wird, die nach wie vor an das Modell des Homo Oeconomicus glauben.

Konkret befasste sich Thaler unter anderem mit der Frage, wie unvernünftiges menschliches Verhalten auf positive Art und Weise verändert werden kann, ohne auf Verbote und Regeln zurückgreifen zu müssen. Thaler hat dafür den Begriff des Nudging verwendet: sanftes, fast unmerkliches Stupsen. Dieses Stupsen vermag menschliches Verhalten oftmals wirkungsvoller zu beeinflussen als harte, staatliche Leitplanken.

Die Ergebnisse aus dieser Forschung haben vielfältig Eingang in unser Alltagsleben gefunden. Ein einfaches, aber wirksames Beispiel ist es, wenn in der Kantine der Salat zuvorderst präsentiert wird, die Schoggimousse hingegen etwas nach hinten gerückt wird. Die Wahlfreiheit der Kantinenbesucher bleibt erhalten, aber durch dieses sanfte Stupsen wird mehr Salat gegessen und weniger Schoggimousse.

Womit hat sich Thaler den Nobelpreis verdient?

Thalers Wirkung beschränkt sich nicht auf den Hochschul- und Forschungsbetrieb, sondern findet mannigfaltig Eingang in die Praxis. Diesbezüglich ist als bedeutendster Beitrag sicherlich sein Buch „Nudge" zu erwähnen, mit dem er 2008 seine Forschungsergebnisse und Vorschläge zu deren Umsetzung einem breiten Publikum näherbringen konnte. Das Buch ist nicht nur angenehm und spannend zu lesen, sondern beschränkt sich auch nicht auf wirtschaftliche Anwendungen. Es ist jedem zu empfehlen, der sich für eine Verbesserung unserer Lebensumstände interessiert – für sich selber oder für andere.

Thalers Überlegungen haben Personen wie Barack Obama und auch Regierungen wie die von Grossbritannien oder Deutschland dazu inspiriert, sich bei ihren Regierungsgeschäften auf die Konzepte des Nudging zu stützen. Nicht umsonst ist dieses Buch eines der Standardwerke, das im Wirtschaftspsychologie-Unterricht der Kalaidos Fachhochschule eingesetzt wird.

Wofür wird Thaler kritisiert?

Manche Kritiker monieren, es sei unmoralisch, Menschen ohne ihr Wissen zu beeinflussen – und zwar auch dann, wenn diese Beeinflussung zu ihrem Besten ist und wenn deren Wahlfreiheit erhalten bleibt. Nudging wird von diesen Personen als Angriff auf das liberale Menschenbild verstanden und daher abgelehnt. „Man muss den Menschen erlauben, dass sie sich unvernünftig verhalten" – so in etwa artikulieren die Gralshüter der reinen liberalen Lehre ihren Unmut. Das mag übertrieben scheinen, denn die Wahlfreiheit wird ja nicht beschränkt, sondern nur gelenkt. Durch Nudging inspirierte Regierungen, Firmen oder Ämter haben schon viel Gutes bewirkt, das mit Regeln und Gesetzen nicht möglich gewesen wäre. Dennoch ist die Kritik am sogenannten libertären Paternalismus (so nennt man das Vorgehen einer Regierung, die ihre Bürger stupst) nicht ganz von der Hand zu weisen. Es kann nicht garantiert werden, dass Nudging wirklich immer dem entspricht, was im Interesse der Gesellschaft liegt. Nudging ist, wie jedes Führungsinstrument, ein Werkzeug, das in den richtigen Händen Gutes bewirkt und in den falschen Schlechtes.

Warum schon wieder jemand, der Psychologie und Wirtschaft verbindet?

Vielleicht weil alle 10 bis 20 Jahre wieder psychologische Betrachtungen an der Reihe sind? Spass beiseite: Tatsächlich ist nach Herbert Simon (1978) und Daniel Kahneman (2002) nun wieder jemand mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet worden, der sich um die Verbindung von Wirtschaft und Psychologie bemüht. Das ist nichts als logisch, denn diese Verbindung hat sich in Forschung und Praxis als äusserst fruchtbar erwiesen. Das bedeutet nichts weniger, als dass der Nutzen, der durch eine Integration von psychologischem Wissen in die wirtschaftlichen Curricula und in die wirtschaftliche Anwendung erzielt wird, von offensichtlicher Bedeutung ist. Dem trägt dieser Nobelpreis Rechnung.

Ist das wirklich ein Nobelpreis?

Im Prinzip nein, aber eigentlich schon. Der Stifter des Nobelpreises, Alfred Nobel, stiftete damals explizit keinen Preis für die Wirtschaftswissenschaften. Er hielt diese nicht für exakt genug (und, so munkelt man, empfand gegenüber den Wirtschaftlern eine Antipathie). Doch im Jahre 1968 beschloss die Schwedische Reichsbank einen Preis „im Gedenken an Alfred Nobel" zu stiften, der an Personen vergeben werden soll, die sich um die Wirtschaftswissenschaften verdient gemacht haben. Dieser Preis hat dieselbe Höhe wie die übrigen Nobelpreise und wird um dasselbe Datum herum vergeben, daher kann man tatsächlich von einem "Wirtschaftsnobelpreis" sprechen.

Warum wurde nicht auch Ernst Fehr geehrt?

Auch der in Zürich lehrende Verhaltensökonom Ernst Fehr war als Anwärter für den Wirtschaftsnobelpreis gehandelt worden. Wie Thaler ist auch Fehr ein charismatischer und zugänglicher Forscher, dessen Arbeiten einen grossen akademischen Impact erzielt haben. Entsprechend sind Fehrs Fans nun enttäuscht. Aber die Vergabe des Nobelpreises ist eben (trotz gewisser Parallelen) keine Unterhaltungsshow wie „Deutschland sucht den Superstar": Die Kriterien liegen nicht offen, und die Begründungen für eine Nicht-Berücksichtigung werden nicht veröffentlicht.

Vergleicht man die akademischen Leistungen, so liegen Fehr und Thaler in etwa gleichauf (siehe Abbildung). Was man aber sagen kann: Bei der Vergabe von Nobelpreisen scheinen oftmals Wissenschaftler im Vorteil zu sein, deren Schaffen sich als besonders wirksam zur Verbesserung gesellschaftlich wünschenswerter Ziele erwiesen hat. Und in diesem Punkt liegt eben Richard Thaler spätestens seit seinem Buch „Nudge" in der Zunft der Verhaltensökonomen weit in Führung.

Gegenüberstellung Richard Thaler und Ernst Fehr in Google Scholar

Akademische Leistungen von Ernst Fehr und Richard Thaler (Bild: Screenshots aus Google Scholar)

Ist Thaler ein Wirtschaftspsychologe?

Je nach Sichtweise. Vertreter der Ansicht, Wirtschaftspsychologen und -psychologinnen sollten im Hauptfach Psychologie studiert haben, müssten diese Frage eigentlich mit „Nein“ beantworten. Aber es steht ausser Frage, dass Thaler sich um die Verbindung von Psychologie und Wirtschaft wie nur wenige andere verdient gemacht haben. Daher darf man mit Fug und Recht behaupten, dass Thaler Wirtschaftspsychologe ist.

Wie stehen Sie dazu? Möchten Sie, dass der Staat Sie zu vorteilhaftem, nützlichem, gesundem Verhalten stupst? Oder bevorzugen Sie es, ohne jegliche staatliche Einflüsse Fehler machen zu dürfen, auch wenn diese zu Krankheiten, finanziellen Einbussen im Alter oder zum vorzeitigen Tod führen?

Autor/in
Christian-Fichter

Prof. Dr. Christian Fichter

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