Bewertungsgrundsätze FER / OR: Vorräte (Teil 5)
Graziella Briccola
Nachdem wir die Bewertung von Wertschriften und die Bewertung von Forderungen thematisiert haben, wenden wir uns nun der Bewertung der Vorräte zu, welches gemäss FER 17.1 folgendes umfasst:
- Verkaufsgüter, d.h. Güter, die im ordentlichen Geschäftsverlauf (normalerweise 1 Jahr) zur Veräusserung gelangen inkl. Waren / Fabrikate in Arbeit,
- Verbrauchsgüter, d.h. Güter, die bei der Herstellung von Gütern oder der Erbringung von Dienstleistungen verbraucht werden,
- Dienstleistungen, die erbracht, aber noch nicht fakturiert wurden.
Unter der Voraussetzung, dass ihr Bestand wesentlich ist und sie in der Bilanz oder im Anhang separat ausgewiesen werden, dürfen HILFS- UND BETRIEBSMITTEL, die nur indirekt für die Herstellung von Vorräten eingesetzt werden (z.B. Schmiermittel, Heizöl, Verbrauchsmaterial) ebenfalls als Vorräte ausgewiesen werden (FER 17.8).
Langlebige Güter wie z.B. Ersatzteile in der Flugzeugindustrie, Maschinenindustrie und Autoindustrie etc. können unter Umständen auch im Anlagevermögen ausgewiesen werden (FER 17.9).
Wertermittlung der Vorräte
Bei der Wertermittlung der Vorräte gilt es zu unterscheiden zwischen der Ermittlung der Anschaffungs- und Herstellungskosten und derjenigen des Nettomarktwertes.
Gemäss FER 2.9 und FER 17.3 werden Vorräte zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder – falls diese tiefer sind - zum Nettomarktwert (Niederstwertprinzip oder auch «lower of cost or market») bewertet, d.h. der niedrigere Wert der beiden ist einzusetzen (FER 17.12).
Ermittlung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten
Bei dieser Bewertung sind die VOLLKOSTEN einzusetzen, d.h. sämtliche direkten (Einzel-) und indirekten (Gemeinkosten), die anfallen, um die Vorräte a) in ihren derzeitigen Zustand und b) an ihren derzeitigen Standort zu bringen (FER 2.25). Zu a) gehören z.B. Lohnkosten, Materialkosten und zu b) z.B. Versicherungs- und Transportkosten. Die Zusammensetzung der Anschaffungs- resp. Herstellungskosten sind im Detail in FER 17.17 – FER 17.19 aufgeführt. Zu beachten gilt, dass ein Eigenkapitalzinsanteil in keinem Fall aktivierungsfähig ist. Fremdkapitalzinsen können insbesondere bei langfristigen Aufträgen berücksichtigt werden (FER 17.20).
FER 17.4 präzisiert, dass es sich bei diesen Vollkosten grundsätzlich um die tatsächlich angefallenen Kosten, sprich IST-KOSTEN handeln muss und die Bewertung je Artikel/Auftrag zu erfolgen hat (Einzelbewertung). Gleichartige Vorratspositionen, d.h. gleichartig, gleichwertig, gleiche Fertigungsstufe und marktgängig (FER 17.13), können zusammen bewertet werden (Gruppenbewertung).
Beispiel: Einzelbewertung – Halb- und Fertigfabrikate, Aufträge in Arbeit, Spezialanfertigungen (FER 17.13)
Beispiel: Gruppenbewertung – Nägel, Schrauben, Muttern etc.
FER 2.25 erwähnt die Möglichkeit von Annäherungsrechnungen, um die Kosten zu ermitteln. Zu diesen Annäherungsrechnungen gehören gemäss FER 17.4 z.B. Kostenfolgeverfahren (Durchschnittsmethode – FER 17.21), Verbrauchsfolgeverfahren (FIFO – First In, First Out) – FER 17.22), Standard- oder Plankostenrechnung (FER 17.23), sofern letztere zu einer vertretbaren Annäherung an die effektiven Kosten führen oder die retrograde Bewertung (Rückrechnung vom Verkaufspreis – FER 17.24)
Beispiel Rückrechnung zur Ermittlung der Kosten
1) Da die Rückrechnung nicht zu einer Bewertung über den tatsächlichen Anschaffungskosten führen darf, sind in diesem Beispiel die CHF 80.00/Stück einzusetzen.
2) Die Rückrechnung führt zu einem Wert unter den Anschaffungskosten, womit hier die CHF 79.45/Stück einzusetzen sind.
Neues Rechnungslegungsrecht / OR
Auch das Obligationenrecht äussert sich knapp zur Bewertung von Vorräten und nicht fakturierten Dienstleistungen. Bei der Erstbewertung stellen die Anschaffungs- und Herstellungskosten den Höchstwert dar (OR 960). Bei der Folgebewertung kommt ebenfalls das lower of cost or market Prinzip zum Zuge (OR 960 c, Abs. 1).
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