Furchtlose Dominanz: Die positive Psychopathie?
Eva Luciano
Intuitiv stellen wir uns unter dem klassischen Psychopathen einen Kriminellen vor, wie wir ihn aus Krimis kennen oder im Hochsicherheitsgefängnis vermuten. Schon häufig hat man den Satz gehört, Psychopathen sitzen entweder im Gefängnis oder in der Chefetage. Tatsächlich wird seit längerem kolportiert, dass Menschen mit psychopathischen Charakterzügen häufig in Führungsetagen von Unternehmen zu finden sind. Viele Menschen - Wissenschaftler als auch Laien - sind überzeugt, dass es Psychopathen in ihrer Karriere weit bringen können. Einer Studie zufolge seien sie sogar um das sechsfache in Führungspositionen überrepräsentiert.
Was ist Psychopathie eigentlich genau?
Psychopathie gilt als eine schwere Form der dissozialen Persönlichkeitsstörung. Psychopathen zeichnen sich durch einen Mangel an Empathie und Gewissen aus. Ihnen fehlt jegliches Gefühl sozialer Verantwortung. Auf den ersten Blick bestechen sie häufig durch ihre charmante Art, die sie aber rücksichtslos dazu einsetzen, andere zu manipulieren, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen.
Wie andere Persönlichkeitskonstrukte ist Psychopathie multidimensional und lässt sich in verschiedene Facetten unterteilen. In der Regel wird das Konstrukt in zwei oder drei Facetten unterteilt: Neben Kaltherzigkeit und egozentrischer Impulsivität ist furchtlose Dominanz eine der Facetten. Furchtlose Dominanz beschreibt die Eigenschaft, keine Angst zu empfinden und auch in bedrohlichen Situationen ruhig und gelassen zu bleiben. Menschen mit hohen Werten hierin sind in der Regel selbstbewusst und stressresistent. Sie erscheinen oft als furchtlos, mutig, unerschrocken, aber auch dreist. Obwohl furchtlose Dominanz aus der Forschung zum Thema Psychopathie stammt, muss sie jedoch nicht zwangsläufig mit negativen oder antisozialen Verhaltensweisen zusammenhängen. Forschung der letzten Jahre zeigt dies immer deutlicher.
Psychopathen in der Arbeitswelt
Wie bereits oben erwähnt, sind Psychopathen häufig in Führungspositionen zu finden. Dieser Fakt ist nicht weiter erstaunlich, wenn man die Vorgesetztenrolle mit den typischen Eigenschaften von Psychopathie im Hinterkopf genauer betrachtet. Diese involviert ja beispielsweise an erster Stelle stehen oder das Umsetzen von Entscheidungen, auch gegen die Meinung anderer.
Eine Metanalyse von O’Boyle und Kollegen aus dem Jahr 2012, zeigte basierend auf einer totalen Stichprobengrösse von über 40‘000 Personen, dass Menschen mit höheren psychopathischen Ausprägungen eine geringere Qualität der Arbeitsleistung und mehr schädliches Verhalten am Arbeitsplatz zeigen. Beide Zusammenhänge waren jedoch nur gering. Eine mögliche Erklärung für die geringen Zusammenhänge wird deutlich, wenn man die einzelnen Facetten der Psychopathie unter die Lupe nimmt: In einer anderen Metaanalyse von Miller und Lynam zeigte sich, dass furchtlose Dominanz und egozentrische Impulsivität sehr verschieden mit diversen Erlebens- und Verhaltensweisen zusammenhängen. Während egozentrische Impulsivität mit negativen Outcomes wie beispielsweise antisozialen Verhaltensweisen, Aggression oder Substanzmissbrauch korrelierte, zeigte furchtlose Dominanz hingegen Zusammenhänge mit einer generell aufgeschlossenen, aktiven, zwischenmenschlichen Art, sowie positiver Emotionalität. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die beiden Facetten Effekte in entgegengesetzte Richtungen aufweisen und können somit eine Erklärung dafür liefern, warum die beiden Facetten in ihrer Summe nur niedrige Zusammenhänge mit Verhalten und Leistung am Arbeitsplatz aufweisen.
Des Weiteren zeigten sich in der Metaanalyse starke Zusammenhänge zwischen furchtloser Dominanz und Persönlichkeitseigenschaften, genauer gesagt hoher Extraversion und niedrigem Neurotizismus. Beides sind sehr wünschenswerte Eigenschaften, die nachweislich mit vielen positiven Outcomes assoziiert werden konnten. Die Autoren legen basierend auf ihren Ergebnissen sogar nahe, furchtlose Dominanz als eine Art zusammengesetzte Persönlichkeitseigenschaft aus niedrigem Neurotizismus und hoher Extraversion zu interpretieren. Hierfür schlagen sie den Begriff stabile Extraversion vor. Die Ergebnisse dieser Studie haben die kontrovers diskutierte Frage aufgeworfen, inwiefern Personen mit ausschliesslich hohen Werten in der Facette furchtloser Dominanz eigentlich als psychopathisch kategorisiert werden sollten.
Schlagen wir aber den Bogen zurück in die Arbeitswelt. Wie sehen die Ergebnisse nun hier aus, wenn Psychopathie nicht als Gesamtkonstrukt, sondern die einzelnen Facetten betrachtet werden? Zwei neue Studien der Arbeitsgruppe um Gerhard Blickle der Universität Bonn aus den Jahren 2017 und 2019 untersuchten, wie die Facetten der Psychopathie mit Outcomes am Arbeitsplatz zusammenhängen. Während für die Facette egozentrische Impulsivität durchweg negative Effekte auf Verhalten und Leistung am Arbeitsplatz gefunden werden konnten, zeigte sich ein anderes Bild für furchtlose Dominanz. Bereits in der ersten querschnittlichen Studie zeigten sich positive Zusammenhänge zwischen furchtloser Dominanz und hoher Arbeitsleistung. Dieser Effekt ergab sich jedoch nur, wenn sie in Kombination mit einem hohen Bildungslevel und guten sozialen Fähigkeiten auftrat. In der zweiten Studie konnte die Arbeitsgruppe dann auch längsschnittlich über einen Zeitraum von 4 Jahren zeigen, dass furchtlose Dominanz positiv mit beruflicher Leistung(gemessen durch die Höhe des Einkommens) und Arbeitszufriedenheit, zusammenhängt, jedoch auch in diesem Fall nur bei einem hohen Bildungslevel. Bei einem niedrigen Bildungslevel zeigten sich dagegen sogar negative Effekte. Da frühere Forschung gezeigt hat, dass das Bildungsniveau eng mit einer guten Sozialisation verknüpft ist, legen die Autoren auf Basis der Ergebnisse nahe, dass die Psychopathie-Facette furchtlose Dominanz eine wünschenswerte Eigenschaft ist - aber nur, wenn eine Person in ihrer Kindheit gut sozialisiert wurde.
Furchtlose Dominanz als Kriterium in der Personalauswahl?
Können also Psychopathen, zumindest gut sozialisierte Psychopathen, wirklich gute Führungskräfte sein? Tatsächlich findet man basierend auf den vorgestellten Studien die Empfehlung, man solle bei der Personalauswahl zwar nicht auf Psychopathie direkt testen, aber auf niedrige Level an Neurotizismus und hohe Extraversion als Indikatoren der furchtlosen Dominanz. Natürlich nur in Kombination mit einem hohen Bildungsniveau. Wirklich neu scheint diese Empfehlung jedoch nicht, da seit langem bekannt ist, dass sowohl Extraversion als auch niedriger Neurotizismus sehr wünschenswerte Eigenschaften sind. Hier schliesst sich der Kreis zur bereits oben erwähnten entfachten Debatte: Sollten Personen mit hohen Ausprägungen in furchtloser Dominanz, aber geringen Werten in den anderen Psychopathie-Facetten überhaupt als psychopathisch kategorisiert werden?
Quellen und weiterführende Informationen:
Blickle, G., & Genau, H. A. (2019). The two faces of fearless dominance and their relations to vocational success. Journal of Research in Personality, 81, 25-37.
Blickle, G., & Schütte, N. (2017). Trait psychopathy, task performance, and counterproductive work behavior directed toward the organization. Personality and Individual Differences, 109, 225-231.
Miller, J. D., & Lynam, D. R. (2012). An examination of the Psychopathic Personality Inventory's nomological network: A meta-analytic review. Personality Disorders: Theory, Research, and Treatment, 3, 305-326.
O’Boyle, E. H., Forsyth, D. R., Banks, G. C., & McDaniel, M. A. (2012). A meta-analysis of the Dark Triad and work behavior: A social exchange perspective. Journal of Applied Psychology, 97, 557-579.