Foto und Zitat von Matthias Sutter Foto und Zitat von Matthias Sutter
Im Rahmen unserer Buchempfehlung «Ausdauer schlägt Talent» haben wir bei Matthias Sutter nachgehakt und wollten es noch ein bisschen genauer wissen. (Bild: Kalaidos FH)

Matthias Sutter ist einer der führenden Wirtschaftsforscher im deutschsprachigen Raum. Er hat den Exzellenzlehrstuhl für «Economics: Design and Behavior» an der Universität zu Köln und ist Professor für experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Innsbruck. In seinem Buch «Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent» geht er der Geduld Schritt für Schritt auf den Grund – untermauert von zahlreichen Studien, insbesondere in Form von Experimenten.  

Herr Sutter, ist Geduld angeboren? Oder lässt sie sich beeinflussen?

Aus wissenschaftlicher Sicht ist hier noch etwas Vorsicht geboten. Weltweit beschäftigen sich Forschungsteams mit der Frage, ob Geduld – beispielsweise im Entscheidungsverhalten – auf genetischen Veranlagungen basiert. Es gibt einige Befunde, die in diese Richtung deuten: Geduldige Mütter haben geduldigere Kinder. Dies gilt auch für Väter, allerdings in abgeschwächter Form. Ein Beweis für einen genetischen Zusammenhang ist das jedoch noch lange nicht. Die Geduld der Kinder könnte genauso durch die Vorbildfunktion geduldiger Eltern zustande gekommen sein, die ihren Kindern vorleben, nicht sofort jedem neuen Anreiz nachzugeben, sondern auch mal zuzuwarten und eine Aufgabe ausdauernd zu Ende zu bringen. Belastbare Ergebnisse zur Frage der Geduld und Genetik liegen noch nicht vor.

Eines wissen wir aber sicher: Wenn Kinder in ihrem Umfeld erfahren dürfen, dass es sich auszahlt, nicht immer den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und sie nach Erreichung eines herausfordernden, längerfristigen Ziels die in Aussicht gestellte Belohnung erhalten, hat dies einen grossen Einfluss auf ihre Fähigkeit, auch später langfristig und geduldig zu denken und zu handeln.

Kann Geduld bedeuten, sich dem Druck nach mehr Agilität zu widersetzen?

Aus meiner Sicht schliessen sich Agilität und Geduld nicht aus. Dynamisch zu sein und trotzdem ein langfristiges Ziel zu verfolgen, kann Hand in Hand gehen. Es ist sogar möglich, dass man seine langfristigen Ziele, beispielsweise einen Ausbildungsabschluss, besonders dann erreicht, wenn man dynamisch agiert. Dabei sind Dynamik und Agilität aber nicht mit Aktionismus oder dem Bedürfnis zu verwechseln, nach aussen das Bild eines ständig unter Strom stehenden Menschen abzugeben. Genauso wenig, wie Geduld als ein «Harren der Dinge» oder träges Verhalten verstanden werden darf. Wenn ich über die Vorzüge von Geduld spreche, dann meine ich die Fähigkeit, langfristige Ziele zu verfolgen und Entbehrungen oder Mühen in der Gegenwart auf sich zu nehmen, um in der Zukunft die Früchte ernten zu können. Bis zur Zielerreichung darf man durchaus agil unterwegs sein!

War Ungeduld in unserer evolutionären Vergangenheit ein Vorteil?

Ob Ungeduld in der Summe ein Vorteil war, ist schwierig zu sagen. Dass es verschiedene Rahmenbedingungen gab, unter denen sie auch Vorzüge hatte, ist klar. Wenn ein Neandertaler zwei Duzend Datteln gepflückt und befürchtet hätte, dass am nächsten Tag eine feindliche Truppe einfallen würde, dann hätte er die Datteln wohl schnell mit seiner Familie verzehrt und es wäre vielleicht ein kluger Entscheid gewesen. Hätte der Neandertaler in friedlichen Zeiten gelebt, hätte er wohl besser daran getan, die Datteln für schwerere Zeiten aufzuheben.

Je nach Kontext – auch in der heutigen Zeit – kann eine eher kurzfristig ausgelegte Entscheidung durchaus mehr Sinn machen als eine langfristige. Wenn Sie in einem Bürgerkriegsgebiet leben und nicht wissen, was Sie am nächsten Morgen erwartet, werden Sie Ihre Entscheidungen anders angehen, als wenn Sie an einem sicheren Ort aufgehoben sind.

Was für konkrete Vorteile hat Geduld?

Was mittlerweile alle Studien aus der Psychologie und Ökonomie zeigen, ist folgendes: Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend fähig sind, auf grössere Ziele hinzuarbeiten, Aufgaben mit langfristigem Einsatz fertig zu stellen und einer Versuchung auch mal zu widerstehen, sind im Erwachsenenalter normalerweise besser gebildet, finanziell besser gestellt, eher Nichtraucher, bewegen sich mehr, ernähren sich gesünder, leben tendenziell in stabileren Beziehungen und geraten mit einer deutlich tieferen Wahrscheinlichkeit in Konflikt mit dem Gesetz.

Was man hier betonen muss: Wir reden von statistischen Zusammenhängen. Wenn jemand als Kind ungeduldig war, ist er deswegen nicht per se zum Scheitern verurteilt. Wenn Geduld und Selbstkontrolle in der Kindheit jedoch ausgeprägter waren, schlägt sich dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im späteren Leben positiv nieder. Besonders stabile Zusammenhänge wurden zwischen Geduld und späterem Ausbildungserfolg entdeckt.

Dann sind Ihre Forschungsarbeiten rund um die Geduld auch für das Hochschulwesen relevant?

Ja, für das Hochschulwesen und schlussendlich die Volkswirtschaft ganz allgemein. Nehmen Sie zum Beispiel zwei Studierende, die gleich intelligent sind, der eine aber geduldiger ist als der andere. Der Ungeduldigere wird das Studium mit höherer Wahrscheinlichkeit abbrechen. Geschieht dies kurz vor Abschluss – was gemäss amerikanischen Studien nicht selten passiert – verursacht dies immense irreversible Kosten.

Für Bildungsinstitutionen stellt sich also die Frage, wie die sogenannte Dropout-Quote minimiert werden kann. Mögliche Ideen wären systematisches, regelmässiges Feedback zu Verlauf und Erfolg des Studiums oder der Wechsel von einem «Opt-in» zu einem «Opt-out»-Prüfungsanmeldeverfahren. Die Studierenden müssten sich also nicht aktiv für eine Prüfung anmelden, sondern würden automatisch eingeschrieben und müssen sich aktiv abmelden. Beide Interventionen könnten dazu führen, dass ein Abbruch seltener bzw. – wenn überhaupt – eher in den ersten Semestern und nicht erst gegen Ende des Studiums stattfindet.

Studierende in Lehrveranstaltung

Geduld zahlt sich auch im Studium aus (Symbolbild).

Vom Hochschulwesen zur Wirtschaft: Wie könnten Unternehmen die Geduld ihrer Mitarbeitenden fördern – und was wäre der daraus resultierende Nutzen?

Studien zeigen: Unternehmen mit Führungskräften, die aus ihrer Sicht kurzfristigen Versuchungen zugunsten längerfristiger, grösserer Ziele widerstehen können, sind im Schnitt innovativer und weisen eine höhere Rentabilität auf als Unternehmen mit weniger zukunftsorientierten Führungskräften. Der Nutzen liegt also auf der Hand, auch wenn die Kausalität des Zusammenhangs Fragen offenlässt.

Vergleichbar mit der Vorbildfunktion der Eltern ist es auch im Unternehmen von grosser Bedeutung, was die Führung vorlebt: Wird der Fokus eher auf kurzfristige Quartalszahlen gelegt, dürfte es den Mitarbeitenden schwerfallen, sich an langfristigen Zielen zu orientieren. Vorbildfunktion und Unternehmenskultur können die Fähigkeit und auch Bereitschaft der Mitarbeitenden, einer kurzfristigen Versuchung zu widerstehen, um ein gemeinsames grösseres Ziel in der Zukunft zu erreichen, also durchaus fördern und verstärken. Ein anderes Stichwort – auch hier eine Parallele zum Familienumfeld – ist die Verlässlichkeit. Ein Kind, das eine in Aussicht gestellte Belohnung für eine längerfristige, anstrengende Aufgabe am Schluss doch nicht erhält, wird beim nächsten Mal die sofortige Belohnung fordern. Genauso wird es der Mitarbeitende tun.


Weiterführende Informationen und Quellen:

https://themavorarlberg.at/wirtschaft/mit-geduld-zum-unternehmenserfolg
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