Wundermittel Net Promoter Score?
Dr. Stefan Ryf
„Wie wahrscheinlich würden Sie die Marke / das Produkt / das Unternehmen / die Filiale XY einer Kollegin oder einem Kollegen empfehlen?“
Sicher sind Sie dieser Frage auch schon begegnet, entweder als Kunde und vielleicht auch in Ihrer Ausbildung. Die Antwort soll dann jeweils auf einer Skala von 0 = äusserst unwahrscheinlich bis 10 = äusserst wahrscheinlich abgegeben werden.
In letzter Zeit wird mir diese Frage immer häufiger gestellt, egal ob ich den Link auf der Quittung eines Supermarkteinkaufs im Browser eingebe, direkt auf NZZ Online zu einer kurzen Befragung eingeladen werde oder an einer Befragung eines Marktforschungsinstitutes teilnehme. Was hat es damit auf sich?
Net Promoter Score überall
In einem Artikel mit dem verheissungsvollen Titel „The One Number You Need To Grow“ hat Frederick F. Reichheld (2003) diese Frage populär gemacht, zusammen mit einer speziellen Verarbeitung der damit erhobenen Daten. Der Net Promoter Score (NPS) ist der Wert, den man erhält, wenn man vom prozentualen Anteil der Personen mit den Antworten 9 und 10 (so genannte Promotoren, die die Marke äusserst wahrscheinlich weiterempfehlen) den Anteil von Personen mit einem Wert von 0 bis 6 (so genannte Kritiker oder Detraktoren) abzieht. Basierend auf Analysen verschiedener Datensätze kommt Reichheld zum Schluss, dass dieser Wert das zukünftige Wachstum eines kundenorientierten Unternehmens in den meisten Fällen besser voraussagt als andere Kennwerte wie Kundenzufriedenheit oder weitere Fragen zur Kundenloyalität.
Dieser Befund ist nicht unumstritten und wird in verschiedenen Studien angezweifelt (z.B. Keiningham et al., 2007; Kristensen & Eskildsen, 2014). In diesem Beitrag möchte ich stattdessen auf ebenfalls bestehende konzeptionelle Schwierigkeiten des NPS eingehen (siehe auch Grisaffe, 2007) und mich dabei auf zwei Aspekte konzentrieren, die aus meiner Sicht nicht optimal gelöst sind: Die Frageformulierung und die Datenverarbeitung.
Unklare Frageformulierung und Antwort-Format
Wir bringen unseren Studierenden bei, dass Fragen bei Befragungen möglichst klar und einfach formuliert werden und auch die Antwortkategorien intuitiv verständlich sein sollen. Die Frage: „Wie wahrscheinlich würde ich die Marke XY einer Kollegin empfehlen?“ birgt einen gewissen Interpretationsspielraum. Kann man davon ausgehen, dass mich die Kollegin gefragt hat, ob ich irgendeine Marke empfehlen kann? Oder genau diese Marke? Oder ist die Wahrscheinlichkeit gemeint, dass ich aus eigenem Antrieb diese Marke empfehlen werde? Das mache ich persönlich eigentlich bei fast keiner Marke, also wäre es auch bei einer Marke sehr unwahrscheinlich, mit der ich sehr zufrieden bin.
Die Verwendung einer 11-stufigen Skala im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit finde ich ebenfalls problematisch. Sie gaukelt eine Differenziertheit vor, die kaum gegeben ist. Was genau soll es heissen, wenn ich auf der Skala eine 6 wähle? Dann muss ich die Marke doch eigentlich ganz gut finden, sonst würde ich es ja definitiv nicht weiterempfehlen und müsste 0 angeben. Trotzdem werde ich gemäss NPS dann schon als „Kritiker“ definiert.
Unkonventionelle Datenverarbeitung
Für den Net Promoter Score hat eine Person, die auf der Skala eine 6 wählt, die genau gleiche Bedeutung, wie eine Person, die sich äusserst sicher ist, dass sie keine Weiterempfehlung geben wird und eine Null wählt. Beide werden den so genannten Kritikern oder Detraktoren zugerechnet. Bei der Berechnung des NPS werden so aus statistischer Sicht viele Informationen weggeworfen. Zudem erscheint die Festlegung der Grenzen für die drei Kategorien doch relativ willkürlich und ist kaum empirisch belegt. Überhaupt ist die Erhebung mit einer metrische Skala, um die so erhobenen Daten dann in drei Kategorien aufzuteilen, aus statistischer Sicht fragwürdig. Erhebungstechnisch würde es da mehr Sinn machen, dass sich die befragten Kunden direkt zwischen mehreren Aussagen bezüglich Weiterempfehlung entscheiden könnten. Beispielweise könnte das Statement für die Promotoren lauten: „Ich werde diese Marke jederzeit vorbehaltlos empfehlen.“
Einige Beispiele für Einsatzweisen des Net Promoter Score (Bild).
Empfehlungen zur Verwendung des NPS
Der NPS ist also nicht über alle Zweifel erhaben, und das Wundermittel für erfolgreiche Kundenorientierung, als das er teilweise verkauft wird, ist er auch nicht. Zwar ist es zweifellos plausibel, dass die Weiterempfehlung ein klares Zeichen der Kundenloyalität ist, da man hier im Namen der empfohlenen Firma oder Marke eine gewisse Verantwortung für die Zufriedenheit eines anderen Kunden übernimmt. Und dass Word of Mouth ein wichtiger Faktor beim Erwerb eines Produktes ist, haben zahlreiche Studien belegt.
Neben dieser Plausibilität ist es aber zum einen grossen Teil auf gutes Marketing („The Ultimate Question“) und auf das Versprechen einer einfachen Kennzahl für die Kundenorientierung zurückzuführen, dass sich der NPS auf breiter Front durchgesetzt hat. Der Erfolg zeigt sich unter anderem auch darin, dass in immer mehr Online-Umfragetools die entsprechende Frage inklusive passender Auswertung als Vorlage ausgewählt werden kann. Es scheint aber, dass diese Omnipräsenz und die einfache Umsetzbarkeit dazu führt, dass der NPS auch eingesetzt wird, wenn es nicht unbedingt Sinn macht und andere Ansätze mehr Erkenntnisse bringen würden.
Schlussendlich kommt es aber nicht so sehr darauf an, was für einen Wert man als Leistungskennzahl zur Kundenzufriedenheit oder Kundenloyalität definiert. Die wahre Kunst bei der Kundenanalyse ist das Warum zu hinterfragen und die Treiber für die Kundenloyalität zu entdecken, und da helfen simple Verfahren wie der Net Promoter Score alleine nicht weiter (Bauer, Bössow & Studzinski, 2007). Aber als einfaches und pragmatischen Tool zur strategischen Führung und als Hilfsmittel zur Fokussierung auf die Kunden kann der Einsatz des NPS durchaus Sinn machen.
Was ist Ihre Meinung zum Net Promoter Score?
Sehen Sie neben der Einfachheit, der grossen Verbreitung und der Definition als Standard bei Befragungsplattformen noch andere Vorteile? Oder beurteilen Sie den NPS noch aus anderen Gründen kritisch? Wie wahrscheinlich würden Sie den NPS einer Kollegin oder einem Kollegen weiterempfehlen?
NPS, Net Promoter und Net Promoter Score sind eingetragene Marken von Satmetrix Systems, Inc., Bain & Company und Fred Reichheld.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Bauer, F., Bössow, O., & Studzinski, J. (2007). Über Sinn und Unsinn des Net Promoter Scores (NPS). Planung und Analyse, 4, 69-72.
Grisaffe, D. B. (2007). Questions about the ultimate question: conceptual considerations in evaluating Reichheld's net promoter score (NPS). Journal of Consumer Satisfaction, Dissatisfaction and Complaining Behavior, 20, 36-45.
Keiningham, T. L., Cooil, B., Andreassen, T. W., & Aksoy, L. (2007). A longitudinal examination of net promoter and firm revenue growth. Journal of Marketing, 71(3), 39-51.
Kristensen, K., & Eskildsen, J. (2014). Is the NPS a trustworthy performance measure?. The TQM Journal, 26(2), 202-214.
Reichheld, F. F. (2003). The one number you need to grow. Harvard Business Review, 81(12), 46-55.