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Digitale Therapien und Gesundheits-Apps sind in der Schweiz traditionellen medizinischen Therapien (noch) nicht gleichgestellt. (Symbolbild)

Die Schweiz gehört weltweit zu den Ländern mit den höchsten Ausgaben im Gesundheitswesen (Bundesamt für Statistik, 2021). Mit den heute verfügbaren Digitalisierungsmöglichkeiten liessen sich die Kosten um jährlich knapp 3 Milliarden Franken oder knapp 11 Prozent senken. Zu diesem Schluss kommt eine kürzlich durchgeführte Studie von McKinsey und der ETH (2021). Wo liegt das grösste Sparpotenzial und welche Länder sollte sich die Schweiz zum Vorbild nehmen? Ein Einblick in die Studie offenbart klare Antworten.

Rangliste der digitalen Kostensenker

Das grösste Sparpotenzial bergen digitale Lösungen, die PatientInnen direkt in das Gesundheitsmanagement einbeziehen (rund 50 Prozent). Dazu gehören ärztliche Online-Konsultationen, die Fernüberwachung von Hochrisiko-PatientInnen sowie E-Triage durch Chatbots. Hinzu kommen Fitnesstracker zur Prävention von Krankheiten sowie Apps zur Selbstüberwachung und -behandlung bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes. Und nicht zu vergessen: Self-Service-Portale für die Vereinbarung von Haus- und Facharztterminen. Der Einsatz solcher Technologien setzt Zeit für Ärztinnen und Ärzte frei.

An zweiter Stelle (gut 30 Prozent) der möglichen Einsparungen stehen E-Health-Lösungen, welche die Arbeitsprozesse und Tätigkeiten des medizinischen Fachpersonals vereinfachen. Das sind beispielsweise Logistik-Roboter für den Lagernachschub oder Waren-/Patiententransport, KI-basierte Behandlungsempfehlungen zur besseren medizinischen Entscheidungsfindung sowie Dashboards, welche die Leistungen der ÄrztInnen bzw. Pflege-Teams messen und Verbesserungsmöglichkeiten transparent machen.

Enabler-Technologien wie der papierlose standardisierte Datenaustausch und elektronische Verschreibungen folgen an dritter Stelle der digitalen Einsparungsmöglichkeiten (knapp 20 Prozent). Enabler-Technologien unterstützen alle im Gesundheitssystem Beteiligten inklusive PatientInnen. Sie steigern die Effizienz des medizinischen Fachpersonals und der AnbieterInnen von Gesundheitsleistungen.

Drei digitale Best Practices in anderen europäischen Ländern im Vergleich zur Schweiz

1. Grossbritannien: Telemedizin

Während vor der Pandemie etwa 30 Prozent der routinemässigen hausärztlichen Konsultationen in Grossbritannien aus der Ferne durchgeführt wurden, stiegen diese zu Beginn der Pandemie auf etwa 70 Prozent. Zu dieser erfolgreichen Entwicklung haben allem voran Gesetzesänderungen beigetragen. So wurde statt der persönlichen Konsultation beim Hausarzt die Telekonsultation als Standard eingeführt. Zudem finanzierte die britische Regierung die Babylon Health App für alle Hausarztpraxen und ambulanten FachärztInnen. Die App bietet sowohl eine KI-gestützte Triage-Lösung für PatientInnen als auch eine Plattform für Telekonsultationen. Die meisten Fernkonsultationen werden zwar immer noch per Telefon durchgeführt, der Anteil an Videokonsultationen nimmt jedoch zu.

In der Schweiz waren im Jahr 2019 13 Prozent der Bevölkerung in einem telemedizinischen Modell versichert, was zu rund 2,5 Millionen Patientenkontakten pro Jahr geführt hat. Abgesehen von diesem Modell hat die Pandemie aber nicht zu einer Etablierung von Fernkonsultationen geführt. Dem Swiss eHealth Barometer 2021 zufolge nutzen während den letzten Monaten nur ein Viertel der HausärztInnen die Telemedizin. Die Einführung von Fernkonsultationstarifen wurde im Sommer 2021 sogar wieder rückgängig gemacht. Weitere Gründe für die geringe Akzeptanz von Fernkonsultationen sind die Inkompatibilität zwischen der Fernkonsultationstechnologie und den Systemen in den Praxen sowie Sicherheits- und Haftungsbedenken seitens der Ärzteschaft.

2. Deutschland: Apps zur Selbstüberwachung und -behandlung von Krankheiten

Als erstes Land in Europa hat Deutschland einen klaren Rechtsrahmen für digitale Therapien geschaffen. Seit September 2020 dürfen Ärztinnen und Ärzte medizinische Interventionen wie Apps zur Selbstüberwachung und -behandlung von Krankheiten verschreiben. Diese werden von den Versicherern wie eine herkömmliche Arzneimitteltherapie zurückerstattet. App-Anbieter können ihre digitalen Therapien über ein spezielles Schnellverfahren einreichen und eine vorläufige Zulassung für einen Zeitraum von 12 Monaten beantragen, während dessen ihre Wirksamkeit nachgewiesen werden kann.

In der Schweiz steckt die Einführung von digitalen Therapien noch in den Kinderschuhen. Zwar haben sich erste Partnerschaften zwischen Versicherungen, Hochschulen und Leistungserbringern bereits gebildet, um digitale Therapien bei Erkrankungen der Atemwege, der Psyche und COVID-19 zu entwickeln. Auch wurden Apps eingeführt für das Selbstmanagement bei chronischen Erkrankungen sowie zur Ausführung von physiotherapeutischen Übungen. Als Beispiel sei hier NALA, eine App für Neurodermitis-Betroffene, genannt. Kürzlich wurde die erste digitale Gesundheitsplattform in der Schweiz von einem Konsortium aus Kostenträgern und Leistungserbringern unter dem Namen Well eingeführt. Auf dieser können PatientInnen Online-Arzttermine vereinbaren, schnelle Rückmeldungen auf ihre medizinischen Fragen erhalten und Rezepte bestellen. Trotz dieser aktiven Unternehmerlandschaft sind digitale Therapien weder in der Regelversorgung integriert, noch werden sie von den Krankenkassen unterstützt. Daher ist die Anwendung meist auf Early Adopters beschränkt, die aktiv nach digitalen Lösungen suchen und diese selber bezahlen.

3. Schweden und Italien: Elektronisches Patienten-Dossier (EPD)

Ein Elektronisches Patienten-Dossier (EPD) ist eine Sammlung persönlicher Dokumente mit Informationen rund um die Gesundheit von PatientInnen. Ein EPD ist sowohl für PatientInnen als auch für LeistungserbringerInnen im Gesundheitswesen zugänglich. Hinter einem einheitlichen EDP steckt eine digitale Infrastruktur zur Anzeige, Erfassung und Speicherung aller Patienteninformationen in einem standardisierten Format.

In Schweden wird ein einheitliches EPD seit den Neunzigerjahren bereits in grossem Umfang eingesetzt. Die öffentliche Beteiligung der EndnutzerInnen bei der Gestaltung des EPD (Schwedisch NPÖ) gehört zu den Hauptgründen für die erfolgreiche Einführung des zentral koordinierten EPD. Nach Zustimmung des Patienten / der Patientin kann ein Anbieter auf die Akte einer Person zugreifen und diese ergänzen. Die PatientInnen können auch ihre eigenen Daten einsehen, indem sie sich mit ihrer Bank-ID anmelden. Die Entwicklung des schwedischen EPD ist Teil der nationalen IT-Strategie des Gesundheits- und Sozialwesens und ist im Patientendatengesetz von 2008 verankert.

Seit 2012 sind auch in Italien der Zweck, die Anforderungen und die Nutzung des EPD im nationalen Recht festgeschrieben. Im Gegensatz zu dem zentralisierten schwedischen System hat sich Italien für ein regionales System mit begrenzter nationaler Koordinierung entschieden. Heute gibt es in Italien 21 verschiedene EPD-Systeme mit unterschiedlichen Inhalten und Funktionalitäten. Beispielsweise können PatientInnen selbst Dokumente hinzufügen, die von medizinischen Konsultationen ausserhalb Italiens stammen.

Trotz erster Versuche verfügt die Schweiz noch nicht über ein einheitliches EPD in allen Kantonen. Die Einführung eines einheitlichen EPD ist seit 2017 gesetzlich vorgeschrieben, vorerst allerdings nur für stationäre Anbieter. Die fragmentierte Schweizer Gesundheitslandschaft hat zu Verzögerungen bei der Einführung des EPD bei PatientInnen und ambulanten Anbietern geführt. Während rund 80 Prozent der KrankenhausärztInnen das EPD zwar befürworten, ist dies nur bei circa 55 Prozent der AllgemeinmedizinerInnen der Fall. 43 Prozent der erwachsenen Bevölkerung geben sogar an, dass sie nichts über das EPD wissen. Die Vermutung liegt nahe, dass die PatientInnen als zentrale Interessengruppe nicht ausreichend in die Gestaltung und Umsetzung des EPD in der Schweiz einbezogen wurden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben vier EPD-Lösungen die Zertifizierung für die Einführung in verschiedenen Regionen erhalten, fünf weitere EPD-Lösungen befinden sich noch im Zertifizierungsprozess.


Empfehlungen zur Kostensenkung im Schweizer Gesundheitssystem

Zur Senkung der Gesundheitskosten in der Schweiz ist es laut der McKinsey-Studie am wichtigsten, die digitale Gesundheitsfürsorge den traditionellen Therapien gleichzustellen. Dies geschieht durch eine angemessene Regelung der Rückerstattung durch die Versicherungen. Zudem soll das Rechtsprinzip der freiwilligen Teilnahme am EDP für ambulante ÄrztInnen und PatientInnen durch eine verpflichtende Teilnahme für alle abgelöst werden. Bei der zukünftigen Entwicklung des EPD sind Patientenorganisationen einzubinden. Damit sollen klare Nutzenvorteile für PatientInnen sowie die einfache Handhabung sichergestellt werden. Ein vermehrter Top-Down-Ansatz bei der Einführung und dem Betrieb des EPD in allen Kantonen ist ebenso zwingend wie eine klare Leitlinie für Standards und für den Datenschutz. Technologieanbieter und Gesundheitsdienstleister sollen Hand in Hand zusammenarbeiten, um Pilotprogramme für digitale Gesundheitslösungen zu lancieren und daraus wertvolle Erkenntnisse für die Weiterentwicklung zu gewinnen. Darüber hinaus könnten Akteure im Gesundheitssystem Partnerschaften für Best Practice Cases bilden, die eine "Win-Win"-Dynamik erzeugen: mehr Komfort für PatientInnen, höhere Effizienz beim medizinischen Fachpersonal und niedrigere Ausgaben auf Seiten der Kostenträger.

Quellen und weiterführende Informationen

Bundesamt für Statistik (2021). Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens 2019

McKinsey Digital in collaboration with ETH Zürich. (2021). Digitization in healthcare: The CHF 8.2 billion opportunity for Switzerland.

Swiss eHealth-Barometer. (2021). Corona reduziert das Tempo der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Autor/in
Irene-Willi

Irene Willi Kägi

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