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In Firmenwitzen, die sich während des Lockdowns und der Krise erzählt werden, lässt sich die aktuelle Lage erkennen. (Bild: Kalaidos FH)

Gibt es bei Ihnen im Unternehmen auch running gags, die jeder kennt? Vielleicht haben Sie sich bis anhin keine tieferen Gedanken über den Inhalt dieser gemacht. Doch Firmenwitze können als eine abstrakte und subtile Form der Kommunikation wertvolle Botschaften enthalten.

Firmenwitze als verbaler Teil der Organisationskultur

Witze können für Führungskräfte sowie Personaler hilfreiche Tools sein, um in informellen Gesprächen einen Teil der Organisationskultur zu entschlüsseln. Doch was kann man aus Firmenwitzen alles herauslesen? Organisationsinterne Witze können beispielsweise auf Entwicklungs- sowie Spannungsfelder hindeuten, oder Wertemuster und Psychodynamiken widerspiegeln. Sehen wir uns doch ein paar Beispiele an:

„Bei uns ist alles elektrisch – sogar das Gehalt versetzt einem einen Schlag.“ Dieses Beispiel eines Energieversorgers kann man als Hinweis nehmen, das die Mitarbeitenden offenbar ihr Gehalt als ungerecht empfinden.
„Kundenzufriedenheit bedeutet bei uns: Den Kunden so schnell über den Tisch ziehen, dass er die Reibungswärme als Nestwärme empfindet.“ In vertriebsorientierten Betrieben wird häufig über die Nachhaltigkeit der eigenen Organisation gelacht.
„Bei uns tragen die Mitarbeitenden alle die Absätze vorne, damit sie das Gefühl haben, dass es aufwärts geht.“ Das ist ein Witz, der unterstreicht, was auch in Zahlen zu belegen sein sollte. Ein schöner Perspektivenwechsel in die Sichtweise des Erzählers.
„In unserer Firma wurde ein Neugeborenes gefunden. Der Werkschutz hat ermittelt, dass es kein Produkt unseres Unternehmens ist. Denn hier haben noch nie zwei so eng zusammen gearbeitet.“ Dieser Witz aus der Automobilbranche spiegelt den empfundenen Teamgeist wieder. Witze sind demnach auch ein Zeichen von Selbstreflexion.
Witze können auch entschärfend wirken. Ein Leitsatz des Harvard-Konzeptes lautet „Weich in der Beziehung, aber hart in der Sache“. Witze können das: Im Sachbezug hart bleiben, aber trotzdem nicht verletzen. Es gibt beispielsweise diesen, eher verbalen, Witz von einer Baustelle. Da sagte der Vorarbeiter: „Eure Schubkarren sollen nicht quietsch, …, …, …, quietsch, …, …, … (langsame Abfolge) machen, sondern: quietsch, quietsch, quietsch (schnelle Abfolge).“ Die Bauarbeiter verstehen, dass es schneller gehen soll, nehmen ihrem Chef die Mahnung aber nicht übel.

Hierarchien innerhalb von Organisationen bestimmen, wer wem Witze erzählt. Wenn ich als Mitarbeitenden meine Entlohnung als gerecht empfinde, lache ich nicht über den Witz des Energieversorgers (im ersten Beispiel oben). Menschen, die die gleiche Einstellung zu Dingen haben, lachen gemeinsam. Neuen Mitarbeitenden ist die gelebte Firmenkultur anfänglich unbekannt, daher können sie auch noch nicht mitlachen. Praktikanten machen tendenziell mehr Witze über Vorgesetzte, weil sie weniger Angst vor Sanktionen haben und nicht auf Beförderung hoffen. Dies gilt sowohl im Gespräch mit anderen Mitarbeitenden, als auch in Gegenwart des Chefs. Teilweise sind Entfernungen im Unternehmen so gross oder Hierarchien derart weit auseinander, dass man mit einem Witz ein besseres Verständnis von den Problemen und Spannungsfeldern bekommen kann. Ein Fall-Beispiel:

Ein Verlag war in 20 Jahren 14 Mal umgezogen. Ein running gag auf den Fluren war: „Wer zieht eigentlich heute um?“. Wie sich später herausstellte, bestanden die Probleme bei der Führung. Es war nicht klar, in welche Richtung sich die Organisation hin entwickelt. Das hat für sehr viel Unruhe gesorgt. Firmenwitze sind damit zwar erstmal lustig, aber auf den zweiten Blick auch brisant. 

Ein weiteres Fall-Beispiel:

In einer Firma kursierten Witze zum Thema Vertrauen wie „Vertrauen? Ja, in Gott und alle Kunden, die bar zahlen!“ oder “Schreiben Sie 'streng vertraulich' darüber, dann kann ich sicher gehen, dass es auch wirklich jeder liest.“ Die Firma hat daraufhin ein Seminar mit folgendem Inhalt durchgeführt: 1. Warum Vertrauen die Basis für erfolgreiche Führung ist. 2. Was Mitarbeiter und Vorgesetzte hindert zu vertrauen und 3. Wie man als Führungskraft aktiv Vertrauen schaffen kann.

Veränderungen von Firmenwitzen über die Zeit

In Firmenwitzen lässt sich auch die aktuelle Lage erkennen, wie beispielsweise bei diesem Witz während des Lockdowns: „Breaking News: Hakle is buying Google!“ Wenn man Witze über eine grössere Zeitspanne betrachtet und vergleicht, kann man feststellen, wie sich Probleme in Organisationen gelöst oder verschoben haben. Dies kann auf individueller oder globaler Ebene geschehen. In der Retrospektiven zeigt sich, wie sich ökonomische Trends verändern. Aufgrund der Digitalisierung lässt sich beispielsweise eine Tendenz hin zu Firmenwitzen in Bildform beobachten.
Geographisch sieht man eine tendenzielle Orientierung weg von den USA und mehr zu den Märkten China und Indien hin. „Forecastest du schon oder planst du noch?“ beispielsweise ist ein Witz, der in der Zeit der amerikanisierenden Geschäftssprache lustig war. Heute ist „forecasten“ ein gängiger Begriff. Der Witz ist schlicht nicht mehr lustig. Des Weiteren sind Firmenwitze über Frauen weitgehend verschwunden. Emanzipation und eine gestärkte Frauenrolle in den Organisationen haben dazu beigetragen. Ausserdem rücken der Kunde und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt unternehmerischen Handelns, wie dieser alte Witz aus einer Bank aus dem Jahr 2006 zeigt: „Meinen Berater möchte ich sprechen.“ „Der ist leider nicht da.“ „Aber ich habe ihn doch durchs Fenster gesehen!“ „Kann sein. Aber er hat Sie zuerst gesehen.“ Andererseits gibt es auch wirtschaftspsychologische Themenschwerpunkte, die über die Zeit stabil bleiben, wie die Angst vor Kündigung: „Bei uns ist es wie im Paradies.“ „Ehrlich?“ „Ja, ich kann jeden Tag hinausgeworfen werden …“

Mehr über Frau Wetterlings Arbeit und warum wir Firmenwitze analysieren sollten, erfahren Sie im Interview in der Handelszeitung

Quellen und weitere Informationen 

Beer, S. (2008). Diagnosing the System for Organizations. München: Conception & organization MCB Publishing House.

Drucker, P. (1991). Don’t Change Corporate Culture - Use It!. The Wall Street Journal. 28 March 1991, p. A14.

Feltman, C. (2008). The Thin Book of Trust: An Essential Primer for Building Trust at Work. Bend, Oregon: Thin Book Publishing.

Freud, S. (2009). Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Frankfurt: Fischer.

Graves, D. (1986). Corporate Culture: Diagnosis and Change. New York: St Martin’s Press.

Horx, M. (2011). Das Megatrend-Prinzip: Wie die Welt von morgen entsteht. München: Deutsche Verlags-Anstalt.

Lencioni, P. M. (2019). Die 5 Dysfunktionen eines Teams überwinden. Zürich: Wiley-VCH.

Malik, F. (2006). Führen, Leisten, Leben. Wirksames Management für eine neue Zeit. Frankfurt / New York: Campus.

Ramge, T. (2009). Identifikation – Das Ich und die Organisation. Brand eins, 6. Abgerufen von: https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2009/identifikation/das-ich-und-die-organisation

Vester, F. (2015). Die Kunst vernetzt zu denken. Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität. München: dtv.

Vollmer, J. (2016). Warum wir Firmenwitze analysieren sollten. Beitrag in der Handelszeitung vom 29.08.2016. Verfügbar online unter: https://www.handelszeitung.ch/management/warum-wir-firmenwitze-analysieren-sollten-1185586

Autor/in
Anna-Christine Wetterling

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Mandana Bahrami

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