Kostenwahrheit und Ernährung - Einkauf im Supermarkt Kostenwahrheit und Ernährung - Einkauf im Supermarkt
Der rechtlichen Regelungen für Landwirtschaft und Ernährung sind heute noch weit weg von Verursacherprinzip und Kostenwahrheit. (Symbolbild)

Der Klimawandel ist in aller Munde, die Umweltverschmutzung belastet unsere Ökosysteme und wir sind als Gesellschaft gefordert, nachhaltige Lösungen zu finden. Die Bereiche Landwirtschaft und Ernährung spielen dabei eine grosse Rolle. In diesem Interview beantwortet Prof. Dr. Felix Schläpfer, Leiter Empirische Wirtschaftsforschung der Kalaidos Fachhochschule, Fragen zur Kostenwahrheit in Landwirtschaft und Ernährung, ein Thema, zu dem er gemeinsam mit dem Kommunikationsberater Markus Ahmadi ein Buch geschrieben hat. Hintergrund und Ausgangspunkt ist ein scheinbar paradoxe Situation: Der Staat gibt Milliarden aus, um schädliche Auswirkungen der Landwirtschaft auf Mensch und Umwelt zu begrenzen. Trotzdem erreichen uns regelmässig schlechte Nachrichten: hohe Treibhausgasemissionen, Pestizide im Grundwasser, Rückgang der Biodiversität, ungesunde Ernährung (vgl. Schläpfer, F. & Ahmadi, M., 2023; S. 8).

Felix, im ersten Kapitel des Buches geht ihr auf den Begriff Kostenwahrheit ein. Dabei geht es um die Nutzungsrechte an unserer Umwelt, wem gehören eigentlich Wasser und Luft?

Genau darum geht es. Wie wollen wir diese Rechte und Verantwortlichkeiten festlegen? Wollen wir, dass die Kosten von Umweltbelastungen den Geschädigten oder den Steuerzahler:innen aufbürden? Oder doch den Verursacher:innen? Beantworten muss das die Politik. Im Buch zeigen wir auf, was verschiedene Antworten für die Regelung bedeuten. Ein Beispiel: Wenn wir finden, dass Wasser und Luft allen gleichermassen gehört, dann braucht es andere Regelungen, als wenn wir die gemeinsam genutzte Umwelt als Selbstbedienungsladen ohne Kasse sehen.

Kommen wir zur zentralen Frage: Landwirtschaft und Ernährung heute: Wer bezahlt was?

Landwirtschaft und Ernährung sind ein Bereich, in dem das Verursacherprinzip und Kostenwahrheit noch wenig Fuss gefasst haben. Heute bezahlen die Konsument:innen nur etwa die Hälfte der Kosten der Roherzeugnisse. Die Steuerzahler:innen kommen jährlich für 2,8 Milliarden Franken der Produktionskosten auf – Massnahmen zur Vermeidung, Verminderung und Reparatur von Schäden eingeschlossen. Die Allgemeinheit duldet die verbleibenden Schäden – rund 3,6 Milliarden Franken.

Welche Probleme und Folgeprobleme entstehen durch die fehlende Kostenwahrheit?

Wir unterscheiden Ungerechtigkeiten und Verschwendung. Ungerecht ist einerseits die Ungleichbehandlung von verschiedenen Ernährungsstilen. Über Subventionen für Landwirtschaftsprodukte, kostenlose Umweltbelastung und Duldungspflicht für Umweltschäden betreibt der Staat eine Umverteilung von nachhaltigen zu nicht nachhaltigen Ernährungsstilen. Zweitens wird der Wettbewerb unter den Produzent:innen verzerrt. Wer wenig nachhaltig produziert, gewinnt. Beispielsweise erhalten Milchviehbetriebe mit zu hohen Viehdichten und Umweltbelastungen fast so viel Direktzahlungen wie nachhaltig wirtschaftende Betriebe. Darüber hinaus profitieren sie von weiteren Subventionen. Wenn eine Kuh 10’000 statt nur 5’000 Liter Milch gibt, fliessen auch etwa 2000 statt 1000 Franken Milchzulagen und sonstige Absatzförderung. Bei 30 Kühen im Stall sind das 30'000 Franken Unterschied. Verschwendet werden Produktionsmittel wie Futtermittel, Energie oder Tierarzneimittel, Nahrungsmittel und im weiteren Sinn Umweltqualität und Gesundheit – als Folge der verfälschten Preise.

Was kann die Politik tun, um Kostenwahrheit zu erreichen?

Die Politik kann die Produktion von Nahrungsmitteln anders regeln: Nicht mehr Nahrungsmittel, sondern nur noch Leistungen für die Gesellschaft subventionieren. Und die Kosten von Umweltschäden den Verursacher:innen anlasten. Wie das geschieht, muss die Politik entscheiden. Wir bringen in unserem Buch nur Ordnung in die Möglichkeiten der Regelung, das Vorgehen und die Rollen von Politik und Expert:innen im Regulierungsprozess. Vorgehen und Rollen sind wichtig, weil rechtlich-politische und technische Aspekte ineinandergreifen. Zuerst geht es um Verantwortlichkeiten, dann um Ziele und schliesslich um spezifische Massnahmen.

Und welche Auswirkungen hat Kostenwahrheit auf unsere Gesellschaft?

In der Landwirtschaft und Ernährung wie auch in anderen Bereichen des Wirtschaftsgeschehens können klare Verantwortlichkeiten im Sinn von Verursacherprinzip und Kostenwahrheit vieles vereinfachen. Die Politik muss weniger im Einzelnen korrigierend eingreifen. Konsument:innen müssen sich nicht mehr bei jeden Produkt hinterfragen, ob es ökologisch und sozial verträglich hergestellt wurde. Das spart Zeit und psychologische Kosten. Das leidige Abwälzen der Verantwortung auf die Konsument:innen hat ein Ende. Und der Übergang zu Kostenwahrheit ist kein Nullsummenspiel. Die Kosten für die Gesellschaft werden insgesamt geringer.

Zum Abschluss nochmals zur Politik: Was spricht seitens des Staates gegen die Kostenwahrheit, also gegen das Verursacherprinzip?

Wenn der Staat einen fairen Wettbewerb und weniger Verschwendung will, spricht gar nichts dagegen. Heute sagen viele, dass wir mehr Kostenwahrheit brauchen, die Massnahmen aber sozial abfedern müssen. Wer das sagt, meint aber nur eine halbe Kostenwahrheit. Bei umfassender Kostenwahrheit gewinnen Menschen in bescheidenen Verhältnissen automatisch – über die Rückgabe von Umweltabgaben an die Bevölkerung. Aus nationaler Sicht spricht höchstens dagegen, dass wir mit unserem hohen Konsumniveau bisher Kosten international abwälzen können. Das wird immer weniger gehen. Bei den Systemrisiken im Finanzbereich geht es schon heute nicht mehr. Wenn die Schweiz bei der Regulierung auf Kostenwahrheit verzichtet, muss sie die Kosten der Rettung selber tragen, wie wir gerade gesehen haben. Obwohl auch andere Länder von einer internationalen Finanzkrise betroffen wären.

Welche weiteren Forschungsvorhaben im Bereich Landwirtschaft und Ernährung sind geplant?

Wir planen eine Bevölkerungsbefragung zu deiner Frage ganz am Anfang: Wem gehört die gemeinsam genutzte Umwelt – und wem soll sie gehören. Sonst sind wir an weiteren Projekten im Bereich Kostenwahrheit, die aber über den Bereich der Landwirtschaft und Ernährung hinausgehen.

Herzlichen Dank, lieber Felix, für das Interview und viel Erfolg bei deiner weiteren Forschung!

Quellen und weiterführende Informationen

Schläpfer, F. & Ahmadi, M. (2023). Kostenwahrheit in Landwirtschaft und Ernährung. Grundwissen und Hintergründe in Fragen und Antworten. Kalaidos Fachhochschule Schweiz, Zürich.

Das Buch von Felix Schläpfer und Markus Ahmadi können Sie unter folgendem Link downloaden: https://www.vollkosten.ch

Buchcover: Kostenwahrheit in Landwirtschaft und Ernährung
Autor/in
Prof. Dr. Felix Schläpfer

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Autor/in
Maria Comos-Birmanns

Dr. Maria Comos-Birmanns

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Lea Schlenker und Felix Schläpfer im Podcast der Kalaidos Fachhochschule.

Kalaidos Talk "Kostenwahrheit in der Landwirtschaft und Ernährung" (Podcast)

Im Kalaidos Podcast mit Felix Schläpfer geht es um das Thema Kostenwahrheit.

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